Ein (un)glücklicher Zufall lässt zwei grundverschiedene Menschen einander begegnen. Der Architekt Tom Pohlmann (Benjamin Sadler) leidet unter Zwangsstörungen, die alleinerziehende Mutter Sarah Wünsche (Marlene Morreis) indes hat massive Existenzsorgen. Hätte der notorische Raser sie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen – Porsche gegen Fahrrad – nicht so unsanft ausgebremst, wäre er nicht zu Sozialstunden verdonnert worden und hätte auch nicht auf der Kinderstation einer Hamburger Klinik nähere Bekanntschaft mit dieser hoch impulsiven Frau machen können. Dort liegt nämlich mal wieder Sarahs Sohn Paul (Oskar Netzel), der unter einer rätselhaften Atemnot leidet. Er und Pohlmann freunden sich an. Ausgerechnet Pohlmann, der bislang mit Kindern so gar nichts anfangen konnte! Aber dieser introvertierte Junge erinnert ihn offenbar an die eigenen einsamen Kindheitstage. So gut der seltsame Architekt mit der Zeit auch mit den anderen Knirpsen kann – Sarah wird nur schwer mit ihm warm und sieht den Umgang zwischen ihm und ihrem Sohn eher skeptisch. Als Pohlmann Paul einen Scheck zusteckt, der dabei helfen soll, dass Sarah ihren Pleite gegangenen Kiosk wiederbekommt, reagiert Marlene empört; sie empfindet das als Beleidigung. Es gibt noch ein weiteres Problem, das die soziale Kluft zu vergrößern droht. Es hat mit Pauls Krankheit und Pohlmanns Geschäftspartner Kilian (Marc Hosemann) zu tun.
Liebe auf den ersten Blick ist das nicht. Während aber im Leben meist nur der erste Eindruck zählt, bekommen die ungleichen Charaktere in „Pohlmann und die Zeit der Wünsche“ die Möglichkeit, den einen oder anderen Fauxpas geradezurücken, und sie haben das große Glück, dass jeder der beiden dem anderen mehrere zweite Chancen gibt. Auch die Freundschaft zwischen dem erwachsenen Mann und dem 12-jährigen Jungen wirkt Wunder. Pohlmann verhält sich zwar nach wie vor seltsam, gerät in Panik, wenn er vor ein paar Leuten reden soll, versteht keinen Spaß, wenn man sich über ihn amüsiert, ergreift die Flucht, wenn ihn eine Situation überfordert, aber die ihm seit dem Tod der Mutter unbekannte Nähe zu einem Menschen verändert ihn. Die Annäherung ist natürlich ein dramaturgischer Trick, um Paul zu einer Art romantischem Kuppler zu machen. Aber nicht nur, die Freundschaft ist auch psychologisch nachvollziehbar. Denn die vielfältigen Störungen (Sprechangst, Höhenangst, Angst im Dunkeln) machen die Titelfigur nicht zu einem typischen Erwachsenen. Pohlmann ist zwar ein Workaholic, der in seiner Arbeit aufgeht, aber sowas wie Ernst des Lebens ist ihm fremd, er stellt sich seinen Problemen nicht, lebt in einer Blase, die der Sohn zum Platzen bringt. Plötzlich steht der Architekt da, ungeschützt, verunsichert – und er verlässt seine Komfortzone. Selten ist er im Büro, immer häufiger und engagierter werden seine Einsätze in der Klinik und irgendwann entschließt er sich, nicht mehr in seiner hypermodernen Designer-Wohnung zu trainieren, sondern sich mit seinem Rennrad ins wahre Leben zu stürzen.
Dieser Film braucht nicht die gönnerhafte Nachsicht, mit der man als Kritiker in der Weihnachtszeit gelegentlich gefühlvollen Fernsehfilmen begegnet. Dafür ist die psychologische Grundierung der Geschichte einfach zu stimmig und die Narration zu geschickt gebaut. Es gibt zahlreiche kleine Sub-Plots und dennoch hat man nicht das Gefühl wie bei durchschnittlichen Unterhaltungsfilmen, es hier mit einem Zuviel an Handlung zu tun zu bekommen. Viele für die Beziehungsgeschichte relevanten Momente ereignen sich im Off (Termin vor dem Verkehrsgericht, Kreditzusage), Situationen werden abgekürzt, Szenen werden vor dem vermeintlichen Höhepunkt geschnitten, Infos zur psychologischen Backstory werden an der dramaturgisch richtigen Stelle gegeben (wo sie nicht nur charakterisieren, sondern auch emotional auf die „Liebesgeschichte“ einwirken): So entsteht ein süffiger Erzählfluss ohne Redundanz, der dem Alltagsrhythmus nachempfunden ist. So, als wollten die Macher Pohlmanns Sprung ins Leben mit Bildern erzählen, die einem immer wieder die flüchtige Dramaturgie eben dieses Lebens vor Augen halten sollen. Die Szenen auf dem Weihnachtsrummel und das Finale vor dem Kiosk, bei dem sogar der Schnee(fall) wunderbar echt aussieht (kann man so viel Drehglück haben?), besitzen fast eine dokumentarische Qualität. So bekommt diese etwas andere Vorweihnachtsgeschichte, geschrieben von Martin Douven („Bloch – Verfolgt“, „Kalt ist die Angst“), auch die passende filmische Verpackung. Dass Regisseur Matthias Tiefenbacher („Und dennoch lieben wir“, „Gestern waren wir Fremde“) ein Meister darin ist, extreme Gefühlslagen in eine geschmackssichere, kitschfreie Inszenierung umzusetzen, hat er oft genug bewiesen.
Der Sonderstatus, den „Pohlmann und die Zeit der Wünsche“ auf dem ARD -„Endlich-Freitag“-Sendeplatz einnimmt, spiegelt sich auch in der Besetzung. Benjamin Sadler verkörpert den Mann, der seine Gefühle einbetoniert hat, durchgängig ernsthaft und problembewusst. Die Kollektion an Neurosen und Ängsten zieht sein Spiel nie ins Lächerliche. Und erst im Schlussdrittel bricht seine immer wieder von Rückschlägen gebeutelte Figur gelegentlich aus dem Drama-Modus aus, um mit der Rolle des romantischen Liebhabers zu liebäugeln, die er allerdings erfreulicherweise bis zum Ende nicht regelkonform erfüllt. Aber auch der weibliche Gegenpart hat sein Päckchen zu tragen. Und auch Marlene Morreis, in allen Tonlagen und Rollengrößen stets überzeugend, gibt diese Powerfrau im Drama-Modus (und nicht im knackigen Dramedy-Stil wie zuletzt in „Kinder und andere Baustellen“) – mit einer wohldosieren, fein nuancierten Mischung aus äußerem Stress und innerer Unruhe, aus Wut und Mutterinstinkt, aus stiller Verzweiflung und ebenso stiller Hoffnung. Da die Charaktere die Musik machen in diesem intelligenten Wohlfühlfilm, führen die Irritationen und Missverständnisse zwischen den beiden nicht jedes Mal zu riesigen Zerwürfnissen. Ein Blick kann da schon mal ausreichend sein. Zwölf Minuten vor dem Ende gibt es dann allerdings doch das unvermeidliche retardierende Moment („Verschwinde aus unserem Leben“). Trotz dieser Konvention erzählt „Pohlmann und die Zeit der Wünsche“ eine rundum gelungene Geschichte, bei der das Happy End kein billiges Genre-Ritual ist, sondern voll und ganz Charaktersache. Pohlmann packt es an und stellt sich dem Leben …