Florian ist Architekt, Anfang 30 und er steht kurz vor seinem ersten großen Projekt. Doch der Traum vom beruflichen Durchbruch platzt. Sein Architekturbüro muss überraschend Insolvenz anmelden, der Kompagnon nimmt sich das Leben, und Florians auf Pump aufgebaute Existenz bricht von einem Tag auf den anderen zusammen. Ehe er sich versieht, wohnt er in einer schäbigen Einzimmerwohnung in einem heruntergekommenen Wohnviertel. Und da sich mit arbeitslosen Architekten die sauberen Straßen Münchens pflastern lassen, schickt ihn das Arbeitsamt zum Kellnern in eine Billig-Pizzeria, in der süditalienisches Temperament und großes Chaos herrschen. Wäre da nicht Lucia, die im selben Haus wie er wohnt, würde Florian das alles nicht aushalten. Aber diese geheimnisvolle junge Frau lässt ihn Hoffnung schöpfen. Sie nur zu sehen, mit ihr zu reden genügt, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Aber auch mit Pizzabäcker Claudio und Mariella, die den Laden schmeißt und in ihren Chef heimlich verliebt ist, entwickelt sich bald ein freundschaftliches Verhältnis.
Der Titel des Films, „Pizza und Marmelade“, führt auf eine falsche Fährte. Ein Degeto-Film am Mittwoch? Mitnichten. Es ist ein Film, der aus seinen Charakteren lebt, der im Zentrum eine männliche (!) Hauptfigur führt, der sein Milieu liebevoll zeichnet und der auch etwas über seine Nebenfiguren zu erzählen weiß. Es sind Menschen, die sich wegträumen aus der Realität: die einen tauchen ab, ziehen sich aus Scham zurück; die andern suchen das Miteinander oder haben zumindest die Sehnsucht danach. Hat man den Film gesehen, dann passt der Titel plötzlich doch: Pizza, das bedeutet Broterwerb, und hinter Marmelade verbirgt sich im Film der Wunsch nach Nähe. Junge Leute verschenken Mix-Tapes und selbst gebrannte CDs, Edgar Büchner, auch einer, der in diesem Schließfachhaus gestrandet ist, ein gescheiterter Akademiker und Arabien-Liebhaber, verschenkt selbst gemachte Marmeladen.
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Auch das Paar des Films verhält sich nicht Romantic-Comedy-gemäß. Es ist weniger der Andere, es ist die eigene Geschichte, die einen (in die Arme des Anderen) treibt. Autorin Andrea Stoll und Regisseur Oliver Dieckmann, der den Stoff lange mit sich herumtrug, bemühen einmal nicht den von der Populärkultur überstrapazierten Mythos der romantischen Liebe. Sie zeigen zwei Menschen, die sich begegnen, voller Sehnsucht und Unsicherheit. Zwei Menschen, die Nähe suchen, um Schmerz & Scham zu überwinden. Zwei Seelenverwandte, die sich nur langsam öffnen. Da ist ein Kuss schon viel. Max von Thun und Stefanie Stappenbeck spielen das mit Mut zur Einfachheit. Blicke, Gesten, ein Lächeln, wenig Worte. Wenn geschwiegen wird, ist es ein beredtes, emotionales Schweigen, nie Kunstkinokitsch.
Der Öffnung der Figuren zuzuschauen ist der eigentliche Reiz dieses Films. Das Wie zählt hier. Es wäre geschmäcklerisch, bei diesem Multikulti-Reigen die eine Spur zu lauten Italo-Klischees oder den etwas zu dramatischen B-Plot um den Marmeladen-Professor zu bekritteln. Das ist nichts im Verhältnis zu Dieckmanns dichter, atmosphärischer Inszenierung: im Nicht-Krimi-Genre bekommt man so etwas in der Primetime heute nur noch selten zu sehen. „Pizza und Marmelade“ beschreibt die Architektur des sozialen Abstiegs und baut zugleich ein Fundament für das Prinzip Hoffnung. Aber der Film erzählt noch so viel mehr, weil er für alles, was im Drehbuch steht, die ideale Optik findet. Die Geschichte bekommt so etwas Flüchtiges, die Figuren etwas Flirrendes und dieses München etwas Exotisches.
Nicht immer sind Seheindrücke identisch mit dem, was sich die Macher gedacht haben. „Ich wollte einen magischen Realismus schaffen, den Schauspielern Raum für ihre Emotionen lassen, über Blicke, Gesten und Körpersprache ihre inneren Welten erzählen, auch über Requisiten, abseits des gesprochenen Wortes“, sagt Oliver Dieckmann. Bei dieser BR-Produktion trifft sich der hohe Anspruch des Regisseurs mit der begeisterten Wahrnehmung des Kritikers. Auch dies eine willkommene Abwechslung in der lauten Welt der PR-Blasen.