Zwei Frauen fahren durch Deutschland – es ist ihr Beruf. Sie sind Handelsreisende, müssen Ladenbesitzern Billigkosmetikas aufschwatzen. Sie sind Konkurrentinnen. Später, als sie erkennen, dass sie draußen sind aus dem Job, tun sie sich zusammen. Zwei Gefährtinnen gegen den Dreck der Straße. „Thelma & Louise“ im Westentaschenformat – nicht die Weite Amerikas, in Christian Petzolds „Pilotinnen“ ist es die zersiedelte Gegend um Leverkusen, die Wiederkehr des Immergleichen, die die Heldinnen kreisen lässt wie in einem Labyrinth.
Die Charaktere, die Ausgangssituation:
Karins Welt sind die Vorstädte. Sie vertreibt Billig-Kosmetik. Sie lebt in billigen Hotels. Ein Zuhause hat sie nicht. Karin arbeitet hart, denn sie braucht jeden Pfennig, um an ihr Ziel zu kommen: Paris. Dort will sie irgendwann einmal leben und dann endlich das Leben genießen. Sophie ist Mitte 30, gelernte Fremdsprachen-Korrespondentin. Sie schläft mit dem Juniorchef des Kosmetik-Unternehmens. Sie hat größere Pläne, klar, nur sie kennt diese noch nicht. Der Junior übernimmt die Firma. Alles neu? Sophie müsste gute Chancen haben. Was zählt, sind gute Verkaufszahlen. Sophie wird Karin als Assistentin zugeteilt. Plötzlich sitzt diese junge, ehrgeizige Frau neben Karin im Wagen. Eisige Kälte…
Foto: ZDF / Aysun Bademsoy
Eine Art „Thelma & Louise“ des Sozialstaates sei seirı Film, betont Filmdebütant Petzold. „Die Fallhöhe der Pilotinnen ist wesentlich kleiner.“ Der Realitätsbezug größer: „Hier sind zwei Frauen mit wirklichen Berufen.“ Die Hauptparallele sei, „dass beide Geschichten die Frauen ganz anders in den Mittelpunkt rücken, als es noch die klassischen Genrefilrne taten.“ Der Berliner Filrnhochschulabsolvent mag das deutsche Fernsehen „mit seinem Gefühlsgedusel“ nicht besonders. Deshalb hat er seine beiden so unterschiedlichen Frauen auch nicht zu romantischen Freundinnen gemacht. „Wenn sie an einem Fenster stehen, dann läuft da nicht irgendein Saxophon-Gejammer während sie ein Foto oder einen symbolisch belasteten Gegenstand in der Hand halten.“ Die Kamera registriert kühl, ohne Pathos auch die Musik.
Dass am Ende dennoch Gefühle beim Zuschauen aufkommen, liegt an einer Dramaturgie, bei der sich Form und Geschichte gegenseitig bedingen. Petzold möchte nicht ans „blöde Mitleid“ der Zuschauer appellieren. Er spricht vielmehr von „synthetisch erzeugten Gefühlen“. Klingt sehr theoretisch. Ist es da nicht vielleicht angebrachter, den beiden wunderbaren Hauptdarstellerinnen, Eleonore Weisgerber („Büro, Büro“) und Nadeshda Brennicke („Manta – Der Film“), einfach nur in die Gesichter zu schauen. Ohne die beiden würde das Road-Movie mit seinen Zwischenstopps in heruntergekommenen Hotels, Restaurants und Kosmetik-Klitschen rasch erlahmen. Von der jungen Brennicke, ein Typ zwischen Steffi Graf und Anica Dobra, wird man gewiss noch einiges zu sehen bekommen. „Aus dem Objekt eines Blondinen-Witzes wird am Ende eine Frau, die sogar ein großes Opfer bringt“, so Petzold.
„Die grauen Bilder aus der Szene des Industrieparks Deutschland taten ihre Wirkung. Grobe Metaphern wie Einflugschneisen, Autobahnen, Hotels und üble Schifffahrtswege zeigten die Richtung an: Die Welt ist eine große, stille Maschine, voll kaltem Handel und Wandel, ohne jedwedes Herz. Aber Petzolds Frauen wollen leben…“ (Marcus Hertneck, SZ 1995)
Foto: ZDF / Aysun Bademsoy
Die von Weisgerber gespielte Vertreterin indes macht keine Entwicklung durch: „Sie geht fast wie ein Cowboy duch den Film. Statt auf ihr Pferd steigt sie in ein Auto ein“, so Petzold, der seiner Abschlussarbeit an der Berliner Filmhochschule (Budget: 500.000 Mark) einen Dreh ins Westernhafte geben wollte. Cowgirl Weisgerber ist große Klasse: Mal gibt sie ihre „Pilotin“ emotional durchlässig, dann wieder hart wie ein Panzer, mit dem sie sich abschottet gegen die Widerwärtigkeiten und Bedrängnisse ihres trostlosen Alltags. (Text-Stand: 6.8.1995)