Phoenixsee

Stieblich, Kampwirth, Fuhrmann, Vörtler, Gantenberg. Im Westen was Neues

Foto: WDR / Frank Dicks
Foto Volker Bergmeister

Mittenrein ins Ruhrgebiet führt die neue sechsteilige WDR-Serie „Phoenixsee“. Autor Michael Gantenberg erzählt vor dem Hintergrund des Strukturwandels vom Zusammenprall zweier unterschiedlicher Lebenswelten am See im Dortmunder Stadtteil Hörde. Mal witzig, mal tragisch, stets authentisch geht es zu bei der alteingesessenen Arbeiterfamilie Neurath und den frisch aus Düsseldorf in eine Villa am Vorzeige-See zugezogenen Hansmanns. Die wunderbare Anna Stieblich, Stephan Kampwirth, Nike Fuhrmann und Felix Vörtler führen das bis in die Nebenrollen stimmige Ensemble voller kantiger, kontrastreicher Charaktere an.

Vor zwei Jahren hat man sich beim WDR mit dem Thema Phoenixsee dokumentarisch beschäftigt, in der Dokumentation „Göttliche Lage“ von Ulrike Franke und Michael Loeken. Über Jahre haben die Filmemacher die Verwandlung eines kompletten Stadtteils in Dortmund kritisch beobachtet. Der Film wurde 2016 mit dem Grimme Preis ausgezeichnet. Nun folgt die fiktive Umsetzung: eine Familienserie über das Projekt, das für den Wandel von der Industrie- in die Freizeitgesellschaft im Ruhrgebiet steht.„Phoenixsee“ bietet sechs Folgen lang ein gelungenes, wenn auch vorhersehbares Spiel mit Gegenwelten. Anhand zweier Familien und ihrer unterschiedlichen Lebenswelten wird vom Strukturwandel erzählt. Hier sind die Neuraths, alteingesessene Arbeiterfamilie aus dem Dortmunder Stadtteil Hörde, hemdsärmlig, schlitzohrig, gemütlich, bodenständig: Mama Sybille (Anna Stieblich) verkauft Brötchen in der Bäckerei, Papa (Felix Vörtler) liebt den BVB, malocht im Autowerk und schraubt nebenbei, die Tochter macht eine Lehre in Steuerkanzlei, der ältere Sohn träumt von einer Karriere als Fußballer und „der Kurze“ läuft einfach so mit. Und da sind die Hansmanns, aus Düsseldorf zugezogen in eine schmucke Villa am Phoenixsee: Birger (Stephan Kampwirth) hat eine Kanzlei, seine Frau Katharina (Nike Fuhrmann) langweilt sich zu Hause, joggt und will wieder studieren, die Tochter findet keine Freunde, und der Sohn spielt bei Borussia Dortmund vor.

PhoenixseeFoto: WDR / Frank Dicks
Die Neuraths (Felix Vörtler & Anna Stieblich) müssen sich neuen Herausforderungen stellen.

Beiden Familien geht es gut – noch. Sowohl die Neuraths als auch die Hansmanns haben existentielle Probleme. Mike hat das Finanzamt im Nacken, er wurde angezeigt, weil er illegal Teile aus dem Werk in seiner Garage in Autos verbaut und über Jahre satt Schwarzgeld kassiert hat. Birger muss erkennen, dass sein Ex-Kanzlei-Partner mit einem pleite gegangenen Bauunternehmer unter einer Decke steckt und dessen Bilanzen frisiert hat. Birger hat die Papiere im guten Vertrauen mitunterschrieben – und so trägt er Verantwortung. Um die Sache leise zu lösen, will er den Gläubigern ihr Geld geben. Er lässt sich dazu auf ein mieses Spiel mit Investitionen in einen geschlossenen Fond in Asien ein. Um an Leute zu kommen, die mit einsteigen, schlägt er Mike einen Deal vor, welchen dieser in seiner Not gerne annimmt.

Eine Menge Themen packt Autor Michael Gantenberg („Ritas Welt“, „Nikola“, einige Folgen der ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“) in diese Serie: Gentrifizierung, Arbeitslosigkeit, Investorenabzocke, Geldvermehrung, Familienprobleme, Erwachsenwerden, Freundschaft, Verrat und – als Hauptthema – Strukturwandel. Für die Trennung zwischen alter und neuer Welt steht symbolisch der Phoenixsee: ein See auf einem ehemaligen Stahlwerksgelände in Dortmund, auf der einen Seite Luxusvillen, auf der anderen die alteingesessenen Arbeiter. Die Welten der beiden Familien unterscheiden sich nicht nur im täglichen Leben, sie werden von Regisseurin Bettina Woernle auch in unterschiedlichen Farben filmisch getrennt: Da ist die in weichen Brauntönen gehaltene Arbeitersiedlung mit den Neuraths, und da ist die in kaltem Grau abgebildete eher feudale Welt der Hansmanns am Vorzeigesee. Jede Folge beginnt mit einer Szene am Steg: Da sitzt Jupp (herrlich trocken: Heinrich Gieskes) und angelt. Und in jeder Episode schaut ein anderer Protagonist der Serie vorbei und sucht Rat bei dem in sich ruhenden Ruhrpott-Original. Jupp hat immer den passenden Spruch aus dem Pott auf Lager.

PhoenixseeFoto: WDR / Frank Dicks
Die Hansmanns – Überleben in Zeiten der Krise. Mutter Katharina (Nike Fuhrmann) kriegt die Krise vor allem allein zu Hause. Birger (Kampwirth) und Sina (Hannah Schiller)

Die oberflächlichen Gegensätze der Familien aus unterschiedlichen Milieus werden im Verlauf der sechs Folgen á 45 Minuten zunehmend aufgelöst. Wird am Anfang mit trockenem Witz und augenzwinkernden Blicken auf Ruhrpott-Befindlichkeiten und die Welt derer, die es geschafft haben, gearbeitet, legt die Serie immer mehr an Dramatik zu und wird Richtung Finale zu einem Sozialdrama im Pott. „Phoenixsee“ will mehr als nur unterhalten, verzichtet aber meist auf den Zeigefinger, platte Botschaften sind die Ausnahme. Es geht um aufeinanderprallende Welten. Hier die Arbeiterschaft, die um den Job bangt, auf Abfindung hofft, dort die kalte Welt der Geldvermehrung, gierig, rücksichtslos. In beiden Welten gibt es Gewinner und Verlierer. Verlierer sind die Männer – ob kleiner Malocher oder Steuerberater. Sie sind unterschiedlich in ihrem sozialen Status, aber beide kämpfen ums Überleben – gerissen der eine, naiv der andere. Das erste Aufeinandertreffen der beiden Männer ist ein klassischer Parklückenstreit. Das ist nicht sonderlich originell, passt aber zu den Figuren. Stark sind die Frauen. Sie bringen die Erdung. Insgesamt sind die Charaktere gut getroffen, das Ensemble bis in die Nebenrollen stimmig besetzt. Anna Stieblich ragt heraus: Mit welcher Natürlichkeit, Besonnenheit und fein dosierter Mimik und Gestik sie die Sybille spielt, ist eine Wucht. Das soll die Leistung der anderen (Vörtler, Kampwirth, Fuhrmann) nicht schmälern.

Eine regional verankerte Serie birgt stets die Gefahr, zu sehr in Klischees der Region zu verfallen. Auch „Phoenixsee“ setzt auf bekannten Bilder und Typen. Doch Autor Gantenberg und Regisseurin Woernle gehen behutsam damit um, sie spielen eher damit und haben viele hübsche Details eingearbeitet (Mettbrötchen werden zu Revier-Sushi). Schwarzweiß-Malerei gibt es nur auf den ersten Blick, die Figuren sind kontrastreich, kantig und sie agieren mit situativem Witz. Stets authentisch, mal heiter, mal tragisch erzählte Lokalgeschichten – „Phoenixsee“ ist noch längst nicht fertig erzählt. Michael Gantenberg, ein Kind des Ruhrgebiets, geboren in Bochum, schreibt schon an einer zweiten Staffel. Stoff bleibt auch nach dem Finale der ersten sechs Folgen reichlich. Die Neuraths und die Hansmanns – sie könnten zu einem Dauerbrenner im Westen werden. (Text-Stand: 19.11.2016)

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WDR

Mit Felix Vörtler, Anna Stieblich, Stephan Kampwirth, Nike Fuhrmann, Heinrich Gieskes, Jürg Löw, Johannes Rotter, Stephan Bieker, Robert Dölle, Caroline Frier

Kamera: Tomas Erhart

Szenenbild: Ralf Mootz

Schnitt: Jan Henrik Pusch

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Mario Krebs, Lucia Staubach

Drehbuch: Michael Gantenberg

Regie: Bettina Woernle

EA: 28.11.2016 20:15 Uhr | WDR

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