Parfum

Becht, Kranenburg, Kadelbach. Diese verdammten Gefühle, diese lieblose Welt!

Foto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Foto Rainer Tittelbach

Die Serie „Parfum“ (ZDF, Netflix / Constantin Film, Moovie) nach Motiven von Patrick Süskinds meisterhaftem Schauerroman erzählt mit dem Mute der ästhetisierten Verzweiflung von den Perversitäten, die der Liebe entspringen, dem Wunsch begehrt zu werden, und entwickelt daraus einen sechsstündigen Alptraum, aus dem es nur selten ein Erwachen gibt. Es geht um das Mysterium der erotischen Anziehung und um die Frage, wie der Geruch die Gefühle manipulieren kann. Vereinsamt, verloren, verzweifelt sind alle in diesem kaputten Mikrokosmos, heute wie gestern. Die Männer schlagen zu, die Frauen nehmen es hin oder sie demütigen ihrerseits das lächerliche starke Geschlecht. Und was erzählen die Bilder? Die Menschen verloren in der Landschaft, gefangen in der Architektur. Selbst die in warme Farben getauchten Rückblenden sind eine Lüge. Düsternis verkommt hier nicht zum Look, Grauen und menschliche Niedertracht werden nicht in glatte Hochglanzbilder verpackt. Der Score ist sensationell, die Besetzung ebenso stimmig wie namhaft. Ein TV-Meisterwerk.

Liebe & Tod: Die Vergangenheit legt sich wie ein Leichentuch über die Gegenwart
Der Niederrhein trägt Trauer. Katharina Läufer ist tot, eine Frau, Ende 30, geliebt & begehrt von der Männerwelt, beneidet von der weiblichen Konkurrenz. Kopf und Scham kahl rasiert, an den Achseln das Unterhautgewebe entfernt. „Ein Trophäenmord“ nimmt Profilerin Nadja Simon (Friederike Becht) an. Die Nachricht von Läufers Tod macht schnell die Runde bei ihrer Clique aus wilden Internatstagen. Besonders getroffen ist Roman Seliger (Ken Duken), der seit seiner Jugend ein Verhältnis hat mit der faszinierenden, von Männern umschwärmten K., wie sie von ihren Bewunderern genannt wurde. Seine Frau Elena (Natalia Belitski), die sich nun für ihre Ehe mehr Normalität versprechen könnte, steht aber keineswegs weniger neben sich. Die Vergangenheit scheint sich wie ein Leichentuch über die Gegenwart zu legen. Nicht minder ambivalente Gefühlslagen durchleben auch die anderen „Freunde“ von damals: Moritz de Vries (August Diehl), Thomas Butsche (Trystan Pütter) und der ewige Außenseiter Daniel „Zahnlos“ Sluiter (Christian Friedel). Die fünf Überlebenden teilen offenbar ein Geheimnis, das mit der speziellen Zurichtung der Toten zu tun hat. Sie haben offensichtlich eine Leiche im Keller. Oder in der Erde? Der tonhaltige, verwesungsresistente Grund in der Nähe des Internats und das damit verbundene Phänomen der „Fettleichen“ könnte so manche Jugendsünde noch heute ans Tageslicht bringen. Kommissarin Simon würde gern mit ganz großem Besteck an diesen Fall herangehen. Staatsanwalt Grünberg (Wotan Wilke Möhring) sieht aber zunächst keinen Handlungsbedarf. Überhaupt liegt er immer häufiger mit Simon überkreuz – und auch immer seltener findet der verheiratete Mann, der seit zwei Jahren ein Verhältnis mit ihr hat, Zeit für ein Schäferstündchen. Sie indes will deutlich mehr von ihm.

ParfumFoto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Die nostalgischen Rückblenden in die 1990er Jahre wurden auf 16mm-Filmmaterial gedreht. Zahnlos (Albrecht Felsmann), Moritz (Leon Blaschke), Butsche (Julius Nitschkoff), Katharina (Franziska Brandmeier), Roman (Oskar Belton), Elena (Valerie Stoll). Das Foto ist blaustichig, auf vielen dieser Szenen indes liegt warmes Licht

Perversitäten, die dem Wunsch entspringen, begehrt und geliebt zu werden
Diese verdammten Gefühle, diese verfluchten Sehnsüchte, diese kaputten Beziehungen: diese lieblose Welt. Die Serie „Parfum“, nach Motiven von Patrick Süskinds meisterhaftem Schauerroman „Das Parfum“, erzählt mit dem Mute der ästhetisierten Verzweiflung von den Perversitäten, die der Liebe entspringen, dem Wunsch begehrt zu werden, und entwickelt daraus einen sechsstündigen Alptraum, aus dem es nur selten ein Erwachen gibt. Nach über zweieinhalb Stunden das erste Lächeln der ermittelnden Hauptfigur. Noch länger dauert es, bis das dubiose Quintett, die ersten Anzeichen von Lebendigkeit und Leidenschaft an den Tag legt: Jeder der fünf gibt in der polizeilichen Befragung etwas preis von der Faszination, die der Süskind-Roman damals auf ihre pubertierenden Gemüter ausgeübt hat. Alle sechs haben ihren Geruchssinn trainiert, haben Riechspiele veranstaltet und später haben sie versucht, Gerüche einzufangen und ihre Wirkung zu testen. Im Zentrum stand schon damals das Mysterium erotischer Anziehung und die Frage, wie der Geruch das Gefühl bestimmt. Wie schon in der berühmten Vorlage geht es in der Serie, die vom ZDF (Premiere auf ZDF neo) und Netflix in Auftrag gegeben und von der Constantin Film und Moovie produziert wurde, um die Manipulierbarkeit von Gefühlen. Geliebt werden wollen sie alle, die fünf „Freunde“, damals wie heute, aber auch die Ermittler. Nadja Simon, diese zerbrechliche Schönheit, wird im Verlauf der Handlung mehr und mehr mit eingesponnen in das krankhafte Beziehungsnetz, in dem die Autorin Eva Kranenburg das Serien-Personal sich heillos verfangen lässt. Vereinsamt, verloren, verzweifelt sind sie alle. Die Männer schlagen zu, die Frauen nehmen es hin oder sie demütigen ihrerseits das lächerliche starke Geschlecht. Aber wer ist der Mörder? Einer dieser fünf oder alle zusammen? Oder jemand anderes? In dieser Form macht ein Whodunit wieder Spaß. Der erste Mord an jener aufregend riechenden K. wird im Übrigen nicht der einzige bleiben: Das Muster, die Male wiederholen sich; die Ermittlungen erleichtert dies nicht.

ParfumFoto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Im Bett können sie sich riechen. Am Arbeitsplatz gibt es allerdings immer mehr Spannungen zwischen Nadja Simon (Friederike Becht) und ihrem Chef (Wotan Wilke Möhring).

Ein persönlicher Einwurf: Die Sache mit der „Frauenfeindlichkeit“
„Die Darstellung von Frauen in dieser Miniserie ist generell ein Ärgernis“, heißt es in einer Vorab-Kritik der ZEIT. Für viele der zahllosen 08/15-Serienmörder-Thriller der letzten zwei Jahrzehnte würde ich diese Bewertung absolut unterschreiben: Da wird – oft visuell spekulativ – gemordet von Psychopathen, frauenverachtenden Fetisch- und Trophäenmördern, von kranken Einzelgängern, die dramaturgisch zu Antagonisten hochstilisiert werden. In „Parfum“ aber ist die Ausgangslage eine andere: Hier wird von verhängnisvollen Beziehungen, von Selbstverleugnung und schmerzlicher Abhängigkeit erzählt. Ob sadistisch oder jähzornig veranlagte Männer oder klassische Frauenhasser, ob bindungsgestörte Masochistinnen oder manische Verführerinnen – Glück ist in diesem Serien-Mikrokosmos keinem vergönnt. Alle Figuren sind schwach, die einen zeigen es, die anderen verstecken es – hinter Schlägen, Pokerface oder einem falschen Lächeln. Das lieblose Miteinander und die Selbstaufgabe für ein kleines bisschen Zuneigung – das ist unter anderem das Thema von „Parfum“. So wie Interaktion immer eine Relation ist, so ist auch ästhetische Kommunikation systemisch. Die Ambivalenz der Charaktere ist entscheidend, nicht das Geschlecht. Gesellschaftspolitische Einwürfe vertragen sich nur selten mit Filmkunst. Auch in Zeiten der berechtigten #metoo-Debatte darf Fiktion nicht zum pc-Wunschgenerator verkommen. Starke Frauen als Heldinnen ja, aber nicht in jeder Geschichte, nicht in jedem Film. Und bei komplexen Premium-Serien sollte man ohnehin nicht vorschnell urteilen.

ParfumFoto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Die Atmosphäre kann noch so sinnlich aufgeladen sein: Elena (Natalia Belitski) macht zwar auf verführerisch, aber die Lust am Sex ist ihr längst vergangen. Und Daniel (Christian Friedel) hat zwar mittlerweile Zähne, aber auch Erektionsprobleme.

Topografie & Ikonografie: verloren in der Landschaft, gefangen in der Architektur
Flach und weit, wolkenverhangen und trostlos – die Landschaft ein Jammertal. Regisseur Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“) und sein kongenialer Kameramann Jakub Bejnarowicz („Auf kurze Distanz“) zeichnen den Niederrhein ähnlich wie einst Antonioni die Poebene („Die rote Wüste“) oder Christian Petzold („Wolfsburg“) in seinen frühen Filmen die Topografie deutscher Landstriche: Der Mensch, verloren zwischen Strommasten und schnurgeraden Alleen. Und auch die Architektur besitzt nichts wirklich Wohnliches. Hässliche Neureichen-Bungalows, brachliegende Swimmingpools, ein Puff mitten im Niemandsland, in dem das Rauschen der Autobahn sich mit den Lustgestöhn mischt, und dem Büro des Staatsanwalts fehlt die Bodenhaftung, so wie diesem Mann die Menschlichkeit. Emotionale Eiszeit herrscht in dieser Welt. Dagegen waren die Jugendjahre geradezu noch ein Idyll, im Internatsschlösschen mit den verwunschenen Orten, dem Wäldchen, dem See, dem Fluss oder der romantischen Burgruine, in der allerdings eine 13-Jährige alles andere als romantisch ihrer Unschuld beraubt wurde. Das Idyll ist nur vordergründig. In Wahrheit sind die zwischenmenschlichen Deformationen des Erwachsenenalters bereits eingeschrieben in die pubertären Verhaltensmuster. Jeder will dazugehören, will geliebt werden – koste es, was es wolle. Und notfalls verbrüdert sich die Liebe mit der Gewalt. So warm die Rückblendenbilder in der Coming-of-age-Phase auch sein mögen – narzisstische Störungen, Missbrauch von Abhängigen, Vergewaltigung und Verrat verbergen sich hinter der nostalgischen Fassade.

ParfumFoto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Außen warm, innen kalt, leer und unsicher. Von Jugend an geprägt: Elena (Valerie Stoll)

Artifizielles Schauer-Krimidrama geht auf Distanz, bietet Top-Flow & 1A-Ästhetik
Menschen, wie eingemauert in den Zwängen ihrer Existenz, leblos wie hinter Glas – so wirken die Charaktere in der ersten Episode „Ambra“. Stoisch die Tatortbegehung der Polizei, in Schockstarre verharrend die, die die Tote kannten und begehrten. Warm werden mit den Hauptfiguren ist nicht das Ziel der Exposition. Eine Serie ist ja immer auch ein potenzielles Lust-Objekt für den Zuschauer. Während sich das sadomasochistisch veranlagte Quartett Liebe erbettelt oder Sexualität sich nimmt, halten sich die Figuren gegenüber dem Zuschauer bedeckt. Auch der Film biedert sich nicht beim Betrachter an, die Geschichte, die Dramaturgie und die Inszenierung bleiben einer narrativen Wahrheit verpflichtet. Das Resultat ist ein artifizielles Schauer-Krimidrama, das die Intimität bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, das Liebe in ihr Gegenteil verkehrt, das um Distanz zu seinem Personal bemüht ist und so einen magischen Spannungsfluss entwickelt; dieser bedient sich nicht der ambivalenten und letztlich doch identifikationsträchtigen Helden des amerikanischen High-Quality-Serien-TV. Die Schauspieler, allen voran Friederike Becht, sind dennoch große Klasse, auch wenn sie den Zuschauer nicht an die Hand und ihre Figuren ihn nicht huckepack nehmen. Das Faszinosum von „Parfum“ ist vielmehr die Narration, die in Zeit und Raum ästhetisierte Erzählung.

ParfumFoto: ZDF / Jakub Bejnarowicz
Vorhang auf für den begnadeten Parfumeur: Moritz de Vries (August Diehl) lebt in Paris. Das Leichendieb-Prinzip? Tötet für seine Obsession vielleicht ein Anderer?

Düsternis verkommt nicht zum Look, und der Score ist geradezu sensationell
„Ein sorgfältig erarbeitetes gestalterisches Konzept, das sich folgerichtig der Geschichte und der emotionalen Entwicklung ihrer Charaktere widmet und jede ästhetische oder dramaturgische Beliebigkeit ausschließt“, das hatte Regisseur Kadelbach für die Serie im Sinn – und er hat es bis zur letzten Konsequenz realisiert. Das ist in seiner Tiefe, Tragik & seiner Stilisierung höchst deutsch und hat doch erfreulicherweise mit dem deutschen Krimi-TV, wie es das ZDF für die Primetime bevorzugt, wenig zu tun. Düsternis verkommt hier nicht zum Look, Grauen und menschliche Niedertracht werden nicht in glatte Hochglanzbilder verpackt. Ob in die Breite oder kammerspielartig inszeniert – so gnadenlos auch das Gezeigte ist, die Bilder besitzen eine Seele. Für Fernsehverhältnisse geradezu sensationell ist der Score von Fabian Römer und Michael Kadelbach: Die Musik doppelt weder den Sinn der Bilder, noch plätschert sie in irgendeiner Szene achtlos vor sich hin. Stattdessen legt sich der Score mal unheilvoll vorausdeutend über die Szenerie, spiegelt hauchzart versteckte Gefühlslagen oder malt das Innenleben, besonders der Hauptfigur (außen Eis, innen heiß), in kräftigen Tönen aus. „Da war ein Meister am Werk“, sagt der Leichenbeschauer über den zugerichteten Körper der ersten Toten. Bei der Miniserie „Parfum“ waren mehrere Meister am Werk.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

Netflix, ZDF

Mit Friederike Becht, Wotan Wilke Möhring, Christian Friedel, Natalia Belitski, Ken Duken, August Diehl, Trystan Pütter, Juergen Maurer, Valerie Stoll, Julius Nitschkoff, Franziska Brandmeier, Oskar Belton, Albrecht Felsmann, Marc Hosemann, Susanne Wuest

Kamera: Jakub Bejnarowicz

Szenenbild: Cora Pratz

Schnitt: Bernd Schlegel

Musik: Fabian Römer, Michael Kadelbach

Casting: Patrick Dreikauss, Nina Haun

Redaktion: Günther van Endert

Produktionsfirma: Constantin Film, Moovie

Produktion: Oliver Berben, Sarah Kirkegaard

Drehbuch: Eva Kranenburg

Regie: Philipp Kadelbach

EA: 14.11.2018 22:15 Uhr | ZDFneo

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach