Rubinhochzeit bei den Winters. Papa fällt aus der Rolle. Als Opfer muss mal wieder die Frau herhalten. „Jedes Jahr legst du eine Kleidergröße zu.“ Ein paar Tage später fällt die Gute tot um. Die Zeiten des Lästerns sind vorbei. Am Tag des Todesfalls fährt jener Theo noch zu allem Überfluss ein Mädchen an. Vor Gericht gibt sich der leidenschaftliche Verkehrsplaner renitent. „Ich bin das Opfer“, tönt er. Mit dem große Töne spucken ist es erst einmal vorbei. Theo Winter muss im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs die von ihm angefahrene, 17jährige Johanna betreuen. Das Mädchen ist mehrfach straffällig geworden und ist im offenen Vollzug. Theo soll Johanna kulturell fördern. Was mit „Herr Arschloch“ und „kleine Ratte“ beginnt, ist der Anfang einer, nicht wunderbaren, aber erquicklichen Freundschaft.
Die Hauptfiguren von „Papa allein zu Hause“ sind zur Zusammenarbeit gezwungen. Beide müssen ihrem Bewährungshelfer berichten. Das ist hübsch ausgedacht: der Kontrollfreak und die minderjährige „Bitch“ (eine ernste Variante gab es im Themen-Stück „Zivilcourage“). Zwei Menschen – der totale Gegensatz. Nur in einem Punkt treffen sie sich: beide verstehen nichts von Familie. Sie, das ungeliebte Kind, von der eigenen Mutter und der Adoptionsfamilie zurückgewiesen; er, der selbstgefällige Familienvater, der sich nie für seine Kinder interessiert hat. Theo kann nun etwas gut machen, was er bei den eigenen Kindern versäumt hat. Die Tochter ist mit dem Vater noch nicht im Reinen und dichtet dem rüstigen 65-Jährigen, der wenige Tage nach seiner Frau auch noch seinen geliebten Beruf „verloren“ hat, eine Affäre mit der Kleinen an. Bis alles gut wird, wird noch viel schmutziges Geschirr nicht gewaschen. Denn so ein bisschen was sollte ja der blödsinnige Titel mit dem Film auch zu tun haben.
Die Geschichte wirkt etwas naiv. Es ist weniger das Erzählte als die Erzählweise, die „naiv“ ist. Regisseurin Vivian Naefe, die auch das Drehbuch geschrieben hat, liebt diese Szenarios, die etwas Märchenhaftes besitzen, in denen Dinge möglich sind, die die graue Wirklichkeit nicht hergibt. Den universalen Bedürfnissen des Menschen, den verschütteten Gefühlen, den großen Emotionen des Kinos, die sie meist nur mit den Mitteln und den Sehgewohnheiten des Fernsehens bedienen darf, gehört ihre Liebe. Ihre Phantasie, die Sinnlichkeit des Augenblicks, die Arbeit mit den Schauspielern, verspielte Details, das sind ihre Stärken. Psychologie, die Erzähllogik im Detail, das Strukturelle, das ist Naefes Sache nicht. Man muss kein Pedant wie Theo Winter sein, um hier über viele Details der Geschichte zu stolpern. Dem Buch fehlt es an Geschlossenheit, die Motive (Affäre/Missbrauch, schwuler Sohn) werden einfach mal so ins Spiel geschmissen. Allein das Verkehrsplaner-Motiv erfährt eine gekonnte Verdichtung.
„Papa allein zu Hause“ ist die situative Abfolge einer tragikomischen Entwicklungsgeschichte, eine Komödie, wie sie Naefe dramaturgisch und filmisch auch 1997 so hätte machen können. Sicher ist zwischen einer typisch europäischen Tragikomödie mit einem in typisch deutscher Genretradition agierenden Hauptdarsteller und einer mit Sitcom-Erfahrung gespeister Screwball Comedy ein Unterschied – aber wenn man sieht, was Autorin Gerlinde Wolf („Adel dich“) bei Naefes letzter Komödie „Der Doc und die Hexe“ für ein (vorzügliches) Script vorlegte, dann kann einem schon die Idee kommen, dass hier mehr möglich gewesen wäre. So ist es letztlich ein überzeugender Schauspielerfilm geworden (Götz George, so wie man es von ihm erwartet; Janina Stopper, noch besser, als man es von ihr erwartet), der zwischen den Generationen vermittelt, weniger, indem er die Differenz betont, sondern mehr, indem er das Universale, den Wunsch nach Nähe, das Flüchten aus der Einsamkeit, hervorkehrt und es auf einfache Bilder bringt: „Mir ist kalt – und dir auch.“ (Text-Stand: 16.5.2011)