Endlingen liegt irgendwo im Ländle, für den 16-jährigen Ben aber – wie der Name schon sagt – eher am Ende der Welt. Und dieses Dorf ist auch so gut wie am Ende. Ein paar Bauern, Anna und Georgi, ein unglückliches Ehepaar, Anna und Jojo, ein unglückliches Liebespaar, das die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft noch nicht aufgegeben hat, und Bens dementer Großvater. Außerdem Maslow, der selbsternannte Dorfkönig. Der hat mal wieder einen Plan für die Rettung von Endlingen. Was 1947 in Roswell, New Mexico, geklappt und bis heute zu einem Touristen-Run geführt hat, das möchte er nun für die schwäbische Pampa schaffen: den Mythos eines UFO, das hier mal eben zwischengelandet ist. Die „Untertasse“ ist gebaut und fliegen kann sie sogar auch. Als dann eine junge Frau mit Reifenpanne im Dorf aufschlägt, geht Maslow davon aus, dass jene Lena Journalistin ist und sich incognito ein Bild machen möchte von der Echtheit des unbekannten Flugobjekts. Die Nacht der Nächte naht. Zuvor allerdings gibt es noch einen Toten zu beklagen, den Russen Georgi, und seine Frau Anna und Jojo, der sie liebt, stehen unter Mordverdacht. Der Endlinger UFO-Zwischenfall steht also unter keinem guten Stern. Besser sieht es da schon für die Liebe aus.
Foto: SWR / Daniela Incoronato
Der ARD-Fernsehfilm „Pampa Blues“ erzählt Geschichten von kleinen und großen Träumen, von der Suche nach den Wegen des Glücks, die sehr individuell sind und doch im Idealfall gemeinschaftlich ausgelebt werden können; er erschafft seine eigene kleine Welt und entfaltet einen ganz besonderen Charme, der mit „altmodisch“ oder „märchenhaft“ nur unzureichend erklärt wäre. Vier Figuren bilden das Zentrum dieses wundervoll ernsthaften Komödien-Mikrokosmos’. Im Zentrum steht Ben, der junge Mann, erst 16 Jahre alt, aber durch die Verantwortung früh, zu früh, erwachsen – und ernst – geworden: der Vater tot, die Mutter abwesend, eine Jazzsängerin, ständig auf Tournee, da muss Ben die Pflege seines zwar grundentspannten, aber zunehmend dementen Großvaters allein übernehmen. Allzu glücklich ist er nicht. „Ich hasse mein Leben“, verrät er als Ich-Erzähler in der Exposition des Films dem Zuschauer. Er träumt von Afrika, wohin er einmal auswandern möchte. Er liebt aber auch seinen Großvater. Gelegentlich schraubt Ben ein bisschen in der Kfz-Werkstatt des Dorfs herum. Die gehört zwar Maslow, aber der steht lieber in seiner Kneipe hinterm Tresen, wenn er sich nicht gerade wieder einmal in Visionen über die Zukunft von Endlingen ergeht. Lena ist knapp 20, ein lebendiger, lockerer Typ, ganz anders als Ben, den sie gerade deshalb ausgesprochen liebenswert findet. Wie er ist aber auch sie noch auf der Suche. Sie, die schon mehr gesehen hat von der Welt, findet Endlingen seltsamerweise gar nicht mal so uncool.
Foto: SWR / Daniela Incoronato
Dass auch die beiden Nebenfiguren, die zwischenzeitlich Endlingen in Richtung JVA verlassen müssen, ihre Geschichte haben, die am Ende wieder geschickt und höchst amüsant in die Gesamterzählung der vier Hauptakteure eingebunden wird, ist sicher ein Stück weit der Tatsache zu verdanken, dass „Pampa Blues“ nach einem Roman entstanden ist – und man in der Literatur nun mal weniger Funktionsfiguren, wie sie in Filmen üblich sind, erschafft. Dass der Romanautor, Rolf Lappert, das Drehbuch selbst geschrieben hat, was nicht immer ein Vorteil sein muss, erweist sich als Glücksfall. So ist ein Film entstanden, der sich keinem Genreerzählen unterordnet, der diese Geschichten aus der Pampa dramaturgisch nicht überreglementiert und sich jeglicher Drehbuchroutine versagt. „Pampa-Blues“ ist ein richtig schön erzählter Film, ein Film, der fabuliert, der erfindet, der nicht nach Glaubwürdigkeit fragt – und vielleicht gerade deshalb so wunderbar poetisch wirkt. Die für den Freitagsfilm in der ARD (trotz des neuen Windes immer noch) ungewöhnlich stimmungsvolle Anmutung hat selbstverständlich auch sehr viel mit der homogenen Inszenierung von Kai Wessel („Spreewaldkrimi – Mörderische Hitze“) und der atmosphärischen Bildgestaltung von Hagen Bogdanski zu tun. Liebevoll arrangiert ist auch das Szenenbild und der Country Blues, der vom Sommerlicht umspielt wird, beamt einen geradezu ins Ursprungsland dieser Musik.
Soundtrack: Titus Wolfe & Ralf Wienrich („Walkin‘ up the Road“), Sons of the Pioneers, Harry Belafonte
Foto: SWR / Daniela Incoronato
Das Wohlfühlmoment von „Pampa Blues“ hat sicher auch mit einer Art Puppenstubeneffekt zu tun, aber der Film verzichtet im Gegensatz beispielsweise zu den RBB-Schnurren um das Original Horst Krause sowohl auf die Zeichnung eines Dorfidylls als auch auf überschräge Figuren. Die SWR-Degeto-Produktion singt kein Hohelied auf Provinz und Landlust, immer wird deutlich, dass es da noch etwas anderes gibt: Hinterm Horizont geht’s weiter. Fernweh, Afrika, das Gegenmodell, das vielleicht sogar reizvoller sein könnte – irgendwann einmal, Ben und Lena sind ja noch jung. Apropos jung: Dass der ARD-Freitagsfilm erstmals einen Teenager, der allerdings ein paar Jahre älter wirkt, zur Hauptfigur macht, ist erfreulich. Noch erfreulicher, dass bei diesem Charakter, überaus sensibel von Sven Gielnik verkörpert, und der drittgrößten Rolle, die nur unwesentlich ältere Lena, die für Paula Beer nach „Poll“ (2010) und „Das finstere Tal“ (2014) ein weiterer Schritt zur großen Karriere werden dürfte, nicht – wie so oft bei Krimis im Jugendmilieu – Kalkül mitschwingt. Im Gegenteil: Quotentechnisch wird es der Film schwer haben. Schwerer beispielsweise als ein anderer Ausnahme-Degeto-Film, „Nichts für Feiglinge“, der auch mit mehreren jungen und einer alten Hauptfigur daherkommt. Hannelore Hoger allerdings dominierte den Film; Joachim Król in „Pampa Blues“, zwar ebenfalls eine wunderbare – obgleich nicht so tiefschürfende – Komödienrolle, steht dagegen deutlich an zweiter Stelle. Das so zu belassen, weil das die Geschichte ist, die man erzählen möchte, und nicht an der Geschichte redaktionell herumzumurksen (wie es bei den Sendern viel zu häufig passiert) ist eine qualitätsorientierte öffentlich-rechtliche Redaktionspolitik, wie man sie sich öfters wünschen würde. (Text-Stand: 25.8.2015)