Es könnte so schön sein. Die Hamburger Tischlerin Eva Jensen (Jennifer Ulrich) möchte sich den Traum von einer Werkstatt mit Meerblick nicht nehmen lassen. Doch es ist nicht leicht für sie, an der mecklenburgischen Ostseeküste Fuß zu fassen. Die anvisierte Immobilie steht nur „halb“ zum Verkauf, denn Hinrich Kniepholt (Hermann Beyer) will seine Strandkörbe-Manufaktur nicht aufgeben, während seine Ex-Frau Heide (Jutta Wachowiak) die Werkstatt nur zu gern loswerden würde. Eva jedenfalls bleibt weiter dran. Sie mietet sich bei Trine Sanchez (Claudia Geisler-Bading) ein, freundet sich mit der lebenslustigen Frau an und versucht, erste Kleinaufträge in der Gegend anzunehmen. Doch die Küstenbewohner sind skeptisch. Was kann eine Hamburgerin hier schon wollen, als den Einheimischen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Es bedarf einiger glücklicher Zufälle – bis die Dörfler ihre Meinung ändern. Nur der olle Kniepholt will weiterhin nicht verkaufen. Dass Eva nicht die einzige Interessentin für die Werkstatt ist, nimmt sie sportlich, und ihr Konkurrent, Fischladen-Besitzer und Kite-Surfer Christian (Max Woelky), wirkt ausgesprochen sympathisch. Was allerdings nicht heißt, dass er seinen Heimvorteil nicht auszuspielen versucht.
Was will eine Hamburgerin, Ende 30, bei den „Döspaddeln“ an der ostdeutschen Küste? Für einem Unterhaltungsfilm wie „Ostsee für Sturköppe“ reicht eine Kindheitserinnerung völlig aus: Ein wunderschöner Sommerurlaub sind für die Heldin Grund genug, um nach dem Schiffbruch der letzten Beziehung ausgerechnet in dieser Urlaubsregion den Neuanfang zu wagen. Diese möglicherweise verklärten Ferien an der Ostsee in den neunziger Jahren verankern noch ein weiteres Motiv in der Geschichte: Damals war die Familie noch komplett, ihre beste „Freundin“, ihre Schwester Nina, war noch nicht an Leukämie erkrankt. Verlusterfahrungen sind das heimliche (dramaturgische) Band zwischen Eva Jensen und ihren Verkäufern in spe. Im Unterschied zu der ebenso feinfühligen wie patenten Hanseatin haben es die Kniepolts allerdings nicht geschafft, in ihr altes Leben zurückzukehren. Ihre Beziehung ist zerbrochen, obwohl eine Sehnsucht nach Annäherung und Versöhnung spürbar ist. Und so lässt Drehbuchautorin Sarah Esser die Hauptfigur zur empathischen Mittlerin werden, zur psychotherapeutischen Beraterin des verbitterten Sturkopfs, der – man ahnt es hinter Hermann Beyers Schroffheit – ein gutes Herz hat. Hart, aber herzlich. Und diese Härte kommt nicht von ungefähr. Besonders die letzten Jahre in der DDR waren für die Kniepolts schwer. Sonne, Strand und Meer ist das Eine, aber die damit verbundene Provinz kann auch Tücken haben, besonders wenn politischer Druck hinzukommt. Dem Film gelingt es, en passant etwas von dieser Ambivalenz zu vermitteln.
Foto: Degeto / Boris Laewen
Ebenso beiläufig kommt in „Ostsee für Sturköpfe“ auch die Romantik ins Spiel. Als sich Christian, der potenzielle Love Interest für Eva, dem Zuschauer als Konkurrent um die Werkstatt zu erkennen gibt, ahnt man einen jener Konflikte, die immer wieder gern in den ZDF-„Herzkino“-Reihen der alten Schule bemüht werden. In diesem Drama mit leichtem Unterton, welchen die recht alltagsnahen Charaktere einbringen, läuft das Ganze aber nicht auf einen verbissen geführten Konflikt hinaus, im Gegenteil, es wird eher zu einem kleinen Widerhaken, der das erotische Beziehungsspiel angenehm verzögert. Dass die beiden sich finden werden, ist eine Genrekonvention, die man sich – ehrlich gesagt – als Zuschauer:in erhofft. Die Anlage der beiden Figuren und die Ausstrahlung von Jennifer Ulrich (zuletzt „Die Whistleblowerin“) und Max Woelky („Mit Herz und Holly“) fordern geradezu auch ein solches amouröses Happy End. Erfreulich hinzu kommt, dass sich die Autorin für den Schluss noch eine kleine retardierende Pointe aufgehoben hat, die das glückliche Ende in jeder Beziehung nicht aufhalten kann, es aber alltagsnäher und herausfordernder gestaltet, sodass gewiss so mancher noch gern dabei zugesehen hätte, was diese vier Hauptcharaktere wohl noch so weiterhin treiben werden. Damit erreicht dieser 90-Minüter etwas, was sonst vor allem die Aufgabe von Serien und Reihen ist: liebenswerte Charaktere zu schaffen, denen man als Zuschauer gern folgt.
Das liegt neben der Besetzung auch an den stimmigen (symbolischen) Details, mit denen die emotionale Ebene der Geschichte unterfüttert wird: Da ist das altersschwache Radio aus den Achtzigern, welches die erste Szene einläutet, das „Mittlerin“ Eva später reparieren wird und das viel mehr als ein Musikabspielgerät ist. Dass aus diesem Radio Billy-Idol- und New Order-Songs erklingen, dürfte kein Hinweis darauf sein, was die Eltern Kniepholt Ende der 80er Jahre gehört haben… Auch das Drachen-Motiv bekommt eine Doppelfunktion als Sehnsuchtsobjekt: Was einst ein Flug-Drachen für Kinder war, ist heute das Kite-Surfen, für das sich die Heldin entsprechend schnell begeistern lässt. Wind, Meer und Bewegung – auch Regisseurin Joana Vogdt, unterstützt von Kamera (Peter Steuger) und Schnitt (Birgit Gasser, Laura Hölzel), vermag diese Verbindung sinnlich und stimmungsvoll in Bilder umzusetzen. Das weckt auch eine gewisse Vorfreude auf den Sommer. Dieses Prinzip ist so alt wie das deutsche Fernsehen, seit dem Beginn des dualen Rundfunksystems: Vor zehn, fünfzehn Jahren sorgte allerdings noch „Das Traumhotel“ für derlei Begehrlichkeiten. Heute ist es immerhin ein Film wie „Ostsee für Sturköppe“. (Text-Stand: 12.12.2023)