Ostfriesenwut

Picco von Grote, Stefan Kurt, Christian Limmer, Repond. Das Böse kehrt zurück

Foto: ZDF / Sandra Hoever
Foto Tilmann P. Gangloff

Der neunte Ostfriesenkrimi ist der dritte mit Picco von Groote, deren intensives Spiel fast vergessen lässt, dass sie bereits die dritte Darstellerin der Hauptfigur ist. Die Handlung von „Ostfriesenwut“ (ZDF / Schiwago) hat das Potenzial für einen hochgradig fesselnden Thriller: Der Mörder von Ann Kathrin Klaasens Vater kehrt zurück und droht, das Trinkwasser von Aurich zu vergiften. Sehenswert ist der Film jedoch neben Picco von Groote vor allem wegen Stefan Kurt als formidabler Schurke. Die Inszenierung ist dagegen viel zu brav.

Es gehört zu den ungeschriebenen Regeln des Horrorgenres, dass das Böse nie gänzlich besiegt ist; meist glimmt noch ein Fünkchen Leben in dem Monster, damit es eine Fortsetzung geben kann. Thriller funktionieren mitunter ähnlich: Ann Kathrin Klaasen wähnt den Mörder ihres Vater hinter Schloss und Riegel, muss jedoch zu ihrem Entsetzen erfahren, dass er sich seit Wochen auf freiem Fuß befindet. Und nicht nur das: Er arbeitet jetzt als V-Mann für das Bundeskriminalamt, weil er angeblich der einzige ist, der einen Giftanschlag auf die ostfriesische Trinkwasserversorgung verhindern kann. Beste Bedingungen also für fesselnde neunzig Minuten: Die Hauptkommissarin aus Aurich muss sich nicht nur erneut ihrem Erzfeind stellen, sondern auch noch tausende Menschenleben retten. Dass „Ostfriesenwut“ trotzdem nicht der Film geworden ist, der er hätte werden können, liegt an der allzu unaufgeregten Regieführung.

OstfriesenwutFoto: ZDF / Sandra Hoever
So stirbt man in Ostfriesland. Klaasen (Picco von Groote), Rupert (Barnaby Metschurat) und Weller (Christian Erdmann) bekommen es mit einer angespülten Leiche zu tun. Gangloff bemängelt die Filmsprache. Die Pressefotos aber sind gut.

Die Schweizerin Christine Repond hat zuletzt zwei allenfalls mittelprächtige „Tatort“-Beiträge aus Zürich inszeniert („Risiken mit Nebenwirkungen“ und „Schattenkinder“, 2022); beide erzählten potenziell interessante Geschichten, aber die Umsetzung war wenig mitreißend. Beim neunten Ostfrieslandkrimi verhält es sich ähnlich. Dass sich das Einschalten dennoch lohnt, ist vor allem Stefan Kurt zu verdanken. In „Ostfriesensühne“, als Klaasen ihren Vater rehabilitieren und seinen Ex-Partner überführen konnte, schlug die große Stunde des Schweizers erst gegen Ende. Diesmal prägt er den Film ähnlich stark wie Hauptdarstellerin Picco von Groote, deren subtile Präsenz fast vergessen lässt, dass sie nach Christiane Paul (eins bis drei) und Julia Jentsch (vier bis sechs) bereits die dritte Darstellerin der Kommissarin ist. Dabei kommt ihr sicher auch entgegen, dass die Rolle leicht modifiziert worden ist: Drehbuchautor Christian Limmer – „Ostfriesenwut“ ist seine dritte Arbeit für die Reihe – verzichtete bei der Adaption von Klaus-Peter Wolfs gleichnamigem Roman wie schon zuletzt auf die übersinnliche Ebene, die in den ersten Episoden eine Art Alleinstellungsmerkmal war. Dass Klaasen den Schurken in dessen Haus hinter sich im Spiegel erblickt, ist eher Eingebung als Vision, ebenso wie ein Schlüsselmoment gegen Ende, als ein Schiffsmodell ihr verrät, wo sie ihn findet.

Offen bleibt allerdings, wie Wilhelm Beukelzoon an die unter staatlicher Kontrolle entwickelte hochgiftige Rizin-Modifikation gelangen konnte, zumal er doch im Gefängnis war, aber diese Frage wird von mehrfacher Empörung überlagert: Noch bevor sie wissen, dass das BKA mit dem Verbrecher kooperiert, sind Klaasen und ihr Ehemann und Kollege (Christian Erdmann) fassungslos über das rücksichtslose Vorgehen der Bundesbehörde, die nicht mal die Bevölkerung warnen will. Den Einsatzleiter spielt Jan Henrik Stahlberg, dessen Krimifiguren stets mit mindestens einem Fuß auf der dunklen Seite stehen. Es passt daher ins Bild, dass er die Kommissarin kurzerhand in der Psychiatrie verschwinden lässt, als sie ihm in die Quere kommt. Kollege Rupert ist natürlich auf seiner Seite; Barnaby Metschurat hat den Kommissar von Anfang an als Kotzbrocken verkörpert. Immerhin erkennt er seinen Fehler gerade noch rechtzeitig. Das Publikum weiß ohnehin längst, dass Beukelzoon die treibende Kraft hinter der Erpressung ist; der Mann, der acht Millionen Euro fordert, ist ein früherer Zellengenosse.

OstfriesenwutFoto: ZDF / Sandra Hoever
Klaasen (von Groote) wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Sie halluziniert, wobei ihr Beukelzoon (Stefan Kurt) erscheint.

Gerade auch im Vergleich zum imposant gestalteten Vorspann ist Reponds Inszenierung allerdings viel zu brav. Handwerklich ist „Ostfriesenwut“ zwar solide, aber völlig frei von optischen Überraschungen. Der Film lebt neben der Handlung größtenteils vom überzeugenden Ensemble. Das gilt neben Picco von Groote und Stefan Kurt, der das Spektrum zwischen freundlich-jovial und skrupellos-kaltblütig perfekt bespielt, auch für Athena Strates und Victoire Laly als junge Gespielinnen des Verbrechers: die eine, Eske, allzu neugierig, was sie prompt das Leben kostet; die andere, Inga, als Nemesis, die Rache für den Tod der Geliebten nehmen will. Auch Paul Wollin und Lili Zahavi als rechte und linke Hand des Teufels verkörpern ihre Rollen nicht stereotyp und gewinnen dem Pärchen sogar sympathische Seiten ab. Schon Reponds Kinofilm „Vakuum“ (2019) mit Barbara Auer als Ehefrau, die vom Gatten (Robert Hunger-Bühler) nach dessen Bordellbesuch mit dem HI-Virus infiziert wird, beeindruckte in erster Linie darstellerisch. Immerhin gibt es ein spektakuläres Bild für Eskes Weg ins Jenseits, als sich das Meer nach ihrem Tod im Himmel spiegelt. (Text-Stand: 4.12.2023)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Picco von Grote, Stefan Kurt, Christian Erdmann, Jan Henrik Stahlberg, Victoire Laly, Barnaby Metschurat, Paul Wollin, Lili Zahavi, Athena Strates, Marie Schöneburg, Birge Schade, Kai Maertens

Kamera: Doro Götz

Szenenbild: Juliane Friedrich, Anja Badeck

Kostüm: Christin-Marlen Freyler

Schnitt: Ulrike Tortora

Musik: Roman Fleischer, Tim Schwerdter.

Soundtrack: The Trammps („Disco Inferno“), The Beatniks („Se Acabo”), Robbie Williams („Angels”)

Redaktion: Silvia Lambri

Produktionsfirma: Schiwago Film

Produktion: Martin Lehwald, Marcos Kantis

Drehbuch: Christian Limmer – Vorlage: Klaus-Peter Wolf

Regie: Christine Repond

Quote: 6,22 Mio. Zuschauer (23,5% MA)

EA: 03.12.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 30.12.2023 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach