Operation Zucker – Jagdgesellschaft

Uhl, Maticevic, Ani, Jung, Hormann. Perfekter Themenfilm, großartig erzählt!

Foto: BR / Stephan Rabold (auch Fotos im Text)
Foto Rainer Tittelbach

Der Alptraum geht weiter für die von Nadja Uhl gespielte LKA-Kommissarin, die mit Hilfe eines Journalisten einem Kinderhändlerring in Potsdam auf die Schliche kommt. Doch das Ermitteln erweist sich einmal mehr als eine verzweifelte Jagd gegen ein Netzwerk von Kinderschändern und deren Helfershelfer: Die gutbürgerlichen Kunden und die „Dienstleister“, die „die Ware“ kontrollieren und ausliefern, stehen im Mittelpunkt von „Operation Zucker – Jagdgesellschaft“, der seinem Vorgänger „Operation Zucker“ (2013) in nichts nachsteht. Nicht nur gut gemeint, sondern auch sehr gut gemacht! Intelligent die Informationsvergabe. Die sexuellen Handlungen nur angedeutet. Das Thema nicht für Unterhaltungszwecke missbraucht. Die Besetzung großartig. Und der Schluss mit der bestmöglichen Option!

Kurierdienst liefert Herren der besseren Gesellschaft Kinder frei Haus
Der Alptraum geht weiter. Die LKA-Ermittlerin Karin Wegemann (Nadja Uhl) hat sich zwar in den Innendienst versetzen lassen, doch der Journalist Maik Fellner (André Szymanski) weiß, wie er sie wieder auf die Straße kriegt: Fellner hat etwas zum Thema Kinderhandel und Kinderprostitution recherchiert, das ohne das Tätigwerden der Polizei wertlos ist. Er weiß von einem brandenburgischen Zirkel, der sich offenbar systematisch an Kindern und jungen Mädchen vergeht. Eine Spur führt zum Bauunternehmer Kai Voss (Sebastian Hülk) und seiner Frau (Jördis Triebel); bei ihnen wohnen die 14jährige Vanessa (Stephanie Amarell) und die sehr viel jüngere Lucy (Carlotta von Falkenhayn). Das Ehepaar gibt die beiden als Tochter und Nichte aus, simuliert für die Kinder eine Art Familie, in Wahrheit aber betreiben der angesehene Geschäftsmann und die ehemalige Kinderprostituierte eine Art Kurierdienst für einige noch feinere Herren der Gesellschaft. Auch ein Potsdamer Staatssekretär (Robert Schupp) gehört zu den Kunden. Sein Mädchen ist Laura (Mathilde Bundschuh), wenn er pfeift, steht sie parat, wechselt die Jeans gegen ein luftiges, kurzes Kleidchen. Wegemann und ihr anfangs unwirscher und wenig motivierter Kollege Ronald Krug (Misel Maticevic) nehmen, unterstützt vom Innenminister (Matthias Matschke) und Staatsanwalt Mack (Rainer Bock), die Fährte auf und kreisen die Täter ein, in der Hoffnung, dass es nicht wieder ein Schlupfloch gibt. Doch kann man überhaupt allen in den eigenen Reihen vertrauen?

Operation Zucker – Jagdgesellschaft
Mal wieder zu spät? Die Verzweiflung der Jäger. Nadja Uhl & Misel Maticevic

Der Film deutet sexuelle Handlungen nur an – das ist erschreckend genug!
Das überragende TV-Drama „Operation Zucker“ öffnete vielen Zuschauern (6,27 Millionen schalteten ein) im Januar 2013 die Augen, der Film sensibilisierte für das weitgehend verdrängte Thema Kinderhandel, Kinderprostitution und die unrühmliche Rolle, die die Justiz, die Wirtschaft und die Politik hierzulande dabei häufig spielt. Die Handlung beleuchtete diese bittere Macht-Ohnmacht-Interaktion von mehreren Seiten: da waren vor allem die Opfer, die in osteuropäischen Ländern billig „eingekauft“ und auf den Berliner „Markt“ geschleust werden, da waren die Guten, die Staatsanwaltschaft und die Ermittler, denen es nur selten gelingt, das Netzwerk der Kinderschänder zu knacken, und da waren die, die die Seiten wechseln, ein Staatsanwalt, der Täter wird, und der Kinderhändler, der aussteigen will. In „Operation Zucker – Jagdgesellschaft“ geraten nun die Täter in den Fokus, die „Kunden“, die sich mit einer gutbürgerlichen Fassade tarnen, und die „Dienstleister“, die sogenannten Tätigen, die „die Ware“ kontrollieren und ausliefern. „Lebend-Pizza“ heißt das im Jargon; „Kinderlieferung frei Haus“ – der Zuschauer wird immer wieder Zeuge dieser Kurierfahrten: das Kind, geschminkt und gestylt im Kofferraum, behandelt wie ein Stück Vieh, keine Widerworte, nur ein trauriger Blick. Man muss nicht sehen, was die „Jagdgesellschaft“ oder der Politiker mit den Mädchen anstellen. Der Film zeigt keine sexuellen Handlungen, deutet nur an. Doch der Zuschauer wird das Gesehene weiterdenken. Der große kräftige Mann, dieser grobe Kerl, und das kleine, zarte, zerbrechliche Mädchen, das ihm artig die Hand reicht, wohl wissend, was es erwartet. Gehorsam auch die Teenager, sklavisch abgerichtet, die Angst im Nacken, ständig verfügbar. Selten tat eigene Phantasie so weh wie bei diesem Film. Vor allem auch die Alltäglichkeit dieses Mama-Papa-Kinderspiels & die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Verbrechen an den Seelen der Kinder abläuft, ist das Erschreckende.

Nadja Uhl, Maticevic, Triebel – drei Namen eines großartigen Ensembles
Angst ist aber auch ein Begleiter der Jäger. Die von Nadja Uhl feinnervig und überaus eindringlich gespielte LKA-Frau hat sich aus dem Ermittlungsbereich Kinderprostitution zurückgezogen, weil sie, wie sie sagt, nicht eines Tages tot in der Havel schwimmen will. Später ist es dann die Angst vor dem Verrat, dem Gegner in den eigenen Reihen. Misstrauen ist kein gesundes Gefühl. „Haben Sie ihr Privatleben im Griff“, fragt ihr Chef zu Beginn ihres Wiedereintritts in den Ermittlerdienst. „Ich arbeite dran.“ Das ist freundlich gelogen. Denn im selben Moment redet diese Frau so schnell, dass man als Zuschauer ihr persönliches Engagement förmlich in der eigenen Magengegend spürt. Und diese Frau sieht auch Kinderschänder, wo keine sind. Eingeführt wird Wegemann in einer Kneipenszene, in der sie einen Mann tätlich angeht, weil sie ihn für einen Päderasten hält, dabei ist er nur ein Vater, der seinem blinden Sohn auf der Toilette hilft. Jede Berührung eines Kindes durch einen Erwachsenen lässt diese Frau zusammenzucken. „Operation Zucker – Jagdgesellschaft“ ist so überzeugend, weil der Film auch das Drama dieser Frau mit wenig Strichen und doch sehr stimmig erzählt. Psychologisch nicht so komplex der Muffelkopf an ihrer Seite, Ronald Krug, dem Misel Maticevic allerdings seine markante Physis mit auf den Weg gibt und ihn so vom anfänglichen Bremsklotz mit großer Klappe zur zweiten handlungstreibenden Kraft werden lässt. Mehrere großartige Auftritte darf Jördis Triebel hinlegen als eine Art Kinderpuffmutter, deren Schmierenkomödie bei der Polizei besonders in Erinnerung bleiben dürfte: „Wir sind die Guten. Wir retten die Kinder. Ohne uns würden die schon längst an der Nadel hängen oder in den Fängen der Albaner, die sie so lange ausnutzen, bis die Kleinen jämmerlich verrecken.“ Zynisch schwadroniert sie über tschechische Prostituierte, die Kinder kriegen und sie für 4000 Euro verkaufen – und wo diese Kinder enden, das weiß auch jeder.

Operation Zucker – Jagdgesellschaft
Opfer, der wohlsituierter Täter und das übliche Muster. Früh konditioniert und unter Kontrolle gebracht. Robert Schupp, Mathilde Bundschuh & Stephanie Amarell

Ein moderner „Themenfilm“ mit extrem eleganter Faktenvermittlung
Eine ganz besondere Stärke von „Operation Zucker – Jagdgesellschaft“ ist die Art und Weise, wie Informationen über Kinderhandel und Kinderprostitution in dieses TV-Drama, das ja auch ein moderner Themenfilm sein möchte, der nicht nur emotionalisiert, sondern dem Zuschauer auch noch ein paar Fakten mit auf den Weg geben will, in die Handlung einbaut. Das oben beschriebene Verhör ist ein Beispiel dafür. Ein weiteres ist der kurze Disput zwischen den beiden Kommissaren in Anwesenheit des Staatsanwalts. Da wird sehr kurz und knapp thematisiert, dass die meisten Männer, die sich an Kindern vergehen nicht pädophil sind, sondern zur Gruppe der „Ersatzhandlungstäter“ gehören. Das ist alles andere als einer jener Themenfilm-Aufsager, wie man sie aus dem Genre kennt. Für Erklärsätze ist Uhls Figur ohnehin die Falsche. Sie ist viel zu ungeduldig, um andere überzeugen zu wollen oder an ihrem Wissen teilhaben zu lassen; sie macht lieber alles selber, anstatt den Fall umständlich zu moderieren. In Hinblick auf einen nicht nur gut gemeinten, sondern auch gut gemachten Film, aber auch in Hinblick darauf, dass anschließend in der Talkrunde „Menschen bei Maischberger“ das Thema fortgeführt und mit Fakten unterfüttert werden kann, ist die Dramaturgie, die die Autoren Friedrich Ani und Ina Jung und Regisseurin Sherry Hormann gewählt haben, die richtige. Den Vorwurf, das Thema nur für Unterhaltungszwecke zu missbrauchen, den müssen sich die Kreativen jedenfalls nicht machen lassen.

Ein Filmende, das auch an die Psychohygiene des Zuschauers denkt
Den ersten „Operation-Zucker“-Film gab es mit zwei Enden, einem pessimistischen, kühl realistischen, den man um 20.15 Uhr und damit Kindern nicht zumuten wollte (ihn deshalb auch erst ab 22 Uhr zeigte), und einem geschnittenen, etwas leichter verdaulichen. Für „Jagdgesellschaft“ wollten Macher und Produzenten diese Jugendschutzdiskussion offensichtlich umgehen und so wird auf der Zielgeraden die am meisten belastende Situation so ins Dunkel gesetzt, dass sich das Geschehen fast nur erahnen lässt. Und so muss es von diesem Film denn auch nur eine Fassung geben, diese aber bietet dem Zuschauer trotzdem zwei Enden an. Eines ist quasi der Schlusspunkt einer verzweifelten Ermittlungsjagd, entsprechend eher desillusionierend; das andere Ende wird drauf gesetzt, ein Hoffnungsstreif am Horizont, für den nun auch wieder die Phantasie des Zuschauers gefragt ist, an dieser Stelle allerdings verlaufen die Leerstellen in eine deutlich optimistischere Richtung. Ganz befriedigend ist keiner der beiden Schlüsse. Das liegt im Wesen der Sache: Wer ein realistisches Drama über das Thema Kinderprostitution macht, der muss zwangsläufig an dieses Dilemma stoßen – entweder beschönigt man oder man frustriert den Zuschauer. Meine ganz subjektive Wahrnehmung der Schlüsse: Ich war eher dankbar für diesen fast ein bisschen mit ironischem Augenzwinkern vorgebrachten Stimmungsaufheller, diesen kleinen Rettungsanker, der einem zumindest die Möglichkeit zur ästhetischen Distanzierung gibt.

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Fernsehfilm

ARD Degeto, Arte, BR

Mit Nadja Uhl, Misel Maticevic, André Szymanski, Jördis Triebel, Sebastian Hülk, Carlotta von Falkenhayn, Stephanie Amarell, Mathilde Bundschuh, Rainer Bock, Matthias Matschke, Rick Okon, Robert Schupp, Michael A. Grimm

Kamera: Armin Golisano

Szenenbild: Christian Goldbeck

Kostüm: Senay Ay

Schnitt: Mona Bräuer

Musik: Fabian Römer

Produktionsfirma: Gabriela Sperl Produktion, Wiedemann & Berg Television

Produktion: Gabriela Sperl

Drehbuch: Friedrich Ani, Ina Jung – Bearbeitung: Sherry Hormann

Regie: Sherry Hormann

Quote: 5,46 Mio. Zuschauer (16,5% MA); Wh. (2019): 4,41 Mio. (16,6% MA)

EA: 20.01.2016 20:15 Uhr | ARD

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