Urlaub an der bretonischen Küste. Wasser, Sonne, Strand, Landschaft, die reine Lebenslust und ein Paar, das seine Zweisamkeit genießt. Martina und Ralf, die in Köln ein Restaurant betreiben, sind sich selbst genug. Eines morgens kehrt Ralf von einem Segelausflug nicht zurück. Das Boot kann geborgen werden, er nicht. Für die französischen Beamten ist der Fall eindeutig. Zurück in Deutschland will Martina nicht wahrhaben, dass Ralf nicht mehr lebt. „Ich müsste doch spüren, wenn er tot wäre!“ Sie glaubt Indizien gefunden zu haben, die andere Gründe für sein Verschwinden nahelegen. „In Liebe – Caro“, liest sie in einer Mail. Hat er vielleicht eine andere? Wozu deshalb aber einen Segelunfall vortäuschen?! Und weshalb war er so überempfindlich, als man sie beide im Urlaub fotografieren wollte? Und hat er vielleicht sogar einen Sohn? Noch einmal macht sie sich auf in die Bretagne – und sie erlebt dort merkwürdige Dinge. Martinas Nerven sind angespannt, sie droht, den Verstand zu verlieren.
Einer jungen Frau zieht es den Boden unter den Füßen weg. Endlich war sie einmal glücklich – und jetzt soll das alles plötzlich vorbei sein!? Stefanie Stappenbeck spielt jene Martina in dem ARD-Fernsehfilm „Ohne dich“. Eine Rolle, die ihr einiges abverlangt hat. Der Geliebte ist weg – für die Frau, die im Beruf unter Dauerstress steht, eine seelische Herausforderung. „Hinter der Fassade spürt man die familiären Zwänge, in denen Martina steckt“, so Stappenbeck. Die Suche nach dem Geliebten wird eine Reise zu sich selbst. Eine Möglichkeit, sich von ihren Ängsten zu befreien. „Warum hast du mich im Stich gelassen?“, brüllt sie durchs voll besetzte Lokal. Auch ihre dominante Mutter meldet sich mal wieder zu Wort. In einem Punkt ist sie hilfreich: auch sie kennt diese Wut. Ihr Mann, Martinas Vater, ist sehr früh an Krebs gestorben – und hat die Mutter mit der Familie allein gelassen. Eine Erfahrung, die sich auch in die Psyche der Heldin eingeschrieben, ihr Männerbild geprägt hat. Stappenbeck hat mit einem weiblichen Coach die Rolle erarbeitet und jede Szene auf Martinas Gefühle hin analysiert. Stappenbeck: „Zum besseren Verständnis ihrer familiären Hintergründe machten wir eine Figurenaufstellung, entsprechend einer therapeutischen Familienaufstellung.“
Foto: Degeto / WDR / Guido Engels
Für einen Donnerstagsfilm ist „Ohne dich“ außergewöhnlich. Die Heldin sieht Gespenster. Immer realer erscheint ihr der Geliebte. Ab dem Zeitpunkt, an dem ihre Erscheinungen die Oberhand gewinnen über die Annahme, ihr Lebensgefährte habe sie betrogen, ab dem Moment also, in dem Stappenbecks Figur als überempfindsames Subjekt, das unfähig ist loszulassen, in den Mittelpunkt rückt, bekommt diese Geschichte ihre eigene Note. Einziges Problem dabei: Man geht als Zuschauer allein mit dem Bewusstsein der Hauptfigur durch den Film. Man weiß nicht mehr, man ahnt höchstens. Dramaturgisch lässt Ulli Stephan die Zügel etwas schleifen. Ein der Handlungsebene übergeordnetes Prinzip verfolgt der Film nicht. Als Zuschauer begibt man sich hinein in die Verwirrung einer emotional angeknacksten Figur.
Die Inszenierung setzt früher als die Geschichte klare Akzente. Florian Baxmeyer beschreitet von Anfang an besondere Wege. In den Bretagne-Bildern schlägt die Stunde der Kamera. Berauschende Szenarien, betörende Optiken. Aber auch das Wesen des Erzählten geht in der Erzählweise auf – schön (und) geheimnisvoll wirkt die gesamte Exposition. In Köln werden die Zwänge, in denen die Heldin offenbar gefangen ist, zunächst im Szenenbild verdeutlicht: das noble, weiträumige Restaurant und die geschmackvoll schlicht und kuschelig eingerichtete Wohnung des Paares zeigen die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Person. Martina macht ihren Job gut, aber um welchen Preis? Ist sie nicht in Wirklichkeit eine andere? Es ist kein Zufall, dass sie im Urlaub auf die Idee kam, den Kölner Familienbetrieb zu verkaufen und in der Bretagne gastronomisch etwas Kleines, Individuelles, aufzubauen. Ohne den Halt ihres Geliebten wächst der seelische Druck. Die Psycho-Dynamik und deren sinnliche Darstellung sind stimmig. Das Gleiche gilt für die Besetzung. Stappenbeck ist perfekt und Renate Krößner, die man viel zu selten im Fernsehen sieht, gibt die ideale Mutter dazu. Bleibt zu hoffen, dass dieser interessante ästhetische Versuch der Degeto, insbesondere die phantastischen Momente, in denen sich das Seelenleben nach außen kehrt und es sich real in Spielform darstellt, die Zuschauer nicht zu sehr irritieren wird. (Text-Stand: 6.12.2013)