Womöglich wollte das ZDF bloß eine Verwechslungsgefahr mit den anderen norddeutschen Krimireihen und -serien vermeiden, als es den Episodentiteln von „Nord Nord Mord“ ab dem zweiten Film jeweils ein „Clüver und…“ voranstellte. Tatsächlich ist diese persönliche Ebene aber auch ein Merkmal der Geschichten: weil Hauptkommissar Theo Clüver stets irgendwie in die Fälle involviert war; und oft waren dabei Gefühle im Spiel. Als Robert Atzorn die Reihe verließ, änderte sich mit der Verpflichtung von Peter Heinrich Brix als Nachfolger auch die Ausrichtung; der gebürtige Flensburger entspricht nun mal nicht dem typischen Bild des Frauenschwarms. Von dieser Verschiebung profitierte nicht zuletzt Oliver Wnuk, der als Besserwisser Hinnerk Feldmann nun stärker in den Vordergrund rückte. Es war überfällig, dass auch die Dritte im Bunde zu ihrem Recht kam: Im elften Film der Reihe steht endlich Ina Behrendsen (Julia Brendler) im Mittelpunkt. Feldmann und seine Mitbewohnerin haben eine Art ungeklärten Beziehungsstatus. Es knistert zwar regelmäßig, und der Kommissar würde die Sache wohl auch gern vertiefen, aber die Kollegin lässt ihn immer wieder abblitzen.
Dieser Hintergrund macht die Ermittlungen in dieser Episode, die eigentlich „Ina und die tödliche Liebe“ heißen müsste, besonders delikat, denn der Film beginnt mit einem Schock für die Polizistin: Sie ist verliebt und hat die Nacht auf dem Boot ihres Freundes Leo verbracht. Der junge Mann ist ehrenamtlicher Seehundschützer, bringt aber auch Touristen zu den Tieren. Als er einen Notruf erhält, fährt sie ihn zu der angegebenen Stelle und joggt eine Runde, während er am Strand nach den Tieren schaut. Bei ihrer Rückkehr findet sie Leo erschlagen im Sand. Der Verdacht fällt umgehend auf eine Gruppe mutmaßlich militanter junger Tierschützer, die sich „Nackte Robben“ nennen und in der Nähe campieren. Sie protestieren gegen den Seehundtourismus und hatten kurz zuvor einen heftigen Streit mit Leo. Die blutige Mordwaffe findet sich nicht weit von ihren Zelten. Es handelt sich um Inas Wagenheber, und damit ändert sich naturgemäß ihre Rolle in diesem Fall; erst recht, als sich herausstellt, dass sie das klassischste aller Krimimotive hätte.
Foto: ZDF / Manju Sawhney
Bislang galt „Nord Nord Mord“ als zuverlässige Empfehlung für Zuschauer, die beim Krimi gern auch was zum Schmunzeln haben. Garant dafür war vor allem Wnuk, der seinen Feldmann als ernste Comedy-Figur verkörpert und regelmäßig mit nuanciert gespielten kleinen Slapstickeinlagen für sympathisch beiläufig eingestreute Heiterkeit sorgte. Angesichts des Schocks, unter dem Behrendsen steht, verbieten sich lockere Sprüche diesmal, und auch die Missgeschicke sind sehr sparsam dosiert. Berno Kürten hat bereits die heitere vierte Episode „Clüver und der tote Koch“ (2016) geschrieben. Bei „Sievers und die tödliche Liebe“ hat er auch die Umsetzung übernommen. Kürten ist allerdings kein typischer Krimiregisseur. „Kalt ist die Angst“ (2017) zum Beispiel war ein guter stiller Thriller mit Caroline Peters als Frau zwischen Wahn und Wirklichkeit, aber „Mord an Bord“ aus der ZDF-Krimireihe „Einsatz in Hamburg“ (2013) hatte deutliche Schwächen. Rundum gelungen waren dagegen die beiden turbulenten romantischen Komödien „Liebeskuss am Bosporus“ und „Schlaflos in Istanbul“ (2011/14) mit Tim Bergmann und Jasmin Gerat, und auch die Hotel-Familien-Saga rund um den „Schwarzwaldhof“ war im Rahmen des Genres durchaus sehenswert.
Klassische Krimi-Spannung hat in dieser „Nord Nord Mord“-Episode nicht oberste Priorität. Die Emotionen der Charaktere stehen stattdessen stärker im Mittelpunkt. Passend dazu arbeitet Kürten gern mit langen Einstellungen, in denen die Schauspieler viel Raum zur Entfaltung haben. Mit der Krimihandlung haben die entsprechenden Gespräche oft nur am Rande zu tun. Mitunter wirken sie so, als sollten sie Brix mit Spielmaterial versorgen: Als er den Eltern des Mordopfers die traurige Nachricht überbringen will, entpuppt sich die Mutter als seine Jugendliebe. Während diese Begegnungen dank der einstigen Gefühle einen reizvollen Subtext haben, wird das dramatische Potenzial der familiären Ebene nicht weiter vertieft, auch wenn sich die Ermittler wundern, dass die Eltern (Angela Roy, Oliver Stokowski) ebenso wie der Bruder (Johannes Klaußner) eher nach innen trauern. Immerhin sind diese Szenen gut in die Handlung integriert; Sievers’ Besuche bei seiner Therapeutin (Victoria Trauttmansdorff) wirken dagegen wie seltsame Fremdkörper. Ungewöhnlich ist auch die Idee, die Tierschützer ihrem Kampfnamen entsprechend regelmäßig nackt auftreten zu lassen. Da alle anderen Mitwirkenden warm angezogen sind, war es während der Dreharbeiten vermutlich ziemlich frisch; das könnte erklären, warum die junge Wortführerin (Anna-Lena Schwing) ihre Dialoge etwas steif vorträgt. (Text-Stamd: 20.12.2019)