Nord bei Nordwest – Der wilde Sven

Schönemann, Reents, Lohse, Schmidt, Freydank. Tücken des horizontalen Erzählens

06.02.2025 22:00 NDR
07.02.2025 01:10 NDR
Foto: NDR / Gordon Timpen
Foto Rainer Tittelbach

Der Winternebel wabert. Ein Dorf feiert eine Sage, ein an der Küste Ostholsteins untergetauchter Ex-Polizist tarnt sich als Tierarzt und muss den Ball flach halten, was seine Vita angeht. Das nimmt der zweiten Episode von „Nord bei Nordwest“ ein bisschen den Fahrtwind aus den Segeln – und vertröstet den Zuschauer auf später. Das erotische Versprechen jedenfalls, das der Auftakt „Käpt’n Hook“ gab und die Top-Besetzung immer noch gibt, löst „Der wilde Sven“ leider (noch) nicht ein. Dafür gibt es andere starke Momente. Und auch die Idee mit Fluch und Spuk ist zumindest im Ansatz erfreulich.

Dem wilden Sven die eigenen Morde angehängt
Die spinnen, die Schwanitzer! Tierarzt und Ex-Polizist Hauke Jacobs kann es nicht fassen. Die Menschen an seinem neuen Wohnort glauben an einen uralten Fluch. Am 24. Februar vor über 1000 Jahren haben die Schwanitzer einen legendären Wikinger, den wilden Sven, mit einem falschen Signalfeuer auf ein Riff gelockt. Das Dorf sei seitdem verflucht: Alle sieben Jahre kehrt der wilde Wikingerfürst zurück und holt sich zwei Schwanitzer. So will es die Sage. Nun ist es mal wieder soweit. Der erste Tote liegt in seiner Villa. Die Leiterin des Einfrau-Polizeireviers, Lona Vogt, reaktiviert Jacobs – und hat auch schon eine Theorie jenseits vom wilden Sven. Vor sieben Jahren ist ihre beste Freundin ums Leben gekommen. Drei Männer tragen daran eine große Mitschuld. Einer, ein hochrangiger Politiker, nahm sich damals das Leben. Der erste Tote in diesem Jahr gehörte ebenfalls zu jenem Trio. Der Dritte jener Männerrunde wird wohl das nächste Opfer werden. Offenbar versucht hier jemand, seine Morde dem wilden Sven unterzujubeln. Lona hat die Eltern ihrer toten Freundin im Verdacht. Um einen der beiden zu überführen, ist Jacobs bereit, die Rolle des Köders zu spielen. Das ist nicht ungefährlich. Und dann erscheint ihm doch noch der wilde Sven…

Nord bei Nordwest – Der wilde SvenFoto: NDR / Gordon Timpen
So gewöhnungsbedürftig für den Helden Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) der Aberglaube um den „wilde Sven“ ist, so gewöhnungsbedürftig ist auch Cem-Ali Gültekins Comedy-Nummer als Fremdenführer und Running Gag für den Zuschauer.

Erotisches Versprechen (noch) nicht eingelöst
Der Winternebel wabert an der Küste Ostholsteins. Ein meschuggenes Dorf feiert eine Sage, ein in der norddeutschen Pampa untergetauchter Ex-Polizist tarnt sich als Tierarzt und muss den Ball flach halten, was seine Vergangenheit und die Nähe zur Dorfpolizistin und zu seiner Veterinärassistentin angeht. Leider. Das erotische Versprechen, das „Nord bei Nordwest“ mit der Startepisode „Käpt’n Hook“ und mit der Top-Besetzung, Hinnerk Schönemann, Henny Reents und Marleen Lohse, gab, löst „Der wilde Sven“ (noch) nicht ein, ja der Film kann es offensichtlich nicht einlösen, da ansonsten das, was Autor Holger Karsten Schmidt für den Fortgang der ARD-Reihe angedacht hat, vielleicht weniger gut funktionieren würde. Die Anspannung, unter der die männliche Hauptfigur ständig zu stehen scheint, ist mehr als eine Charaktersetzung. Der Held versteckt sich in Schwanitz, er lebt in der ständigen Angst, aufzufliegen. Vielleicht geht es bei ihm sogar um Leben und Tod, da stehen Frauen – hinter seinem Hund – bestenfalls an dritter Stelle. Psychologisch verständlich. Filmisch schade. Nicht nur im Mord- bzw. Todesfall von vor sieben Jahren geht es um ein ganz spezielles Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Auch dass der Fall damals vom männlichen Vorgänger der Dorfpolizistin rasch zu den Akten gelegt wurde – darin spiegelt sich ein männerbündelndes Frauenbild (von wegen „eine Frau, die Spaß am Sex hat, muss sich nicht wundern, wenn sie missbraucht wird“). Da wäre es durchaus passend, wenn zwischen dem Helden, der irgendwo zwischen erotischem Leisetreter und – in Maßen – emotionalem Frauenversteher zu verorten ist, und den beiden Figuren/Schauspielerinnen, deren Subtext voller zart angedeuteter Erotik steckt (Jule/Lohse gibt die Screwball-Variante, Lona/Reents den Kopf- und Kontrollfreak, der auch in sexueller Hinsicht über den Dingen zu schweben scheint) noch ein bisschen mehr amouröse Begehrlichkeiten geweckt würden. Die Szenen jedenfalls, in denen es persönlicher wird, gehören zu den dichtesten und den amüsantesten.

Vor allzu wilden Phantasien zurückgeschreckt
Komik und Ironie treten in „Der wilde Sven“ zugunsten von Krimi und Mythos deutlich zurück. „Viel mehr Arbeit macht es, die komödiantischen Elemente über den Krimifall hinaus nicht aus den Augen zu verlieren“, betont denn auch Regisseur Jochen Alexander Freydank. Sein Credo für einen solchen Genre-Mix lautet: „Man muss die emotionalen Momente wirklich emotional erzählen und bei den komischen Momenten achtgeben, dass man nicht den Krimi verlässt und komplett albern wird.“ Etwas abgedrehter aber hätte man sich diesen sagenhaften Krimi durchaus vorstellen können. Wenn man sich schon im Rahmen eines „realistischen“ Fernsehkrimis auf das Genre Spukgeschichte einlässt, wäre etwas mehr Spookiness (auch wenn nur in Träumen oder Fieberträumen) eine schöne Abwechslung gewesen. Aber um aus dem „wilden Sven“ auch ein wildes Stück Phantasie-Fernsehen zu machen, reichte offenbar der Mut nicht aus bei NDR und Degeto. Man muss sich überhaupt fragen, ob es klug ist, die Figuren-Erotik und – in diesem Fall – den erfundenen Wikinger-Mythos der horizontalen Logik dieser losen Reihe (mit der es bei schlechter Quote schnell vorbei sein dürfte) unterzuordnen. Besonders die männliche Hauptfigur besitzt so etwas Gehemmtes, Verhindertes und der Zuschauer wird hingehalten, soll ein Jahr warten auf Antworten und Vervollständigung. Das mag in erster Linie narrativ-psychologisch begründet sein, hat aber wohl auch etwas mit der norddeutschen Wesens- und Lebensart zu tun: Im Gegensatz zum telegenen Bayern, in dem es saftig und barock zugeht (aktuelles Beispiel „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“), wirkt „Nord bei Nordwest“ sehr protestantisch.

Nord bei Nordwest – Der wilde SvenFoto: NDR / Gordon Timpen
Auch unter Deck will nie so richtig Klabautermann-Stimmung aufkommen. Da sollten Hinnerk Schönemann/Henny Reents am besten mal Achim Reichels Platte auflegen.

Das Wetter ist Zufall, der Nebel häufig digital
Der Erzählrhythmus des Films ist gemäß der Landschaft eher gemächlich. Die ständigen Wetterumschwünge beim Drehen im Winter haben es sichtlich erschwert, dem Film eine einheitliche Atmosphäre zu geben. Mal diesig, mal bedeckter oder klarer Himmel, mal Sonne – das Wetter ist Zufall, ikonografisch und semantisch lässt sich da nichts reißen. Wettgemacht wird dieses Manko in den Szenen, in denen der Nebel durchs Bild zieht – erzeugt als Spezialeffekt am Set oder als digitaler Effekt. In diesen Szenen tritt das „Verstandesmäßige“ zugunsten der Sinnlichkeit des Bildes zurück. „Mir war ganz wichtig, das ganze Geschehen in so eine Stimmung zu tauchen, dass man sich fragt: Ist das wirklich nur eine alte Sage oder ist doch was dran an der Geschichte mit dem Fluch“, so Regisseur Freydank.

Die Evolution hinterlässt ihre Spuren
Buch wie Film haben starke Momente. Kaum einer hat mit dem Genre Krimi zu tun. Dieses bietet den Rahmen, die Struktur, die Finalspannung und gibt offenbar den Zuschauern auch den Einschaltimpuls. Das Fleisch von „Der wilde Sven“ aber sind die drei Hauptcharaktere und der besondere Reiz liegt in den Details. Da ist die unorthodoxe Art der Leichenschau durch den Tierarzt. Da probt die Tierfreundin Jule sehr amüsant und mit großen Augen ihren Part eines Dialogs mit ihrem mehr als hoch verehrten Hauke Jakobs; ihr gegenüber sitzt allerdings dessen Hund. Ganz köstlich ist auch die Befragung des Arztes des Toten: der nötigt den Neu-Schwanitzer Veterinär, ihn einen Spinner zu nennen, weil er an den wilden Sven glaubt. Diese völlig absurde Szene ist nicht nur witzig, sondern verrät auch viel von der Mentalität des Helden. Und wenn es um Sex, Sympathie und das vermeintlich ganz offene Reden darüber geht (was den Mann einigermaßen verunsichert), nähert sich Autor Holger Karsten Schmidt dem, um was es hier eigentlich geht: ein Mann und zwei Frauen, von denen erkennbar nur eine Person ein deutliches sexuelles Interesse zeigt. Die versteckte Erotik ist die Triebkraft dieser Reihe. Das Schnippchen, das uns die Evolution in Sachen Sexualität angeblich ständig schlägt, wie im Film die Polizistin sehr engagiert ausführt, gilt besonders fürs Filmesehen: Die Evolution hinterlässt ihre Spuren… (Text-Stand: 30.9.2015)

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Reihe

ARD Degeto, NDR

Mit Hinnerk Schönemann, Henny Reents, Marleen Lohse, Hans-Uwe Bauer, Cem-Ali Gültekin, Peter Prager, Johanna Gastdorf, Rainer Piwek, Markus Gertken, Friedhelm Ptok, Torsten Michaelis

Kamera: Philipp Timme

Szenenbild: Marion Strohschein, Peter Bausch

Schnitt: Bernd Schriever Visuelle Effekte: Christoph Hierl

Musik: Stefan Hansen

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Drehbuch: Holger Karsten Schmidt

Regie: Jochen Alexander Freydank

Quote: 4,68 Mio. (14,7% MA); Wh.: 5,18 Mio. (15,3% MA)

EA: 22.10.2015 20:15 Uhr | ARD

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