Drei Biker, eine Wasserleiche, ein Motorradrennen & ein großer Coup
Zwei schwedische Biker, Nils Ek (August Wittgenstein) und sein Boss Ole Mantell (Dennis Storhøi), dazu noch dessen deutsche Freundin Silke (Lore Richter), fahren Schwanitz an, wo am Wochenende die Nordic Ride stattfindet. Die drei geben vor, bei dem legendären Motorradrennen starten zu wollen, doch in Wahrheit planen sie einen ganz großen Coup. Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) wird auf die Fremden erst aufmerksam, nachdem ein Toter an den Strand angespült wurde: auch ein Schwede, aus derselben Kleinstadt wie die beiden anderen. Das ist kein Zufall, hat sich doch der Big Boss auf dem Weg nach Schwanitz des dritten Mannes entledigt, weil dieser die Beute des geplanten Überfalls nicht durch vier teilen wollte. Der Tote und Mantell sind keine Unbekannten bei der schwedischen Polizei. Vogt zieht also besser mal Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) zu dem Fall hinzu. Doch beiden bleibt erst einmal nichts anderes übrig als abzuwarten und das Ganze nicht an die große Glocke zu hängen. So bekommt auch Tierarzthelferin Jule (Marleen Lohse), die ohnehin nur noch das Rennen im Kopf hat, nichts von der Sache mit den Schweden mit und lässt sie sich mit einem Lächeln auf ein Date mit dem sympathisch wirkenden Nils Ek ein.
Foto: NDR / Gordon Timpen
Freundschaft, Gefühle und vielleicht bald raus aus der Mönchsrolle?
Nach dem Schwenk in die richtige Richtung in „Estonia“, der dritten Episode von „Nord bei Nordwest“, stellt „Der Transport“ von Till Franzen („Drei Männer sind besser als keiner“) nun die vorläufige filmische Krönung dieser Donnerstagskrimi-Reihe dar. Autor Holger Karsten Schmidt bringt die Vorgeschichte um die Hauptfigur, die wegen einer Aussage als Kronzeuge auf Priwall untergetaucht war, klug – weil beiläufig – zu Ende. „Ihre Weisung war, mich nicht erpressbar zu machen“, antwortet Hauke Jacobs auf die Frage seines Kontaktmannes, ob er ein Verhältnis mit seiner Praxishelferin habe. Jetzt ist er frei – und so gibt es künftig für ihn keinen Grund mehr, wie ein Mönch zu leben. Dass auch er etwas für Jule Christiansen empfindet, ist unübersehbar, besonders dadurch, dass nun ein Nebenbuhler auftaucht. Schmidt versteht es, aus der Konkurrenzsituation trocken humoriges Kapital zu schlagen. Der Fremde fragt ausgerechnet Jacobs, wie er denn bei Jule landen könne. „Sie liebt Karaoke. Sie steht auf Männer, die sich nicht zu schade sind, ein Mikrophon in die Hand zu nehmen und ihr ein Lied zu trällern“, flunkert er. Sie fand es hinterher erwartungsgemäß „grauenhaft“, was ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht des Tierarztes zaubert; aber sie fand es andererseits auch „süß“, denn „welcher Mann macht sich schon für eine Frau so zum Clown“, gibt sie strahlend zu bedenken. Ob Jacobs „Tipp“ unter die Rubrik freundschaftliche Fürsorge fällt oder ob amourös gefärbte Gefühle im Spiel sind, bleibt abzuwarten. So oder so darf man gespannt sein, was Grimme-Preisträger Schmidt den beiden in die nächsten Bücher schreiben wird. Und dann ist da ja auch noch Lona Vogt. Mit den Worten „Ich brauch’ Sie, Herr Jacobs – beruflich“ bittet sie um die Mitarbeit des Ex-Bullen am Fall. Und weil sie eine ganz Korrekte ist, stellt sie wenig später klar: „Herr Jacobs, das da eben sollte keine persönliche Zurückweisung sein“, das wäre eher eine – „Präzisierung“, vervollständigt er ihren Satz. Auch in dieser Angelegenheit ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Ernsthafte Geschichten, ironische Zwischentöne & jede Menge Subtexte
In „Der Transport“ geht es vorrangig aber um ganz andere Dinge: die Aufklärung des Mordes, die Frage, was das für ein Coup sein wird und ob er zu verhindern ist, sowie Jules geplante Teilnahme an der gefährlichen Nordic Ride, bei der vor Jahren ihr großer Bruder ums Leben kam. Die Lage ist ernst, aber der Ton nicht ernsthaft dramatisch, weil die Interaktionen in unterschiedliche Stimmungen eingetaucht sind. Da ist der bereits beschriebene erotische Subtext. Da ist die leise Ironie, die sich manchmal nur von den Gesichtern der Schauspieler ablesen lässt: Da reicht eine lakonische Bemerkung wie der Zusatz zu dem „Ich brauch’ Sie“, eine Verlegenheitsgeste oder ein verstecktes (Sieger-)Lächeln, das nur der wissende Zuschauer zu entschlüsseln weiß. Hinnerk Schönemanns Spiel ist immer aufregend, und es war selten so fein nuanciert wie in diesem vermeintlich leichten Unterhaltungskrimi. Auch Reents und Lohse können nicht genug gelobt werden. Es ist vor allem das an Bezügen und Verweisen so reiche Zusammenspiel der drei Hauptdarsteller, das diesen Film zu einem sehr dichten, abwechslungsreichen Beziehungskrimi macht. Auch die „Gäste“, Dennis Storhøi („Der 13te Krieger“), Lore Richter („Mann /Frau“) und August Wittgenstein („Ku’damm 56“), bringen eine eigene Note in den Film ein und besonders ihre gemeinsamen Szenen sorgen für eine Aura des Ungefähren: Autor Schmidt belässt es bei Andeutungen und Regisseur Franzen setzt diese Offenheit in die entsprechenden Bilder um. „Ich möchte nur, dass du keinen Trottel aus mir machst“, bittet Mantell seine 20 Jahre jüngere Freundin. Später sieht man ihn dabei, wie er seine Rockerbraut bei einem Telefonat heimlich beobachtet. Misstrauen ist ein gesundes Verhalten unter Gangstern, die einen Coup planen. Für den Zuschauer sind solche Konstellationen spannend, da besonders unberechenbar (in hiesigen Krimis gibt es sie leider selten). Und immer gilt: kein Wort zu viel, kein Bild zu wenig.
Foto: NDR / Gordon Timpen
„Für mich ist es das Größte, wenn ich frei spielen kann. Je knapper meine Sätze sind, desto größer ist für mich die Herauforderung, desto mehr kann ich mich entfalten.“ (Hinnerk Schönemann)
„Wenn ich eine Lücke für den eigenen Humor entdecke, deren Ausfüllung der Geschichte treu bleibt, freue ich mich.“ (Regisseur Till Franzen)
Haltung der Erzählung, Tiefe der Charaktere & Weite der Landschaft
Diese „Nord-bei-Nordwest“-Episode ist ein Krimi ganz aus der wilden Frische der norddeutschen Küstenlandschaft und dem Geiste seiner klar konturierten Charaktere, ein Krimi, der seine Geschichten entsprechend ernst nimmt. „Der Transport“ bebildert keine Drehbuchsituationen, er erzählt Geschichten – mit Worten und in Bildern. Das ist bestes Unterhaltungsfernsehen. Neben der stets präsenten Erzähl-Haltung zeichnet sich der Film durch eine sympathische Tiefe seiner Charaktere aus, er bezaubert durch die Weite der Landschaft und er nimmt einen gefangen durch die unaufdringliche Nähe, die in den Beziehungen herrscht. Und der Witz kommt wie schon immer in dieser Reihe auf leisen Sohlen. Lakonie und Understatement gehören zu Schmidts und Franzens ästhetischen Prinzipien. „Sie sind eine schöne Frau“, sagt das Dorfunikum Mehmet. Darauf Lona: „Einige Komplimente kann man nicht zurückgeben.“ Laune macht selbstredend der kleine Ausflug in die deprimierende Welt von Schlager und Karaoke. Zwei, drei Sekunden und man weiß als Zuschauer: Wir sind mal wieder bei Bine Pufal in der Pension Ahab, in der weder Propheten, Könige noch der legendäre Moby-Dick-Jäger das Sagen haben; hier laufen stattdessen von früh bis spät Schlager. Und auch der Karaoke-Abend hat so seine Fremdschämmomente. Aus alldem, der besonderen Erzählhaltung, der leisen Komik, den Gefühlen („Ich möchte Sie nicht verlieren“) und dem lockeren Genre-Mix, der hier längst den Status von etwas Neuem, etwas Eigen(ständig)em, erreicht hat, entsteht besonders in diesem vierten Film der Reihe eine trockene Herzlichkeit, die menschlich ist ohne zu menscheln. (Text-Stand: 16.3.2017)