Nina Hagen, zwei Männer mit „speziellen Vorzügen“, Mord und Menschenhandel
Sind drei einer zu viel? Nina Hagen (Cordelia Wege), die die Witzchen über ihren Namen gar nicht komisch findet, kann das nicht bestätigen. Jeder ihrer beiden Kollegen hat andere Vorzüge. Tim Engelmann (David Bredin) kennt alles und jeden in Westend an der Mecklenburgischen Seenplatte, und seine Physis öffnet ihm so manche Tür. Felix Bittner (Franz Dinda) hingegen, ist mehr der Kopfmensch, ein smarter Perfektionist und manchmal auch Besserwisser. Auf die Frage von Hartwig Schulz (Thilo Prothmann), dem Beamten von der Personalabteilung des Landesinnenministeriums, auf welchen ihrer beiden Mitarbeiter sie am ehesten verzichten könnte, kann es demnach für sie nur eine Antwort geben: auf keinen der beiden. Hintergrund: Das Revier ist seit der Wende mit einer Planstelle zu viel besetzt. Das soll sich nun ändern. Auch dazu hat die toughe Polizistin nur einen knappen Kommentar: „Wenn einer geht, gehen wir alle.“ Nicht, dass die drei sich überarbeiten würden; aber Hagen kann nun mal auch privat auf die „speziellen Vorzüge“ ihrer beiden Männer nicht verzichten. Aktuell ist allerdings mächtig was los: Erst explodiert ein Hausboot mit einem Journalisten an Bord, der offenbar einer Flüchtlingshilfsorganisation an den Karren fahren wollte, dann muss das Trio dem Verdacht auf Menschenhandel nachgehen, bevor sich auf der Seenplatte weiter Unbill ankündigt, zu deren Lösung die Chefin selbst kräftig Hand anlegen muss.
Die Ménage-à-trois bleibt im Bereich von Blicken, Berührungen, Anspielungen
„Nord bei Nordwest“ ist seit Jahren die erfolgreichste Donnerstagskrimi-Reihe der ARD. Jetzt wird im Auftrag der Degeto und des NDR auch „Nord bei Nordost“ ermittelt. Was nach bloßem Kalkül aussieht, erweist sich recht bald als eine der besten Krimi-Neuschöpfungen der letzten Jahre. Der mehrfache Grimme-Preisträger und Krimi-Reihen-Entwickler, Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt, hat die von ihm ebenfalls konzipierte Nordost-Krimi-Reihe gegen deren Narration gebürstet: Das dramaturgisch so reizvolle Dreieck besteht nun aus einer Frau mit zwei Männern, wobei der Reiz ihrer Beziehung, nicht in der latenten erotischen Anziehung liegt, sondern darin, wie verschwiegen und doch lässig-entspannt die drei mit ihrer Ménage-à-trois umgehen. Wissen die Männer überhaupt voneinander? Sie reden nicht offen darüber. Alles bleibt im Bereich von Blicken, Berührungen, Anspielungen – was die Sache für den Zuschauer bislang spannender macht als die „Kriegen sie sich“-Frage, die so alt ist wie das serielle Fernsehen. Aus dieser Unklarheit ergeben sich immer wieder köstlich ironische Momente. Einer von ihnen: Nina verlässt die Wache, und ihre Männer stehen am Fenster. Tim: „Guckst du ihr gerade hinterher?“. Felix: „Jaaa – Denkst du oft darüber nach?“ Tim: „Sie ist nicht mein Typ.“ Felix: „Meiner auch nicht.“ Danach schauen sie sich mit einem wohlwollend-wissendem Lächeln direkt ins Gesicht. Das Ganze dauert 40 Sekunden. Viel Witz und Hintersinn steckt im Nonverbalen, den Pausen, dem Timing, ja, der fein akzentuierten Inszenierung von Esther Rauch (Serien „Schnee“ & „Bauchgefühl“).
Zwei Ukrainerinnen, menschliche Niedertracht und ein cleverer profinaler Twist
Während andere Reihen häufig mit zwei Episoden starten und dabei die erste vor allem zur Einführung der Hauptfiguren dient, wohingegen der Krimiplot meist abfällt, hat Schmidt mit seiner Geschichte um zwei kriegsflüchtige Ukrainerinnen, eine Mutter (Irina Potapenko) und ihre Tochter (Laeni Geiseler), ebenso aktuelle, relevante und emotionale Drama-Momente in „Westend“ eingebaut. Die beiden werden von einem anderen Flüchtling (Knut Berger) auf ihrem Weg begleitet, dem seine Hilfsbereitschaft (er rettet die Frau vor einer Vergewaltigung) teuer zu stehen kommt. Zum Glück ist die Mutter Krankenschwester, ein Umstand, der für den Fortgang der Geschichte immer wieder bedeutsam wird. Dieser parallele Erzählstrang bringt Spannung ins Spiel. Dass die Geflüchteten direkt an den Arbeitsmarkt vermittelt werden, an den langsam mahlenden Behördenmühlen vorbei, macht den krimigeübten Zuschauer hellhörig, da kann die Leiterin der Flüchtlingsorganisation (Helene Grass) noch so freundlich sein. Doch Autor Schmidt begnügt sich nicht damit, die beiden Ukrainerinnen der Niedertracht dieser Menschenhändler auszusetzen. Im Schlussdrittel nimmt die Geschichte urplötzlich eine Wende, durch die die Krimi-Spannungsschraube kräftig angezogen wird. Mit dieser Überraschung einher geht nicht nur die Umwertung des bisher Erzählten, sondern durch eine neue Gefahrenquelle bekommt der Fall eine völlig neue (Ziel-)Perspektive.
Ernsthafter Plot, launige Sätze. „Du willst nicht sterben, und ich will nicht schießen.“
An erzählerischer Dichte ist der „Nord bei Nordost“-Auftakt also kaum zu überbieten. Auch das Ermitteln des Trios ist trotz des provinziellen Ambientes überaus professionell – und ernsthaft. Für ein Augenzwinkern sorgen neben der Dreiecksbeziehung, die die wundervollen Hauptdarsteller ganz besonders fein akzentuiert andeuten (so lächelt Hagen/Wege ihre Männer unterschiedlich an und ihre Blicke am Morgen danach fallen bei beiden Liebhabern auf einen anderen Körperteil), vor allem die knappen, schön pointierten Sätze und Dialogwechsel. Vor allem Festnahmen verlaufen launig. „Ich krieg’ doch bestimmt mildernde Umstände“, will sich da eine mit Kabelbinder fixierte Person versichern. „Von mir nicht“, kontert Nina Hagen trocken. Und auch Tim Engelmann macht’s kurz: „Du willst nicht sterben, und ich will nicht schießen.“ Und dann ist da ja noch dieser kleine Beamte, der nicht nur die (beim Kritiker tief) empfundene Harmonie zwischen den Charakteren und der Landschaft nicht nur nicht stört, sondern auch noch komisch auflädt. Gleich zu Beginn wird er Opfer der ostdeutschen Behördenskepsis. „Was kostet ein Croissant?“, will er wissen, nachdem er sich vorgestellt hat. „17 Euro.“ Zweiter Versuch: „Und der Berliner?“ Klare Antwort: „17 Euro“. Einmal kommt er sogar in die Verlegenheit, den Schabowski zu geben („nach meiner Erkenntnis“), allerdings ohne Zettel. Und auch Nina Hagens herber Liebreiz ist ihm nicht entgangen: „Sie haben aber eine sehr attraktive Chefin.“ Das will Engelmann nicht gehört haben. „Kommen Sie uns nicht ins Gehege, Romeo.“ Man wird sehen. Hoffentlich bald.