Sylvia Moran ist ein Bühnen- und Filmstar. Eine öffentliche Frau. Sie entspricht dem Bild, das von ihr erwartet wird. Sie gibt Journalisten, die sie verachtet, höflich Interviews, sie hört auf ihren Produzenten, sie macht, was ihre Managerin sagt, sie ist professionell. In ihrem Inneren ist jene Sylvia Moran eine seelisch schwer angeschlagene Frau. Nach einer Wohltätigkeitsgala zugunsten schwer behinderter Kinder bricht es erstmals aus ihr heraus: „Niemand muss doch heute mehr solche Kinder kriegen“, schreit sie in der Garderobe ihren Lebensgefährten an, „diesen Kindern kann man gar nicht mehr helfen. Die muss man wegsperren.“ Sie schämt sich für ihren Ausbruch, der Folgen haben wird. Sylvia Moran wird erpresst. Ein Dritter hat diese unschöne Szene mitgeschnitten. Aber es kommt noch schlimmer. Ihre Tochter erkrankt schwer an einer Gehirnhautentzündung – während sie auf Sylt die Medea spielen muss. Dann meldet sich auch noch die Presse zu Wort, die ihr mit banalen Kurzschlüssen zwischen Rolle und Wirklichkeit das Leben schwer macht. Medea, ein Kindsmörderin, nicht besser als Magda Goebbels? Das eigene Kind todkrank und die Mutter nicht an seiner Seite… Die Moran verliert die Kontrolle über ihr Leben. Rotwein und Tabletten werden ihre ständigen Begleiter.
„Auweia: Pompös in Dialog und Optik, pumpt das TV-Opus Simmels Siebziger-Schmöker zum großen Nichts mit Goldkante auf… Edelschund mit 70er-Mottenkisten-Aroma“ (TV-Spielfilm)
Musik: Helmut Zerlett. Leitmotivisch eingesetzt wird das wunderbare „O mio babbino caro“ von Maria Callas aus der Puccini-Oper „Gianni Schicchi“
Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Der Ausbruch der Heldin in dieser vierten Simmel-TV-Verfilmung ist kein Outing in Richtung Nazi-Ideologie. Es gibt gute Gründe für diesen „Aussetzer“ der sonst so kontrollierten Schauspielerin, Gründe, die in der Kindheit von Sylvia Moran liegen. Auch alle anderen Momente in der sehr freien Adaption von Knut Boeser sind klassisch erzählt und gut motiviert. „Niemand ist eine Insel“ ist ein geradliniges, kühl inszeniertes Melodram mit einer klar strukturierten Handlung, einem deutlichen Grundkonflikt, kleinen psychologischen Baustellen, einer charismatischen Hauptfigur mit Hang ins Egomanische und einem szenischen Grundkonzept. Die klassische Linie ist die stimmigere Form, Simmel zu verfilmen, als zu versuchen, die altmodische Geschichte mit vordergründigem dramaturgischem Firlefanz aufzupeppen, wie es bei den bisherigen TV-Adaptionen des Meisters des trivialen Gesellschaftsromans geschehen ist. Der Film als Rückblende erzählt, von der Trauerfeier für Sylvia Moran ausgehend – das hat genreästhetisch Tradition, das ist ein Versprechen, das Carlo Rolas Regie mit stilvollen Bildern, edler Ausstattung und guten Schauspielern einlöst.
Niemand hätte wohl besser in dieses kunstvoll künstliche Szenario gepasst, in dieses gesellschaftliche Maskenspiel, als Iris Berben, eine Schauspielerin mit leichter Neigung zur bedeutungsschweren Performance, und eine, in deren Rollen häufig das Repräsentative eine wichtige Funktion erfüllt. In „Niemand ist eine Insel“ kann sie beides geben. Und sie kann die Nahstelle zeigen zwischen öffentlicher Frau und Privatperson und Mutter. „Manchmal denke ich, mich gibt’s überhaupt nur, wenn ich fotografiert werde. Wenn ich Filme mache – nur dann lebe ich“, lallt Berbens Moran in einer schwachen Stunde. In solchen Momenten ist Berben am besten. Um das so sehen zu können, muss man als Zuschauer den Film allerdings voll und ganz als ein klassisches Melodram akzeptieren! (Text-Stand: 13.6.2011)