Wenn der geliebte „Sohn“ nicht der eigene Sohn ist
In der Ehe zwischen Tomas (Fritz Karl) und Nike (Christiane Paul) kriselt es. Er geht auf in seiner Rolle als Gastwirt einer beliebten Musikkneipe, kümmert sich gern auch um den Haushalt und mit ihrem gemeinsamen Teenagersohn Milan (Matti Schmidt-Schaller) kann er momentan ohnehin besser. Sie, die Diplompolitologin, ist dagegen schon immer sehr viel ehrgeiziger gewesen, nur Kneipe, das ist ihr zu wenig – und so macht sie mal wieder eine Fortbildung. Als Tomas zufällig Nikes angeblich verloren gegangenen Mutterschaftspass findet, stößt er auf Ungereimtheiten beim Datum von Milans Empfängnis. Kann es etwa sein, dass der Junge nicht sein Sohn ist? Aus dem leisen Verdacht droht, Gewissheit zu werden. Vieles deutet darauf hin, dass Milan der Sohn von Nikes Doktorvater ist, dem renommierten Politologen Prof. Dr. Karoly Gaál (Michael Wittenborn). Um absolute Gewissheit zu haben, gibt Tomas bei seinem Freund (Jan Messutat) einen DNA-Test in Auftrag. Das Ergebnis beendet die ganz alltägliche Ehekrise. Der „Vater“ ist zutiefst verletzt, zieht aus, bricht den Kontakt mit seiner Frau, aber auch mit Milan ab und reicht die Scheidung ein.
Für den Mann bricht eine offenbar latente Wunde auf
Der ZDF-Fernsehfilm „Nie mehr wie es war“ erzählt von einer Lebenslüge, vornehmlich aus der Perspektive des gekränkten Ehemannes, der es nicht ertragen kann, dass er vor 17 Jahren vielleicht für seine Frau nur die zweite Wahl war. Dass er nie die „Liebe ihres Lebens“ war, was er schon immer geahnt hat, das wird ihm jetzt deutlich vor Augen geführt. Seine Frau weicht seinen Fragen zunächst aus. Oder sie reagiert aggressiv („Mir reicht’s langsam“), als Tomas wissen will, ob Milan sein Sohn ist. Nach dem DNA-Befund wendet sich das Blatt. „Was sind denn lächerliche sechs Wochen gegen das, was wir hatten?“, versucht sie ihren Noch-Ehemann zu besänftigen. Sie will reden, bittet um eine zweite Chance, zum Kämpfen fehlt ihr die Kraft und die moralische Überzeugung, denn sie fühlt sich schuldig – auch gegenüber ihrem Sohn. Der Mann kann die Lüge nicht verzeihen, zu vieles bricht da offenbar auf, was sich über die Jahre angesammelt hat an Zweifeln und Kränkungen. Jetzt will er der Handelnde sein, will einen harten Schnitt. Unsicher ist er sich allein in der Beziehung zu seinem ihm untergeschobenen „Sohn“. Die Umarmung zum Abschied, die Tränen, das Festklammern hinterlassen ein nachhaltiges Bild der Verzweiflung. Dennoch geht Tomas Milan zunächst völlig aus dem Weg, und als es scheint, als könne es eine Annäherung zwischen den beiden geben, weicht der Vater wieder zurück und versetzt den 16-Jährigen, der mit dem Gefühl, dass keiner seiner „Väter“ ihn haben will, fast schon zu vernünftig umzugehen weiß.
Foto: ZDF / Erika Hauri
Das Konzept der Perspektiven und der Sympathieverteilung
Das in der Analyse Beschriebene vermittelt sich im Film nicht immer, und es ist auch nicht anzunehmen, dass dem flüchtigen Zuschauerblick sich diese Nuancen der Beziehung (und vor allem auch ihre Vorgeschichte) erschließen. Das ZDF-Montagsfilm-Publikum wird sich wohl eher auf einer wenig hintergründigen Wirkungsebene diesem Film über eine Familienkrise nähern. In diesem Sinne wurde offenbar auch das dramaturgische Konzept für den Film entworfen. Das erste Drittel wird ganz aus der Perspektive des Mannes erzählt, der der fundamentalen Lüge seiner Frau nach und nach auf die Spur kommt – und darunter leidet. Da seine Reaktion ihn bei vielen Zuschauern und vor allem wohl Zuschauerinnen viel von seinem Sympathiebonus einbüßen lässt, rückt im Mittelteil die Ehefrau beinahe gleichberechtigt ins Zentrum der Handlung und übernimmt den „vernünftigen“ Part. Immer wieder ist sie es, die Annäherungsversuche macht, dabei denkt sie auch an ihren Sohn, der unter der Abwesenheit seines „Vaters“ mehr leidet, als er nach außen zeigt. Im Schlussdrittel gerät schließlich jener Milan stärker in den Fokus – nicht nur als das Kind, dem man größere Aufmerksamkeit schenken muss, sondern auch als aktiv handelnde Figur. Eine innere, eine psychologische oder konzeptionelle Notwendigkeit für den Perspektivwechsel ist nicht erkennbar. Es hat den Anschein, als sei die Entscheidung für die Erzählhaltungen vor allem aus dem Zwang geboren, die narrative Konstruktion zusammen und den Zuschauer vordergründig bei Laune zu halten. Die Zusammenarbeit zwischen Drehbuchautorin Britta Stöckle („Geht nicht gibt’s nicht“) und Regisseur Johannes Fabrick hat in den letzten Jahren zwei sehr sehenswerte Beziehungsdramen hervorgebracht: „Pass gut auf ihn auf“ (ZDF, 2013) mit Julia Koschitz und Barbara Auer sowie „Ich habe es dir nie erzählt“ (ZDF, 2011) mit Barbara Auer und Roeland Wiesnekker, ein Film über den Versuch einer Partnerschaft zweier Menschen, die schon einiges hinter sich haben im Leben, ein Film, der 9/2017 noch immer auf seine erste Wiederholung wartet!
Leider einige abgegriffene Erzählmuster im Spiel
Überhaupt wirkt die Dramaturgie dieses Films insgesamt etwas schlicht. Aus der Situation des Nicht-miteinander-Redens, das diese Geschichte offensichtlich braucht, sonst würde der Film nicht die nötige Länge von 90 Minuten erreichen, gibt es nicht viele narrative Möglichkeiten, herauszukommen und eine Klärung anzustreben. Die konkrete Sorge um den gemeinsamen „Sohn“, ist ein naheliegendes Motiv, weil es gewissermaßen auch „realistisch“ ist, das Ausbüchsen von Teenagern auch im wahren Leben häufig vorkommt. Eine solche Lösung im Schlussdrittel steht also der bei Normalzuschauern so beliebten „Glaubwürdigkeit“ nicht im Weg, als Erzählmuster aber ist es eben auch gerade deshalb so abgegriffen, weil es wegen seiner Alltagsnähe bei Autoren von „Problemfilmen“ mit Kindern so beliebt ist. Und nichts ist abgegriffener als der Zeitsprung nach der Intro-Szene („Sechs Monate vorher“), die die dramatische Situation aus der 77. Minute, die Suche nach dem verschwundenen Jungen, kurz anteasert. Beim ZDF glaubt man offensichtlich, die Zuschauer nicht anders an einer Beziehungsgeschichte ohne Mord und Todschlag halten zu können. Da ist sicher etwas dran, aber der Schwarze Peter liegt letztlich doch wieder beim ZDF, das auch sein Montagspublikum jahrelang auf äußerliche Spannungsplots konditioniert hat. Und Szenen mit Ansage wie die in der Disco, in der der vom Vater versetzte Sohn diesen sieht, wie er mit der ehemaligen Kellnerin seines Lokals herummacht, sowas das ist heute kaum noch Kika-tauglich.
Foto: ZDF / Erika Hauri
Die Regie und die Schauspieler können einiges ausbügeln
Was das Drehbuch von Britta Stöckle oder das ZDF mit seinen Vorgaben versemmelt haben, kann Regisseur Johannes Fabrick ansatzweise ausbügeln. Die bereits erwähnte Abschieds-Szene zwischen Vater und „Sohn“ ist einer der wenigen Wow-Momente des Films. Ganz besonders die Regie-Auflösung der dramatischsten Sequenz, in der die angestauten Gefühle emotional geballt und gebannt in große Bilder zum Ausdruck kommen, gibt dem Film, in dem die Hauptfiguren viel zu lange einzeln die Zimmerwände angeheult haben, endlich auch eine filmische Kraft: Endlich spürt man etwas von dem, was vorher bloße Behauptung blieb („Hab’ Scheiße-Angst, dass Milan nicht von mir ist“). Endlich gibt es Interaktion. Und durch die Reaktion des Mannes auf die – zum ersten Mal – absolute Offenheit seiner Noch-Ehefrau, spürt man seine tiefe Verletzung (und bekommt die Ahnung, dass das wohl nichts mehr wird mit den beiden). Die Solo-Wege der Hauptfiguren gehören zur konkreten Geschichte (die männliche Hauptfigur will nicht mehr kommunizieren) – und sie ist letztlich mitverantwortlich dafür, dass der Film sein Hauptpotenzial nicht 100%ig nutzen kann: seine Schauspieler Fritz Karl, Christiane Paul und Matti Schmidt-Schaller. Erfreulich ist der lakonische Schluss. Und wenigstens eine Botschaft stimmt versöhnlich. Was die Erwachsenen auch für Mist machen: Der Sohn geht vor, vor dem leiblichen und falschen Vater, das sagte sich vor 17 Jahren die Mutter. Der Sohn geht vor, vor seiner Mutter, das sagt sich heute auch sein Ziehvater.