Nichts für Feiglinge

Hannelore Hoger & Frederick Lau. „Das Alter ist wirklich nichts für Feiglinge“

Foto: Degeto / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Da haben sich zwei gefunden: Großmutter und Enkel, dieselben Sturköpfe; Hannelore Hoger und Frederick Lau, die perfekte Chemie. Der vorbildliche ARD-Freitagsfilm „Nichts für Feiglinge“ richtet sein Augenmerk auf die Interaktion zwischen den Generationen, weniger auf das, was sie sich schuldig sind, mehr auf das, was sie sich gegenseitig geben können. Die Charaktere leben, die Dramaturgie hält sich zurück. Für das Thema Altwerden gilt die größtmögliche Wahrhaftigkeit bei gleichzeitiger Zuversicht. Das Leben ein Auf & Ab, ein Kommen & Gehen. Und die Dialoge von Rauhaus sind ein Kapitel für sich.

Viel haben sie sich nicht zu sagen, der Musikstudent Philip und seine Groß- und Ziehmutter Lisbeth. Bei ihren wöchentlichen Treffen immer dasselbe Spiel: Er muffelt, sie stichelt. Erst als sich die ältere Dame immer auffälliger benimmt, muss der Enkel nach und nach erfahren, dass ihm seine bärbeißige Oma doch gar nicht so gleichgültig ist, wie er immer tut. Die Seniorin leidet unter vaskulärer Demenz. Zunächst will Philip das nicht wahrhaben. Er hält sich an die lichten Momente seiner Großmutter, die Aussetzer, die drastischen Ausraster verdrängt er. Philip will einfach nur sein Leben leben, mit seiner Freundin Doro und seinen WG-Kumpels – da stört Großmutter einfach. Als Lisbeth raus muss aus ihrer Wohnung, kommt für ihn nur ein Pflegeheim in Frage. Als man dort die widerborstige Frau gleich am ersten Tag fixiert und ruhigstellt, hat Philip plötzlich Gewissensbisse und verspürt nur noch den Drang, die Frau, die ihn groß gezogen hat, nachdem seine Eltern ums Leben gekommen sind, dort rauszuholen. Aber kann das gut gehen: eine Frau über 70 in einer Jungs-WG?

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Eine Frau über 70 in einer Jungmänner-WG. Vier Egoisten in einem Haushalt. Kann das gut gehen? Eine Weile schon! Frederick Lau, Burak Yigit, Tino Mewes & Hannelore Hoger

Da haben sich zwei gefunden: Oma und Enkel, dieselben Sturköpfe. „Nichts für Feiglinge“ richtet sein Augenmerk auf die Interaktion zwischen den Generationen, weniger auf das, was sie sich schuldig sind, mehr auf das, was sie sich gegenseitig geben können. Ein gesellschaftliches Problem wird in Michael Rowitz’ Film nach dem lebensklugen Drehbuch von Martin Rauhaus („Ein starker Abgang“) – wie so oft – auf eine private Geschichte, dabei allerdings auf die ganz alltäglichen Situationen heruntergebrochen. Der Enkel ist überfordert, der Gesundheitszustand alarmierend – wohin also mit der Großmutter? Lebenspraktische und moralische Aspekte werden von Philip durchdekliniert. Da ist zunächst Philips Überforderung, dann werden seine verschütteten Gefühle wachgerufen, Momente des Glücks sind die Folge und schließlich macht sich verdrängte Traurigkeit darüber breit, dass das nachgeholte Familienleben mit seiner Großmutter nicht ewig währen kann. Und auch sie, alt und krank, hat ihr Leben, ihre Gefühle, ihre Bedürfnisse, obgleich sie diese immer seltener so klarsichtig formulieren kann: „Das Alter ist wirklich nichts für Feiglinge.“ Und dann geht dieser Film den Weg, den ein Film, der von Jugend und Alter erzählt, gehen muss, konsequent zu Ende.

„Nichts für Feiglinge“ ist auch ein Schauspielerfilm. Frederick Lau kann einmal mehr zeigen, dass er einer der Besten seiner Generation ist. Seinen Philip spielt er zwar im jugendlichen Lässig-Modus, aber so wie er redet, wie er sich bewegt, bei alldem spürt man, dass dieser Student nicht im Reinen ist mit sich und der Welt – und so bricht es irgendwann aus ihm heraus: Er öffnet sich seiner Freundin Doro gegenüber, erzählt, wie es war, als er mit fünf Jahren die Eltern verlor, wie er sich abschottete gegen den Schmerz – sein Kloß im Hals zeugt heute noch von diesem, seinem Kindheitstrauma. Hannelore Hoger emanzipiert sich als Lisbeth wie selten in den letzten Jahren von ihrer Bella Block. Haare auf den Zähnen hat auch sie, aber mit dem Fortschreiten der Krankheit kommen immer weichere Züge bei ihr zum Vorschein. Weinen im Film überzeugt selten. Weil die Tränen oft das Erzählte abschließen, in Tränen ersticken und dem Zuschauer nicht selten ein Gefühl aufoktroyieren sollen. In diesem Film ist das anders: stets hat man den Eindruck, alle Macht gehe hier von den Charakteren aus: Sie haben es in der Hand, sie fühlen – und die Emotionsmaschine Film muss schweigen.

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Philip (Frederick Lau) möchte sich nicht dauernd um seine Großmutter kümmern, lieber würde er mehr Zeit mit seiner Freundin Doro (Anna Brüggemann) verbringen, bis diese ihm – fast so ein bisschen wie Oma – ganz gehörig den Kopf wäscht.

Ein Kapitel für sich – die Dialogsätze. Eine Auswahl:

Philip: „Ich kenne wirklich keinen Menschen, der sich in derartiger Rekordzeit mit dem Rest der Welt anlegt.“ Lisbeth: „Sag das der Welt, Junge.“

Philip zu Doro: „Lisbeth war Lehrerin und irgendwas in ihrem Kopf denkt immer noch, dass sie da vorne an der Tafel steht und alle anderen müssen ihr zuhören.“

Dr. Jonas: „Sie sollte die Tabletten nehmen, die verhindern sollen, dass sie vergisst die Tabletten zu nehmen – aber genau das wird sie vergessen.“

Ein Fremder: „Es gibt die Scheiße und es gibt das Tolle – und im Leben da mixen wir das alles schön zusammen, damit es nicht langweilig wird.“

Philip: „Hast du mal ’ne Minute?“ Doro: „Da kann ja nicht viel kommen, wenn ’ne Minute reicht.“

In dieselbe Kerbe schlägt der Verzicht auf eine forcierte Spannungsdramaturgie. Das Auf und ab, das Kommen und Gehen des Lebens bestimmen vielmehr die dramaturgische Linie des Films, die eher durch Dialektik als wohlfeile Didaktik gekennzeichnet ist. Das Hin und Her, das Für und Wider, das sind auch die Erzählprinzipien im Kleinen. Ausgangspunkt sind auch hier wieder die Charaktere: Sie sind nicht nur lebendig und sehr direkt, es sind auch Menschen, denen eine gute Portion Intellekt von Martin Rauhaus mitgegeben wurde. „Ich bin doch nicht blöd“, heißt es immer wieder. Und so sind sie in der Lage, ihr eigenes Verhalten, ihre Gefühle zu kommentieren, immer wieder selbst eine Distanzierungsebene in die Handlung einzuziehen: da fragt der Enkel die Großmutter nach den „schönsten Dingen im Leben“. Selten waren sich die beiden so nahe (und doch springt die Kamera zwischendurch in eine extreme Totale). Diese Szene ist kein bisschen kitschig – dennoch zeigt sich Lisbeth amüsiert über ihren Anflug von Nostalgie und quittiert ihn mit den Worten „hoffnungslos sentimental“.

Nichts für FeiglingeFoto: Degeto / Frank Dicks
Hauptsache selbstbestimmt! „So schön ist die Welt.“ Möglicherweise die letzte Radtour? Hannelore Hoger

Bei aller Problembezogenheit besitzt der Film eine sympathische Grundentspanntheit. Seine Macher suchen nach größtmöglicher Wahrhaftigkeit bei gleichzeitiger Zuversicht. Frohgemut wird man aus dem Film entlassen und doch weiß man: es ist nur eine Momentaufnahme, das Leben (von Philip & Doro, sie ist ein bisschen Alter Ego von Lisbeth) geht weiter – es ist ein ständiges Auf und Ab. Das Thema nicht als Drama – und doch so nachhaltig – zu verpacken, das ist große Fernsehkunst, auch wenn „Nichts für Feiglinge“ so belanglos klingt, so klein aussieht und teilweise so locker daherkommt. Und die Dialoge sind noch einmal ein ganz eigenes Kapitel. Da hört man Filmsätze, die man sich an die Wand nageln möchte. So stimmig, so wahr, so wunderbar auf den Punkt gebracht. Rauhaus findet hier eine Sprache von Jugend und Alter, die „authentisch“ wirkt und doch die Wirklichkeit nicht billig nachäfft. Mit der Sprache und der Fähigkeit, mit Phantasie, Ironie, Sarkasmus, aber auch mit Gefühl, den Situationen des Lebens zu begegnen, schließt sich der Kreis dieses wunderbaren Unterhaltungsfilms, der am Freitagabend im Auftrag der ARD-Degeto Maßstäbe setzt.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Hannelore Hoger, Frederick Lau, Anna Brüggemann, Tino Mewes, Burak Yigit, Dagmar Sachse, Sandra Borgmann, Stephan Kampwirth, Felix Vörtler

Kamera: Dietmar Koelzer

Szenenbild: Stefan Schönberg

Schnitt: Claudia Wolscht

Musik: Egon Riedel

Produktionsfirma: Calypso Entertainment

Produktion: Brit Possardt

Drehbuch: Martin Rauhaus – nach einer Idee von Claudia Matschulla

Regie: Michael Rowitz

Quote: 4,44 Mio. Zuschauer (13,9% MA)

EA: 10.01.2013 20:15 Uhr | ARD

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