Nicht tot zu kriegen

Iris Berben, Murathan Muslu, Nina Grosse. Der gestalkte Star und der stille Bodyguard

Foto: ZDF / Alexander Fischerkoesen
Foto Rainer Tittelbach

Zum Siebzigsten von Iris Berben hat sich Filmemacherin Nina Grosse etwas Besonderes ausgedacht. Frei nach Franz Doblers Roman „Ein Schlag ins Gesicht“ und inspiriert vom bewegten Leben & der Filmographie der beliebten Schauspielerin macht die frankophile Autorenfilmerin eine alternde Filmdiva zum Stalking-Opfer eines offensichtlich gestörten Fans aus alten Tagen, der mit dem Altern seines Objekts des Begehrens weniger zurecht kommt als der Ex-Star selbst. „Nicht tot zu kriegen“ ist eher Drama als Thriller. Grosse interessiert sich mehr für die Charaktere und filmische Stimmungen als für Krimi-Spannung. Ihre Inszenierung besitzt Stil & Ironie, beweist Geschmack & große Zeitgeistkenntnis. Musik im Film und Film im Film – alles, was beim deutschen Durchschnitts(fernseh)zuschauer normalerweise nicht ankommt, das kann man sich endlich mal – am Geburtstag von Iris Berben – erlauben! Die Schauspielerin selbst knüpft an die starken Leistungen ihrer letzten großen Filme an, und Murathan Muslu als stiller Schweiger ist eine ideale Besetzung. Zwischen beiden ergibt sich ein wunderbares Wechselspiel der Blicke & kleinen Gesten.

Ihre goldenen Zeiten hat sie längst hinter sich. Jetzt arbeitet die in die Jahre gekommene Filmschauspielerin Simone Mankus (Iris Berben), unterstützt von ihrem Sohn (Barnaby Metschurat) und ihrer Schwiegertochter (Katharina Nesytowa), an ihrem Comeback. Erschwert wird die Kampagne um die noch immer öffentliche Frau, deren Affären und Skandale stets von der Klatschpresse begleitet wurden, durch einen hartnäckigen Stalker, der sie massiv mit Telefonaten und hässlichen „Geschenken“ bedroht. Ein Bodyguard soll das Problem lösen. Auch der hat schon bessere Zeiten gesehen: Jener Robert Fallner (Murathan Muslu) war Polizist, wurde aber suspendiert, weil er im Dienst einen Teenager-Dealer erschossen hat. Umso mehr möchte der schweigsame Mann nun einen guten Job machen – und er gibt sich nicht damit zufrieden, nur Personenschützer zu sein. Möglichst noch vor einem Club-Auftritt möchte er den Stalker zur Strecke bringen. Das Konzert absagen ist keine Option. Eine angesagte Indie-Girl-Group hat alte Songs der Mankus gecovert, die sie nun gemeinsam performen wollen. Das kann sie sich nicht entgehen lassen. Für Fallner bedeutet das: Er muss in der Vergangenheit der launischen Diva herumschnüffeln und vor allem ihre abgelegten Liebhaber ins Visier nehmen. Dabei stößt er auf ein sehr privates Geheimnis. Ihre Villa in Grünwald hat sich Mankus offenbar nicht nur mit ihren 150 Filmen verdient.

Nicht tot zu kriegenFoto: ZDF / Alexander Fischerkoesen
Barnaby Metschurat über die komplizierte Mutter-Sohn-Beziehung. „Die Liebe zwischen den beiden musste nie mit Geschwistern oder Partnern geteilt werden. Die besonderen Verhältnisse eines Schauspielerinnenlebens trugen dazu bei, dass ihre Beziehung noch symbiotischer wurde. Die Suche nach Erfolg, Selbstverwirklichung und Anerkennung nahm dadurch einen ungesunden Lauf. Vor allem bei ihm.“

Zum Siebzigsten von Iris Berben haben sich ihr Sohn Oliver Berben, Produzent Jan Ehlert und als kreativer Kopf Nina Grosse, zuletzt verantwortlich für die Berben/Berben-Serie „Die Protokollantin“, etwas ganz Besonderes ausgedacht. „Nicht tot zu kriegen“ spielt lustvoll mit dem Image der gewürdigten Hauptdarstellerin; so gibt es etliche Parallelen, die Biographien von Schauspielerin und Figur betreffend. Beide sind „Kinder“ der 60er/70er Jahre, für beide ist der Begriff „Rampensau“, der im Film fällt und den auch Berben für sich gelten lässt, zutreffend, und beide haben einen unehelichen Sohn. Doch während sich Iris Berben in ihrer Karriere weiterentwickelt hat und immer wieder auch politisch und gesellschaftlich Position bezieht, ist die Heldin des ZDF-Fernsehfilms in ihrer Zeit steckengeblieben. „Nach wie vor glaubt sie, dass der große Auftritt der Pelzmantel ist und das perfekt geschminkte Gesicht, die große Geste“, sagt Iris Berben über ihre Figur. Der filmische Werdegang der beiden könnte indes ähnlich verlaufen sein. Denn aus fünf Berben-Filmen, die von Grosse mit kurzen Ausschnitten im Film bedacht werden, macht die Autor-Regisseurin fünf Mankus-Filmen.

Dazu gehören zwei Movies aus dem Swinging München (Thomés „Supergirl – Das Mädchen von den Sternen“ und Bogners „Stehaufmädchen – Liebe in der Apo-Zeit“) und ein 69er-Kultfilm des WDR („Brandstifter“), die die wilde Studentenzeit und die modische Sexyness der jungen Berben abbilden, während Markus Imbodens Kinofilm „Frau Rettich, die Czerni und ich“ (1998) und Matti Geschonnecks „Duell in der Nacht“ (2007) für ihre sehr viel reiferen Leistungen der letzten 25 Jahre stehen. Die Auswahl hat System – auch für die Geschichte: Während sich die Heldin und ihr Bodyguard jeweils einen der neueren Filme anschauen, ergötzt sich der Stalker an der Mankus der frühen Jahre. „Du warst ein goldenes Mädchen, nun bist du alt“, schimpft er ihr am Telefon ins Ohr. Das Motiv für das Bedrohungsszenario ist also der Ärger darüber, dass sie (und auch er?!) nicht mehr jung ist.

Nicht tot zu kriegenFoto: ZDF / Alexander Fischerkoesen
Die Berben singt (mit Gurr)! Und der Film reflektiert ihre Filmografie – mit Hilfe einiger Filmausschnitte. Endlich einmal findet die deutsche Populärkultur und ein wenig auch der Lifestyle einer Dekade (leicht ironisch) Eingang in einen Fernsehfilm.

Der Thriller kommt auf leisen Sohlen. „Nicht tot zu kriegen“ ist eher ein Drama. Nina Grosse interessiert sich mehr für die Charaktere als für Krimi-Spannung, filmische Stimmungen dominieren über vordergründigen Nervenkitzel. Die unter anderem in Paris aufgewachsene Filmemacherin bevorzugt seit jeher ein Genre-Erzählen, wie es das europäische Autorenkino pflegt(e). Besonders der französische Blick hat es ihr angetan – auch in ihrem neuen Film: Straßen, Lokale, die Nacht, die Lichter der Großstadt, Einsamkeit und Melancholie, die alternde Schöne und der virile Kerl. Und so hat der Film denn auch seine großen Stärken im Bereich der Bilder, der Situationen, der Subtexte. Da ist der gestörte Fan, der wie ein enttäuschter Liebhaber, dem Verfall seines Objekts des Begehrens ins Auge blicken muss. Da sind die Überreste von Familie: der Sohn ein Häuflein Elend, verschuldet, emotional instabil und doch „Freund und engster Vertrauter“, wie der Star in einer Talkshow verrät. Mankus‘ Männer sind Verflossene, ihr letzter Lover war ein Haudrauf, ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Vielleicht ist es der Mankus immer so kalt, weil ihr die Männer fehlen. Der Champagner und die Pelzmäntel machen es nicht wärmer. Da kommt ihr dieser Ex-Polizist gerade recht. Der weiß wenig über sie, der „sieht“ sie, ohne sich von ihrem Image beeinflussen zu lassen. „Sie sind gut“, lobt der wortkarge Mann die Schauspielerin für ihre Leistung in „Duell in der Nacht“, später rührt er sie zu Tränen, weil er der Einzige ist, der sie versteht. Und weil es ihr immer so kalt ist, lädt sie ihn gleich in der ersten Nacht in ihr Bett ein, allerdings nur, um sich an ihm festzuhalten und zu wärmen. Ein Gästezimmer hat sie nicht. Wer sie besucht, der schläft in ihrem Bett. Auch das eine augenzwinkernde Reminiszenz an die freizügigen Sixties.

Wann reflektieren das Fernsehen oder das Kino hierzulande schon mal die eigene Populärkultur?! Was in den USA, in England und Frankreich gang und gäbe ist, das gehört in Deutschland zu den No-Go’s. „Der Sommer nach dem Abitur“, der Popkultur und Teenager-Alltag ohne Nostalgie-Kitsch kurzschloss, war unlängst eine Ausnahme. Die Schwabinger Sixties, die in „Zur Sache, Schätzchen“ auch Kinogeschichte schrieben (es ist sicherlich kein Zufall, dass die Mankus ihren Aufpasser ständig „Schätzchen“ nennt), fließen zwar nur am Rande in Grosses Film ein, dafür stimmen aber die beiläufigen Anspielungen auf die Kultur der Achtundsechziger – Joni Mitchells „Sternenstaub“ aus ihrem Song „Woodstock“ oder das „Sunday Morning“, das Berben gemeinsam mit der Band Gurr neben zwei anderen Songs anstimmt und damit auch der legendären Nico und Velvet Underground die Ehre erweist. Und dann sind da ja noch die Filmausschnitte. Musik im Film und Film im Film – alles, was bei deutschen Fernsehzuschauern normalerweise nicht ankommt, das kann man sich endlich einmal – am Geburtstag von Iris Berben – erlauben! Und die Schauspielerin selbst knüpft an die starken Leistungen ihrer letzten großen Filme an (allen voran „Silberhochzeit“ oder die beiden Grimme-Preis-gekrönten Dramen „Liebesjahre“ und – zuletzt – Dominik Grafs „Hanne“). Ihre Diva bleibt nicht die Hysterikerin der Exposition. Dafür sorgt nicht zuletzt Fallners stoische Ruhe. So ergibt sich auch zwischen Berben und Muslu ein wunderbares Zusammenspiel der Blicke und kleinen Gesten. Und Grosses Inszenierung hat Stil, beweist Geschmack und Zeitgeistkenntnis. Trotz des Stalker-Motivs findet man auch reichlich Ironie. Als beispielsweise die Heldin ihrem „Gast“ die Galerie ihrer Verflossenen präsentiert, kommentiert sie ein Foto mit: „irgendein Engländer, der mal in München war“. Zu sehen ist darauf zweifelsfrei das Konterfei von Keith Richards.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ORF, ZDF

Mit Iris Berben, Murathan Muslu, Barnaby Metschurat, Katharina Nesytowa, Helgi Schmid, Johannes Zeiler, Philipp Hochmair, Julischka Eichel, Mohamed Issa, Andreas Leupold, Robert Joseph Bartl, Jacques Breuer, Marianne Mendt

Kamera: Alexander Fischerkoesen

Szenenbild: Maximilian Lange

Kostüm: Petra Kray

Schnitt: Tobias Haas, Melanie Schütze

Musik: Stefan Will, Peter Hinterthür

Redaktion: Caroline von Senden, Laura Mae Cuntze

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Jan Ehlert, Oliver Berben

Drehbuch: Nina Grosse – nach dem Roman „Ein Schlag ins Gesicht“ von Franz Dobler

Regie: Nina Grosse

Quote: 4,75 Mio. Zuschauer (18,6% MA)

EA: 10.08.2020 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach