Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal

Jaenicke, Bormann, Baumeister, Fiedler, Holger Haase. Alles ziemlich grob geraten

Foto: Sat 1 / Maor Waisburd
Foto Tilmann P. Gangloff

Das Sat-1-Drama über drei Frauen, deren Brustimplantate minderwertiges Silikon enthielt, irritiert durch zotige Sprüche; die zum Teil niveaulosen Lustspieldialoge passen überhaupt nicht zum seriösen Ansatz des Films. Auch die Genre-Einordnung als „Dramedy“ durch Sat 1 ist nicht glücklich. „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ ist seit 2014 die vierte gemeinsame Arbeit von Holger Haase und Hannes Jaenicke, der auch die Idee zu der Geschichte hatte. Er spielt einen Anwalt, der seine Ideale sowie den Glauben an die Liebe verloren hat.

Die Geschichte ist alles anderes als komisch, zumal sie auf wahren Ereignissen beruht: Weil eine französische Firma Implantate mit preiswertem, aber vermutlich krebserregendem Industriesilikon in Umlauf gebracht hat, trugen mehrere 100.000 Frauen nach der Brustvergrößerung „tickende Zeitbomben“ mit sich herum, wie es in „Nicht mit uns!“ heißt; einige der eingesetzten Kissen sind sogar geplatzt. Das klingt nicht nach einem Stoff, aus dem man eine Komödie machen müsste, und der Sat-1-Film ist in der Tat nicht komisch; umso seltsamer, dass der Sender ihn trotzdem als „Dramedy“ einstuft. Das Kunstwort ist mit „Tragikomödie“ nur unzureichend übersetzt. Es wird im angelsächsischen Sprachraum in der Regel für komische Serien verwendet, die sich mit ernsten Themen befassen. Als Klassiker gilt die Anwaltsserie „Ally McBeal“. Vielleicht ist das die Erklärung für die nicht ganz zutreffende Genre-Bezeichnung, denn die Hauptfigur von „Nicht mit uns!“ ist ebenfalls Jurist.

Das Buch von Regisseur Holger Haase basiert auf einer Idee von Hannes Jaenicke, der sich auch eine passende Rolle ausgedacht hat: Axel Schwenn ist ein Anwalt, der als junger Mann die Welt verändern wollte, aber irgendwann sind ihm nicht nur seine Ideale, sondern auch der Glaube an die Liebe abhandengekommen. Heute ist Schwenn ein Playboy, der sein Talent an windige Mandate verschwendet. Weil er seine Prozesse trotzdem zu gewinnen pflegt, wäre er eigentlich genau der richtige für die drei Frauen, die gerade ihren Implantatsprozess gegen einen großen Pharmakonzern verloren haben. Als Schwenn hört, dass sie ihn nicht bezahlen können, ist die Sache für ihn erledigt; bis er erfährt, wer die Gegenseite vertritt.

Nicht mit uns! Der Silikon-SkandalFoto: Sat 1 / Maor Waisburd
Moral muss auch mal illegale Wege gehen. Susanne Bormann & Hannes Jaenicke in „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ (2017)

Haase erzählt mit „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ also zwei Geschichten: hier das bedauernswerte und empörende Schicksal der drei Frauen, dort die Läuterung des Hedonisten, der endlich wieder zur einstigen Haltung zurückfindet. Dieser doppelte Handlungsansatz wäre allerdings interessanter, wenn die Figuren mehr Tiefe hätten. Gerade die drei Frauen werden im Wesentlichen auf die Motive ihrer Brustvergrößerung reduziert: Polizistin Jenny (Susanne Bormann) hatte viele Jahre lang Minderwertigkeits-Komplexe wegen ihrer kleinen Brüste, Konstanze (Muriel Baumeister) hat drei Kinder gestillt und wollte wieder einen schönen Busen, und bei Porno-Darstellerin Micki (Stephanie Krogmann) erübrigen sich weitere Erklärungen. Jenny, deren Implantate entfernt worden sind, ist die Kämpferin des Trios, ihr geht es nicht ums Geld, sondern um Gerechtigkeit. Die beiden anderen haben dagegen nicht viel zu tun. Konstanzes Rolle beschränkt sich auf den Verrat: Sie hat die Anwältin der Gegenseite mit Informationen versorgt. Micki zeichnet sich vor allem durch unecht klingendes Schwäbisch aus (Krogmann ist Badenerin, der Film spielt in Stuttgart).

Die Rolle des Juristen vielschichtiger zu nennen, wäre zwar übertrieben, zumal Jaenicke diesen Schwenn exakt so verkörpert, wie er seine Sat-1-Rollen immer spielt: ein grober Klotz, aber trotzdem sympathisch; zumindest macht Axel Schwenn jedoch eine gewisse Entwicklung durch. Anfangs wirft der Anwalt mit frauenfeindlichen Sprüchen nur so um sich, was Jennys Kampfgeist provoziert. Damit die beiden mehr als nur der Prozess verbindet, muss die auf den Fall fixierte Polizistin auch noch die Trennung von ihrem vernachlässigten Freund Christian (Adrian Topol) verkraften. Trost findet sie ausgerechnet bei Schwenn; bis sie zufällig auf ein Video stößt, das ihn vermeintlich beim Sex mit Micki zeigt.

Nicht mit uns! Der Silikon-SkandalFoto: Sat 1 / Maor Waisburd
Noch stehen die Zeichen beim Prozess auf Sieg. Stephanie Krogmann, Hannes Jaenicke, Susanne Bormann, Muriel Baumeister

Vermutlich sollten diese Nebenschauplätze dem Film eine gewisse Lockerheit geben, aber sie sorgen bloß dafür, dass er uneinheitlich wirkt. Haase hat für Sat 1 mit „Die Ungehorsame“ ein richtig gutes Drama über Gewalt in der Ehe gedreht. Umso merkwürdiger, dass er „Nicht mit uns!“ als verkappte Komödie konzipiert hat; zum Schicksal der drei Frauen und ihrer berechtigten Angst vor Krebs passen die flapsigen Sprüche und vor allem die diversen Schlüpfrigkeiten überhaupt nicht. Außerdem verschenkt Haase seltsamerweise ein Potenzial, dass ungleich interessanter ist als die Chauvi-Gespräche zwischen Schwenn und seinem Kumpel Bernie (Johannes Zirner), dessen Bar ihm auch als Büro dient: Der Anwalt und die Vertreterin des Konzerns kennen sich nicht nur seit vielen Jahren, sie waren sogar miteinander verlobt, aber Katharina Vogt hat damals ein ganz mieses Spiel mit ihm getrieben; deshalb ist aus dem romantischen Kämpfer für Gerechtigkeit ein Zyniker geworden. Weil Mimi Fiedler die wie Schwenn mit allen Abwassern gewaschene Kontrahentin maliziös lächelnd als schöne Märchenhexe verkörpert, ist die Frau eine ausgesprochen reizvolle Gegenspielerin; leider haben Jaenicke und Fiedler viel zu wenige gemeinsame Szenen.

„Nicht mit uns!“ ist nach „… und dann kam Wanda“ (ARD), „Bodycheck“ (Sat.1) sowie zuletzt „Ein Dorf rockt ab“ (ZDF) Haases vierte Zusammenarbeit mit Jaenicke seit 2014 und nicht der erste Film, der auf einer Idee des Hauptdarstellers beruht. Unterhaltsam waren sie alle, selbst wenn Jaenicke im Grunde jedes Mal die gleiche Rolle gespielt hat; aber das ist nicht das Problem dieses Films. Was wirklich stört, sind die zum Teil zotigen Dialoge, mit denen sich Haase auf ein für ihn ganz untypisches Lustspielniveau begibt. Gerade Micki muss mehrfach für Zweideutigkeiten herhalten („Ich kann französisch“ – „Ich meine die Sprache“), aber auch Schwenn mag’s deftig („richtig gefickt wird erst in der Hauptverhandlung“). Was in anderem Zusammenhang vielleicht witzig wäre, passt hier nicht zum ernsten Ansatz des Films. Ähnlich unseriös wirkt der Einfall, dass Jenny einen potenziellen Kronzeugen mit der Pistole bedroht. Es ist zwar nicht sonderlich realistisch, dass die Schutzpolizistin in ihrer Freizeit mit der Dienstwaffe herumläuft, aber der Vorfall ist ohnehin eine Drehbuchkrücke und dient nur dem Zweck, den Prozess platzen zu lassen. In der gleichen Szene hat auch Jaenicke einen unglaubwürdigen Auftritt: Jenny & Schwenn passen den Zeugen beim Joggen ab, doch dem Anwalt geht nach wenigen Metern die Luft aus; dabei hat Jaenicke vorher ausgiebig seinen durchtrainierten Körper vorführen dürfen. Solchen Ungereimtheiten zum Trotz betont Haase, es sei ihm wichtig gewesen, sich den Fall mit „höchstmöglicher Authentizität“ zu erarbeiten: „Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir ein sensibles Thema behandeln. Mir liegt es enorm am Herzen, in diesem Film mit ebenbürtiger Sensibilität die Frauen und ihre Geschichte zu inszenieren.“ Das muss er zwischendurch vergessen haben.

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Fernsehfilm

Sat 1

Mit Hannes Jaenicke, Susanne Bormann, Muriel Baumeister, Stephanie Krogmann, Mimi Fiedler, Adrian Topol, Johannes Zirner

Kamera: Uwe Schäfer

Szenenbild: Stéphanie Strecker

Schnitt: Thorsten Lenz

Musik: Andy Groll

Produktionsfirma: Producers at Work

Produktion: Christian Popp

Drehbuch: Holger Haase – nach einer Idee von Hannes Jaenicke

Regie: Holger Haase

EA: 17.10.2017 20:15 Uhr | Sat 1

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