Die Forstmanns verschlägt es aus dem beschaulichen Bayern mitten in die Berliner Großstadt. Vom adretten Einfamilienhaus geht es vorübergehend in einen heruntergekommenen Hinterhof. Den Herrn Staatsanwalt stört die neue Umgebung wenig – der hat seine Arbeit. Für die Gattin jedoch ist es ein arger Kulturschock. Sie traut sich kaum noch heraus aus ihrer Wohnung. Überall sieht sie nur Dealer, Säufer und anderweitig Durchgeknallte. Doch bald verfolgt sie mit zunehmendem Interesse das Treiben im Hof. Mit einem Fernglas verschafft sie sich sogar Zugang in die Schlafzimmer der Nachbarn. Besonders der in Liebesdingen unersättliche Türke von gegenüber hat es ihr angetan. Doch eines Nachts traut sie ihren Augen nicht: trägt da nicht dieser attraktive Mann eine Leiche huckepack durch den Hinterhof?!
Was wie eine Milieustudie, emotional fest gemacht an dem Blick einer verunsicherten Fremden, für ein TV-Movie ungewöhnlich atmosphärisch beginnt, schlägt nach und nach um in eine liebenswert verkappte Krimikomödie, für die Hitchcocks „Fenster zum Hof“ Pate stand. Den Part fürs Sinnliche, den im Hollywood-Vorbild Grace Kelly inne hatte, übernimmt in „Nette Nachbarn küsst man nicht“ Erdal Yildiz, mit dem auch schon Corinna Harfouch – wenngleich weniger körperlich – als Eva Blond im Clinch lag. Sein Cem streichelt, schmeichelt, küsst. Und die Dame aus besseren Kreisen, die von ihrem liebenswert abwesenden Ehemann solchen (Körper-)Einsatz kaum noch zu erwarten hat, weiß sich nicht seiner zu erwehren. Dumm nur, dass sich bei ihm offenbar zum Eros die Mordlust gesellt.
Diese Helga Forstmann ist ungewöhnlich für Senta Berger, die häufig Frauen spielt, die patent sind und von ihren Erfahrungen leben. „So eine Figur habe ich noch nie gespielt“, zeigt sich die Schauspielerin ziemlich begeistert von der Rolle. „Mich hat ihre Mädchenhaftigkeit, ihre fast kindliche Fantasie und Neugierde besonders angesprochen.“ Und damit verbunden ihre Inkonsequenz: stets ist das, was sie denkt („das mach ich auf keinen Fall.“), etwas ganz anderes als das, was sie tut. Ihr Gefühlsleben ist gar nicht so wohl geordnet, wie es den Anschein hat. In ihren Gedanken meldet sich das Gewissen, in ihrem Tun die Lebenslust. „Das ist alles schon sehr eingefahren in ihrer Ehe“, findet Berger, die seit fast 40 Jahren mit Regisseur Michael Verhoeven verheiratet ist. „Ihre Ängste will der Gatte nicht ernst nehmen.“
Foto: Sat 1 / Thomas Ernst
So ungewöhnlich wie die Rolle für Senta Berger ist, so ungewöhnlich ist der Film von Grimme-Preisträger Stephan Wagner („Dienstreiset“) auch für Sat 1. Bei allem Hang zur Groteske und zu trockenem Witz wirkt das Kiez-Ambiente weder künstlich noch fürs Fernsehen ausgestellt. Der Hinterhof, auf den Senta Bergers bourgeoise Bayerin soziale Klischees und bürgerliche Vorurteile projiziert, verströmt echten Altberliner Flair. Hinzu kommt das Bemühen, sich ganz auf die Charaktere, den Ort und die kleinen Geschichten zu konzentrieren. Das gelingt wunderbar, weil Wagner auf Nuancen schaut und die Besetzung bis in die Nebenrollen stimmig ist. Neben Berger und Gwisdek besticht Nina Kunzendorf als abenteuerlustige „Putze“, die sich als Kunststudentin entpuppt. (Text-Stand: 7.2.2006)