„Ich wuchs heran und erkannte, dass dunkle Haut und krauses Haar Zeichen von Überlegenheit waren. Ich wurde von Weißen bedient und von Weißen bewundert. Ich lebte in dem festen Glauben, der Mittelpunkt des Universums und etwas ganz Besonderes zu sein.“ Das naive Weltbild, das sich da ein kleiner Junge im Hamburg der frühen 30er Jahre zurecht bastelt, sollte sich alsbald als Trugschluss erweisen. Dass sein Großvater ein liberianischer Konsul war und eine vornehme Villa bewohnte, konnte nicht verhindern, dass der schwarzhäutige Hans-Jürgen nach seinen glücklichen Vorschuljahren mit Hitlers Machtantritt unerträgliche Zeiten erleben musste. Die 13 Jahre wurden zum Trauma seines Lebens. Der echte Hans-Jürgen, Hans-Jürgen Massaquoi, hat die Erinnerungen an seine Jugendjahre unter der Naziherrschaft in seiner Autobiografie „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ erst vor einigen Jahren niedergeschrieben. Das ZDF hat jetzt einen bewegenden Film daraus gemacht.
„Es grenzt schon an ein Wunder, dass Hans-Jürgen Massaquoi den gnadenlosen Nationalsozialismus und das Inferno der Kriegsjahre in Hamburg überlebt hat“, sagt Regisseur Jörg Grünler. Ermöglicht haben es eine aufopferungsvoll kämpfende Mutter, Freunde und Menschen aus der Barmbeker Nachbarschaft. Aus dieser Alltagsperspektive heraus erzählt denn auch Grimme-Preisträgerin Beate Langmaack die Geschichte vom heranwachsenden Hans-Jürgen, dem die einen Liebe entgegenbringen, andere, von denen man es nicht erwartet, Sympathie, und dem wieder andere mit offener Diskriminierung begegnen. Die Täter, überzeugte Nazis und Eliteverbrecher des Systems, bleiben im Hintergrund. Gelegentlich ins sepiafarbene Bild gerückt werden armselige Mitläufer und linientreue Opportunisten. Buch wie Film ziehen ein ähnliches Fazit wie die ebenfalls verfilmten Kindheitserinnerungen des Schauspielers Michael Degen: „Nicht alle waren Mörder.“
Foto: ZDF / Wolfgang Lehmann
Besonders erschreckend zeigt der Film, wie die Jugend und die Kinder fasziniert sind von dem „neuen Geist“. Für manch einen Dreikäsehoch ist es schick, ein Hakenkreuz auf dem Pullover zu tragen. Man gehört dazu, ist stolz, fühlt sich erwachsen. So ist nichts für den Helden schlimmer, als nicht zur Hitlerjugend zu dürfen. Selbst später will er immer wieder beweisen, dass er „ein richtiger Deutscher“ ist. Doch selbst in den Krieg will man dieses Produkt der „Rassenschande“ nicht lassen. Dieses Moment hat auch die weibliche Hauptdarstellerin Veronica Ferres am meisten bewegt. „Wenn jemand sich nichts sehnlicher wünscht, als in die Arme seines Mörders zu fallen, ist das einfach absurd und sagt viel über die Gefährlichkeit dieses Regimes aus.“
Der Stoff war der Ferres früh aufgefallen. Um die Rolle von Berta Baetz einmal spielen zu können, hatte sich die Schauspielerin früh um die Rechte bemüht. Doch Markus Trebitsch hatte sie bereits erworben. Dass Ferres nun diese couragierte Frau spielen durfte, war eine gute Fügung. Auch wenn sie in der Öffentlichkeit manchmal ein bisschen zu penetrant für die „starken Frauen, die durch ihre ungewöhnlichen Lebenswege Maßstäbe setzen“ plädiert, Einsatz für „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ ist lobenswert. Und der Zweiteiler ist über weite Strecken keine One-Woman-Show.
Dafür ist das Schicksal jenes Hans-Jürgen zu bewegend und das Spiel der drei Jungdarsteller, die ihn verkörpern, zu anrührend. Und der Film, indem er zeigt, wie Zivilcourage und Mitgefühl die von oben diktierte Barbarei aushebeln, zu wichtig. Auch wenn man dem Film durch die Fokussierung auf das alltägliche Miteinander den Vorwurf der Verharmlosung machen kann, so ist er in seiner Perspektive und Reduktion doch konsequent und stimmig. Er zeigt nur eine von vielen möglichen Sichtweisen auf das Phänomen Nationalsozialismus. „Und der Film erzählt vor allem eine gute, wahrhaftige Geschichte“, so Ferres. „Er ist nah am Leben dran, ist emotional, sensibel, ohne reißerisch zu sein, und er zeichnet Menschen, die nicht den gängigen Klischees entsprechen.“ (Text-Stand: 1.10.2006)
Foto: ZDF / Maria Krumwiede