Neben der Spur – Schließe deine Augen

Ulrich Noethen, Maurer, Leuenberger, Josef Rusnak. Der Psychiater kann’s nicht lassen

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Zum siebten Mal ist Ulrich Noethen in der ZDF-Reihe „Neben der Spur“ (Network Movie) als Hamburger Psychiater im Einsatz. Seelisch nicht mehr so weit unten wie in der vorigen Episode „“Erlöse mich“, aber nicht in jeder Situation Herr der Lage. Geblieben ist seine Expertise als Kenner der kranken Psyche, geblieben sind aber auch seine zittrigen Hände. In „Schließe deine Augen“ ist Jessen auf der Zielgeraden reichlich Kamikaze-haft unterwegs. Er spielt den Lockvogel für einen Psychopathen und gerät in Gefahr – wie auch seine Liebsten… Die Geschichte von „Schließe deine Augen“ gehört zu den schwächeren dieser immer sehenswerten ZDF-Reihe, und auch dramaturgisch und filmisch ist diese Episode von Josef Rusnak wenig raffiniert gestaltet. Starke Szenen gibt es aber auch hier: dank Noethen!

Einmal Profiler, immer Profiler. Joe Jessen (Ulrich Noethen) kann’s nicht lassen. Wegen seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung wollte sich der Psychiater von seiner Beratertätigkeit für die Hamburger Polizei zurückziehen. Doch weil seine Frau Nora (Petra van de Voort) zum ersten Mal nach der Trennung mit ihm und ihrer gemeinsamen Tochter Lotte (Lilly Liefers) längere Zeit an der Nordsee machen möchte, könnte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Denn in einem verzwickten Doppelmord benötigt Anna Bartholomé (Marie Leuenberger), die langjährige Kollegin von Vincent Ruiz (Juergen Maurer), Unterstützung. Die Kommissarin, die einst um ein Haar im Dienst ihr Leben lassen musste, hat sich offenbar ganz bewusst von Hamburg ins beschauliche Fischerstädtchen Husum versetzen lassen. Doch verrückte Psychopathen gibt es auch hier. Eine Mutter und ihre 16jährige Tochter sind brutal in ihrem Haus ermordet worden. 35 Messerstiche lassen auf eine große Wut des Täters schließen. Der Ex (Tim Wilde), den die Scheidung seine Existenz gekostet hat, hätte ein Motiv. Aber bringt ein Vater seine Tochter um? Auch dem Spanner (Tom Lass) von nebenan sind die Morde eher nicht zuzutrauen. Vermutlich hat die Frau, die nach der Scheidung das Leben in vollen Zügen genoss, sich den falschen Mann mit nach Hause genommen.

Neben der Spur – Schließe deine AugenFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Schrecklicher Typ! Der selbsternannte Internet-Profiler Zanussi (Rafael Gareisen) kitzelt im Netz das narzisstische Ego des Mörders – und Jessen (Noethen) schlägt zu.

Zum siebten Mal ist Ulrich Noethen in der ZDF-Reihe „Neben der Spur“ als Hamburger Psychiater im Einsatz. Seelisch nicht mehr so weit unten wie in der vorherigen Episode “Erlöse mich“, aber nicht in jeder Situation Herr der Lage. Geblieben ist seine Expertise als Kenner der kranken Psyche, geblieben sind aber auch seine zittrigen Hände. In „Schließe deine Augen“ ist Jessen auf der Zielgeraden reichlich Kamikaze-haft unterwegs. Nachdem ein Hobby-Profiler (Rafael Gareisen), der Jessens Student war und jetzt im Internet abstruse Mördertheorien aufstellt, sich der Polizei als Lockvogel zur Verfügung stellen will, übernimmt stattdessen der Psychiater diese Rolle. In einer Pressekonferenz provoziert er den Täter. „Warum kommen Sie auf die Idee, dass Sie mir Furcht einjagen könnten? Dieses ganze Getue, mit dem Sie Ihre Verbrechen moralisch rechtfertigen wollen, ist nichts anderes als ein weiterer Schritt auf ihrem miserablen Lebensweg.“ Kommissar Ruiz ist fassungslos. Ist dem Psychiater sein Leben so wenig wert? Hat es mit dem medizinischen Befund seiner Frau zu tun? Oder leidet er an maßloser Selbstüberschätzung? Denn das von ihm erstellte Täterprofil ist erschreckend gut: 30 bis Mitte 40, starker Sexualtrieb, hohes Aggressionspotenzial, sozial kompetent, hochintelligent, sehr kräftig. Jessen wird diese Physis noch zu spüren bekommen.

Auch wenn der Zuschauer keine psychologisch plausible Antwort für dieses lebensgefährliche Vorgehen der Hauptfigur bekommt – der Spannung tut eine solche Bedrohungssituation immer gut. Und dass die Liebsten der Hauptfigur beide im Spiel sind, sich also in unmittelbarer Nähe des Psychopathen befinden, dürfte auch kein Zufall sein. Fragt sich nur, wen er sich von den beiden ausgeguckt hat? Davor gibt es aber noch ein einheimisches Opfer. Dramaturgisch ist „Schließe deine Augen“ also leicht zu durchschauen. Rusnak arbeitet – ähnlich wie der Mörder – nicht mit allzu feiner Klinge. Der Täter wird in der zweiten Hälfte des Films offen geführt, wodurch sich eine Art (Fern-)Duell ergibt. Dem Suspense kommt das zugute. Der Zuschauer besitzt im Übrigen von Anfang an ein Informationsplus gegenüber den Ermittlern. Im Intro sieht man die „abenteuerlustige“ Frau, die später Opfer wird, bei einem bizarren Blind-Date. Das Mordmotiv wird in der Szene vorweggenommen: Der Killer sieht sich als „ein Hüter von Sitte und Anstand“. Dieser missionarische Eifer zeigt sich auch bei anderen Überfällen in der Gegend: Frauen wurden bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, als Ehebrecher beschimpft, und der vermummte Täter hat sie stigmatisiert, indem er ihnen eine Wunde auf die Stirn ritzte. Jessen bezweifelt jedoch, dass es sich um ein und denselben Täter handelt.

Neben der Spur – Schließe deine AugenFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Die Neuigkeiten von Noch-Ehefrau Nora (Petra van de Voort) sind nicht die, die sich Joe Jessen (Ulrich Noethen) erhofft hat. Sein Seelenheil aber hat er wiedergefunden.

Die Geschichte von „Schließe deine Augen“ gehört zu den schwächeren dieser immer sehenswerten ZDF-Reihe, und auch dramaturgisch und filmisch ist diese Episode eher wenig raffiniert gestaltet. Immer wieder gibt es Spannung-mit-Ansage-Szenen, in die die Jessen-Tochter verwickelt ist; allerdings ist die Auflösung meist eine etwas andere als erwartet. Auch eine nächtliche Szene im Mordhaus wirkt zwar zunächst etwas (arg um Schrecken) bemüht, bringt aber ein Motiv ins Spiel, das später den Fall entscheidend weiterbringen wird. Am intensivsten ist der Film, wenn die Hauptfigur allein agiert. Gemeint ist damit nicht die Situation, in der Jessen erwartungsgemäß in eine Falle tappt, schon eher der Showdown, den er mal wieder allein in die Hand nimmt, ganz besonders aber die Szenen, in denen er sich den Fall durch den Kopf gehen lässt. So navigiert er am Laptop zwei Filmminuten durch das Blut-Haus, sieht dort aber nicht nur die Leichen liegen, sondern imaginiert (?) sich die Toten wieder zum Leben. Das sind sehr intensive Momente, in denen der Zuschauer sich selbst ein Bild machen kann und nicht wie bei herkömmlichen Tatort-Begehungen sich das konventionelle Gequatsche der Kommissare inklusive Spusi-Kollegen anhören muss. Stark auch eine einminütige Plansequenz, in der Jessen im Halbdunkel das Täterprofil der Kommissarin als Sprachnachricht aufnimmt. Diese Szenen machen deutlich, was auch diese „Neben-der-Spur“-Episode von den ZDF-Gebrauchskrimis unterscheidet: Ulrich Noethen!

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Ulrich Noethen, Juergen Maurer, Marie Leuenberger, Sebastian Zimmler, Petra van de Voort, Lilly Liefers, Rafael Gareisen, Stephan Grossmann, Kailas Mahadevan, Tim Wilde, Daniela Schulz, Sabrina Amali, Esther Rohling, Tom Lass

Kamera: Ralph Kaechele

Szenenbild: Marcus A. Berndt

Kostüm: Nana Kolbinger

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Christoph Zirngibel.

Soundtrack: Billie Eilish („All The Good Girls Go To Hell“)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke

Drehbuch: Josef Rusnak – nach einem Roman von Michael Robotham

Regie: Josef Rusnak

Quote: 8,07 Mio. Zuschauer (24,1% MA); Wh. (2023); 5 Mio. (19,8% MA)

EA: 25.01.2021 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach