Seine Liaison mit der Polizei dürfte Joe Jessen (Ulrich Noethen) seine Ehe gekostet haben. Denn einige der Psychopathen, denen der Hamburger Psychiater auf der Spur war, hatten es auch auf seine Familie, Noch-Ehefrau Nora (Petra van de Voort) und Tochter Charlotte (Lilly Liefers), abgesehen. Und so will er sich auf den neuen Fall, bei dem Vincent Ruiz (Juergen Maurer) ihn um Hilfe bittet, diesmal nicht groß einlassen. „Der Verdächtige ist ein Fall für den Psychiater“, diagnostiziert der Kommissar schon mal ganz richtig. Ein Ehepaar ist in seinem Haus ermordet worden, und Andreas Schaller (Sabin Tambrea), ein ehemaliger Angestellter, soll die beiden getötet haben. Für Jessen ist der Mordverdacht völlig abwegig und damit die Sache erledigt. Doch dann sieht er plötzlich eine Verbindung mit einem anderen Fall, an dem Ruiz’ Kollegin Anna Bartholomé (Marie Leuenberger) arbeitet, und seine kriminalistische Neugier ist geweckt. Vor zwei Jahren verschwanden zwei 14-Jährige, die sogenannten „Elbemädchen“. Bis heute gab es keine Spur von ihnen, kein Lebenszeichen, keine Nachricht eines möglichen Entführers. Jetzt hat man eine der beiden gefunden – tot, an den Elbstrand gespült. Der Kommissar geht davon aus, dass Pia Hansen, das zweite Mädchen, noch am Leben ist. Jessen nimmt das ebenfalls an, vermutet allerdings, dass der Täter auch das Ehepaar getötet haben könnte. Wenn dem so ist, bedeutet das nichts Gutes für das Mädchen.
Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Psychologen-Krimis sind anders, und Psychiater-Ermittler sind schwierig. „Neben der Spur“ (seit 2015) hat sich als eine sehenswerte Kontrast-Reihe zu „Spuren des Bösen“ (seit 2011) etabliert, und sie gehört nach nunmehr fünf Episoden zu den bemerkenswertesten seriellen „Montagskrimis“ im ZDF. Während sich Heino Ferchs Richard Brock Wien-typisch gemeinsam mit dem Genre auf die Couch legt, schafft es Ulrich Noethens Joe Jessen trotz seiner Parkinson-Erkrankung dem Leben und den Menschen zugewandter zu agieren. Die ORF-Reihe ist schweres, tief dunkles, mörderisches Seelendrama, das hanseatische Pendant eine mal mehr, mal weniger knallige, spannende Thriller-Mixtur. Des Helden kranker Körper, der auf die Psyche abfärbt, findet filmästhetisch seine Entsprechung in einer extravertiert coolen Genrefilm-Anmutung. „Sag, es tut dir leid“ ist aber auch thematisch alles andere als leichte Kost: entführte, gequälte und ermordete Teenager und eine physisch wie psychisch schwer angegriffene Hauptfigur – so etwas geht nicht spurlos am Zuschauer vorbei.
Aber es gibt relativierende Momente, die dem Schmerz des Parkinson-Psychologen etwas entgegensetzen: Auch wenn er von seiner Frau verlassen wurde und sich seine Tochter von ihm entfremdet hat, so besteht doch weiterhin eine große emotionale Nähe zwischen dem Noch-Ehepaar; außerdem taucht noch eine Psychiaterin bei Jessen auf, gespielt von Ulrike C. Tscharre, die bald in seinem Bett landet und offenbar mehr als ihren Vaterkomplex (ihr Vater hatte auch Parkinson) abarbeiten möchte. Diese Handlungsmotive fließen angenehm beiläufig in das Krimigeschehen ein. Auch die Sorge um Jessens zwischenzeitlich vermisste Teenager-Tochter, diese Spiegelung der „Elbemädchens“ ins Private, wird unaufgeregt erzählt. Und noch ein dramaturgisches dickes Plus: Der Sadismus des Täters wird nicht vom Film übernommen. In den Szenen mit dem gefangen gehaltenen Mädchen, die den Zuschauer früh mit einem neugierig machenden Mehrwissen versorgen, hält sich der Elendsvoyeurismus in Grenzen. Die Opferperspektive wird deutlich betont: Die Bilder kosten die Gewalt nicht aus, erzeugen vielmehr Mitleid und nähren die Hoffnung, das Mädchen könne gerettet werden.
Auch dieser fünfte ZDF-Thriller nach einem Roman von Michael Robotham ist kein klassischer Ermittlungskrimi. Es gibt kaum Verhöre, es sind eher offene, assoziative Befragungen, bei denen Jessens Hirn voll auf Empfang steht. Genaue Beobachtung und Kombinationsgabe sind seine besonderen Fähigkeiten. Da dürften Polizeipsychologen eher die Augen verdrehen. Dem Genrekrimi-Fan aber ist das eine willkommene Abwechslung von der Ermittlerroutine. Sicherlich auch, weil jener Joe Jessen in „Sag, es tut dir leid“ kein Psychologen-Supermann ist, sondern gebrochener denn je erscheint. Außer seiner professionellen Intuition ist ihm nicht viel geblieben, und am Ende wird ihm etwas abverlangt, das ihm lange Zeit oder vielleicht sogar Zeit seines Lebens auf der Seele liegen wird. Ulrich Noethen, der mit „Neben der Spur“ zum ersten Mal Glück mit der Hauptrolle in einer Krimi-Reihe hat (siehe dazu: „Neben der Spur – Adrenalin“), findet diesmal entsprechend andere „Gesichter“ für seinen Psychiater, dessen schlimme Krankheit noch nie so offen in den Vordergrund trat wie in dieser Episode. Jessen hat seinen Körper immer schlechter im Griff.
Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Ständig am Rande des Kontrollverlustes befindet sich auch sein Kompagnon von der Kripo. Juergen Maurer spielt diesen Mister 100.000-Volt, der in seinem Leben schon viel zu viele Leichen gesehen hat, humorlos und physisch. Im ersten Drittel gibt sein Ruiz Jessen noch augenzwinkernd Erziehungstipps. Später gibt er mit angegriffener Stimme Ratschläge ganz anderer Art: „Doktor ich warne Sie – ich bin gerade in der Stimmung, jemanden die Fresse zu polieren.“ Jessen und Ruiz, der Kopfmensch und der Instinktbulle, sind ein starkes Team. Nur selten sind sie völlig souverän: Der eine zittert, der andere bebt vor Wut. Nicht mal das konventionelle Spiel der gegensätzlichen Meinungen (der Kommissar hält an Schaller als Hauptverdächtigem fest, während Jessen auf einen „Einzelkämpfer gegen eine verkommene Welt“ tippt) erscheint hier als übliche dramaturgische Stereotype. Die beiden verhaken sich nicht, sie führen keinen Machtkampf miteinander, weil sie nicht ein und derselben Institution verpflichtet sind. So kann auf der Zielgeraden der Bulle mit großem Aufgebot seinen Tatverdächtigen überwältigen, während der Psychologe dem Menschen, den er für den Mörder hält, einen fast privaten Besuch abstattet. Diese Sequenz wird von Regisseur Thomas Roth als dynamisch packende Parallelmontage dem Zuschauer präsentiert. Auch das passt zum physischen, extravertierten Stil von „Neben der Spur“, der sich gleichsam in dem meist kraftvollen und großflächigen Score und dem markanten Sounddesign spiegelt. Doch am Ende von „Sag, es tut dir leid“ steht ein tiefer, stiller Schmerz. (Text-Stand: 17.2.2018)