Nebelwand – Der Usedom-Krimi

Sass, Potthoff, Bading, Andreas Herzog. Der Krimi-Drama-Mix stimmt jetzt wieder

Foto: NDR / Oliver Feist
Foto Tilmann P. Gangloff

Nach dem Negativausreißer „Engelmacher“ findet der „Usedom-Krimi“ mit Episode vier wieder in die Spur zurück. Der Film gibt nicht nur Antworten auf die Fragen, die in Teil eins und zwei aufgeworfen wurden, er zeigt auch wieder Mut zu jener Rätselhaftigkeit, die die Reihe zu Beginn aus der Vielzahl vergleichbarer Nord- und Ostseekrimis herausgehoben hatte. Auch handwerklich knüpft „Nebelwand“ nicht zuletzt dank der suggestiven Musik und der atmosphärisch unterkühlten Bildgestaltung an die Stärken der ersten beiden Filme an.

Beim Zusammenstoß ihrer Jolle mit einer Segelyacht ist ein Elternpaar ertrunken; nur der sechsjährige Sohn Jacob hat den Unfall überlebt. Angeblich hat der Besitzer der Yacht das kleine Boot im dichten Nebel übersehen. Zehn Jahre später geht ein Schiff in Flammen auf, das von gestrauchelten Jugendlichen wieder seetüchtig gemacht wird. Ein junges Mädchen drängt sich als Brandstifterin zwar geradezu auf, aber dann stellt sich raus, dass es sich bei dem Boot um die Todesyacht von damals handelt. Aus dem kleinen Jacob ist ein großer Jäckie geworden, er ist wieder in der Gegend. Will er Rache nehmen?

Der vierte „Usedom-Krimi“ gibt endlich Antworten auf jene Fragen, die im Herbst 2014 mit dem ersten Film, „Mörderhus“, aufgeworfen wurden. Die Familie der ehemaligen Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) ist auf dreifache Weise in den Segelunfall und den Brandanschlag verwickelt, sie selbst allerdings nur indirekt, und zwar über ihren Mann; der kann jedoch nichts mehr zur Wahrheitsfindung beitragen, denn sie hat ihn vor knapp zehn Jahren im Affekt erschossen. Ihre Tochter, Hauptkommissarin Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff), ist die zuständige Ermittlerin im Fall des Schiffsbrands. Am stärksten ist die Enkelin betroffen: Die 17jährige Sophie (Emma Bading) ist von zuhause geflüchtet, in Karins Gartenhaus gezogen und außerdem frisch verliebt. Ihr neuer Freund (Oskar Böckelmann) kommt der Großmutter nicht nur wegen der markanten Narbe am Auge bekannt vor.

Nebelwand – Der Usedom-KrimiFoto: NDR / Oliver Feist
Ein Schiff mit einer unrühmlichen Vergangenheit geht in Flammen auf. Dabei kommt das Dorfunikum ohne Wohnsitz, Steffie (Hildegard Schroedter), beinahe ums Leben.

Der Konflikt zwischen den beiden erwachsenen Frauen – schließlich hat Karin Lossow ihrer Tochter den Vater genommen – rückt zwar in den Hintergrund und dafür Enkelin Sophie mehr in den Vordergrund, aber davon abgesehen hat der „Usedom-Krimi“ wieder zur ursprünglichen Qualität zurückgefunden. Während Teil zwei, „Schandfleck“, die Geschichte weitererzählte und sowohl der düsteren Machart wie auch der hintergründigen Spannung der Reihe treu blieb, fiel die dritte Episode, „Engelmacher“, völlig aus dem Rahmen. Da das Autorentrio Scarlett Kleint, Michael Vershinin und Alfred Roesler-Kleint sowie Regisseur Andreas Herzog, der auch den Auftaktfilm inszeniert hat, mit „Nebelwand“ an jene Stärken anknüpfen, die den Geschichten innerhalb der Vielzahl von Nord- und Ostseekrimis eine Sonderstellung bescherte, wirkt „Engelmacher“ im Rückblick erst recht wie ein Ausreißer nach unten. Nun gibt es auch wieder den Mut zur Lücke, weil viele Fakten zunächst (wohl austarierte) Rätsel aufgeben, darunter die Zeitungsausschnitte über den Schiffszusammenstoß, die Lossow aufbewahrt hat; und dann sind da ja auch noch die mysteriösen 100.000 Euro, das Vermächtnis ihres Mannes. Gerade zu Beginn ist die Geschichte ziemlich undurchsichtig.

Interessant ist auch der vermeintliche Nebenschauplatz mit den Jugendlichen. Lena Urzendowsky versieht die junge Frau, die Thiel für die Brandstifterin hält, mit viel unterdrückter Wut. Dass der Leiter des pädagogischen Projekts seine Schutzbefohlenen nach Polen schickt, sobald sie auffällig werden, und dafür fett abkassiert, ist ein starkes Stück; für die eigentliche Geschichte ist es letztlich allerdings ebenso unwichtig wie der Besuch von Thiels Ehemann Stefan (Peter Schneider) bei einer Optikerin, die ihn unverblümt anbaggert. Entscheidender ist, dass „Nebelwand“ auch handwerklich beherzigt, was die ersten Filme ausgezeichnet hat. Die suggestive Musik (Colin Towns) hält sich zwar im Hintergrund, ist aber dennoch sehr präsent, und die Kamera (diesmal Wolfgang Aichholzer) sorgt für unterkühlte Atmosphäre. Dazu passt auch die allgemeine Wortkargheit, und das bezieht sich nicht nur auf die Dialoge, selbst wenn in den ersten Minuten überhaupt nicht geredet und auch später nur das Nötigste gesagt wird. Neu ist der lakonische Humor: Als Thiel und ihr uniformierter Kollege Brendel (Rainer Sellien) nachts seltsamen Geräuschen nachgehen, inszeniert Herzog das wie eine Geisterbahnszene; der „Geist“ ist jedoch bloß just jene Obdachlose, die später beinahe auf dem Schiff stirbt, hier aber noch guter Dinge ist und die beiden mit einem trockenen „Moin!“ begrüßt. Es gibt einige verblüffende Momente dieser Art, doch der Grundton des Films ist eben jene Geisterbahnstimmung: weil Bildgestaltung und Musik fast permanent signalisieren, dass jeden Moment etwas passieren kann.

Nebelwand – Der Usedom-KrimiFoto: NDR / Oliver Feist
Sophie (Emma Bading) weiß offenbar mehr, als sie ihrer Mutter (Lisa Maria Potthoff) sagen will.

Vergleicht man die Namen der wichtigsten Beteiligten, fällt nur ein Unterschied auf: Die schwache dritte Episode ist von Jochen-Alexander Freydank inszeniert worden; aber es wäre sicher falsch, ihn allein verantwortlich zu machen. Herzog hat diverse beachtliche Filme etwa für die ZDF-Reihe „Unter Verdacht“ gedreht, vor allem den herausragenden Zweiteiler „Verlorene Sicherheit“; auch die ähnlich bemerkenswerten „Metzger“-Filme (ARD) sind von ihm. Freydank, immerhin „Oscar“-Preisträger (für den Kurzfilm „Spielzeugland“), hat jedoch ebenfalls seine Meriten, allen voran die schwarze Sat-1-Komödie „Und weg bist Du“. Die letzten Entscheidungen liegen ohnehin bei der Redaktion. Dort hat man möglicherweise erkannt, dass horizontale Erzähllinien nur bedingt funktionieren, wenn zwischen den Ausstrahlungsterminen zwölf Monate liegen. Also wurde „Engelmacher“ offenbar als Solitär konzipiert; prompt war der „Usedom-Krimi“ nur noch einer von vielen. Ausgerechnet jetzt, da die wichtigsten Fragen beantwortet sind, zeigt die ARD den nächsten Film, „Trugspur“, bereits sieben Tage später.

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Reihe

ARD Degeto, NDR

Mit Katrin Sass, Lisa Maria Potthoff, Oskar Böckelmann, Emma Bading, Peter Schneider, Lena Urzendowsky, Rainer Sellien, Max Hopp, Hildegard Schroedter

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Tom Hornig

Schnitt: Gerald Slovak

Musik: Colin Towns

Produktionsfirma: Razor Film

Produktion: Tim Gehrke

Drehbuch: Scarlett Kleint, Michael Vershinin, Alfred Roesler-Kleint

Regie: Andreas Herzog

Quote: 6,18 Mio. Zuschauer (20,5% MA)

EA: 19.10.2017 20:15 Uhr | ARD

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