Ein Unfall, kein Führerschein, dafür umso mehr Promille
Die Comedy-Sause auf St. Pauli beginnt mit einem Verkehrsunfall: Ein Ferrari rammt das Auto von Krankenschwester Emma Graf (Nora von Waldstätten). Nennenswerte Verletzungen trägt niemand davon, vielmehr finden die Kommissare Erichsen (Armin Rohde) und Kruse (Christoph Letkowski) eine aufgekratzte Gesellschaft vor. Denn in den Unfall verwickelt ist Comedy-Star Jacky Herbst (Jürgen Vogel), der gerade lautstark mit seinem Manager Leo Strootmann (Henry Hübchen) telefoniert. Angeblich saß Jacky auf dem Beifahrersitz des Ferrari, was eine ziemlich schlaue Darstellung ist, denn seinen Führerschein war er schon seit einiger Zeit los. Der Fahrer will Gag-Schreiber Holm Brülls (Anatole Taubman) gewesen sein, auch wenn er 1,5 Promille im Blut hat. Und dass ein Sniper von einer Brücke auf den Ferrari geschossen und aus der Spur gebracht haben soll, wie Jacky behauptet, kommt den Polizisten auch nicht glaubhaft vor. Nicht weniger skurril ist das Verhalten des Unfall-Opfers. Emma Graf ist nicht sonderlich böse, denn Jacky hat der Krankenschwester, Comedy-Fan durch & durch, ein neues Auto versprochen. So endet die Befragung mit einem Selfie des Unfall-Trios.
Kein Pseudo-Realismus, der in jedem Detail logisch sein will
Lars Beckers „Nachtschicht“-Filme sind seit 2003 eine Belebung des häufig piefigen Krimifernsehens. Sie sind schwer einzuordnen, ein Genre-Mix aus Tragikomödie, Thriller und Großstadt-Drama. Beckers Markenzeichen: originelle Typen, trockener Humor, knackige Dialoge und Bilder, die das Hamburger Nachtleben authentisch einzufangen scheinen. Dabei sind die Geschichten eher überdreht als dem üblichen Pseudo-Realismus in Krimis verpflichtet. Das gilt insbesondere für die Folge „Ladies First“. Mit der Logik im Detail hapert es da schon mal. Etwa wenn ein Polizist nicht mitbekommt, dass wenige Meter entfernt zwei Schüsse durchs Fenster des Polizeiwagens auf einen Insassen abgefeuert werden.
Der Humor entsteht hier gerade nicht durch Gag-Pointen
Aber hier kommt es vor allem auf Tempo und Witz an, und davon gibt es in „Ladies First“ reichlich. Dass der Plot dabei immer unübersichtlicher wird, lässt sich angesichts wunderbarer Nebenfiguren wie Touristen-Führer Skipper (Peter Heinrich Brix) und Türsteher Hakan (Hakan Orbeyi) sowie der teils liebevollen, teils galligen Persiflage auf deutsche Humorproduktionen leicht verschmerzen. Der kluge Dreh des Buchs besteht darin, dass die Witzereißer am wenigsten lustig sind. Humor entsteht gerade nicht durch Gag-Pointen. Die sind eher betont miserabel: „Woran erkennt man einen schwulen Schneemann?“, fragt Emma beim Humor-Casting für weibliche Nachwuchskräfte. „An der Karotte im Hintern.“ Manager Strootmann ist von dem homophoben Witz nicht angetan, aber Jacky findet: „Lieber einen scheiß Gag gut erzählt als einen guten Gag scheiße.“ Allerdings war Jacky von Emmas geschiedenem Mann Mario (Sascha Alexander Gersak) eindringlich darüber unterrichtet worden, dass seine Ex vom Showbusiness träumt.
Vogel, Rohde, von Waldstätten vor vollem Haus auf der Bühne
Das Spiel mit den Klischees gerät manchmal etwas plump. Man kann es aber durchaus mögen, wie Hübchen als hemdsärmeliger Manager und von Waldstätten als plapperndes Naivchen dem Affen Zucker geben. Sehr schön jedenfalls, wie Lars Becker das traditionsreiche St. Pauli Theater als prächtige Kulisse für drei Bühnenauftritte vor vollem Haus nutzt: Jürgen Vogel schlägt sich wacker mit einem kurzen Comedy-Solo, wobei weder das Mario-Barth-affine Programm noch sein Vortrag deutlich machen können, warum alle diesen Jacky so wahnsinnig super finden. Armin Rohde hat einen fulminanten Auftritt als nervöser Polizist, der verzweifelt die Menge aufzufordern versucht, den Saal zu verlassen. Und ganz am Ende darf auch Nora von Waldstätten ihre Bühnen-Präsenz unter Beweis stellen – und immerhin ist Emmas Gag nicht mehr miserabel, sondern nur noch durchschnittlich.
Die Polizei vergrößert das Chaos mit jedem Einsatz
Die Comedy-Szene erweist sich nicht nur als humorfreie Zone, sondern auch als lebensgefährliche Gesellschaft. Der Gag-Schreiber wird auf der Toilette erschossen, und Jacky von Gangster Marvin Weber (Alexander Scheer) bedroht. Es geht um Drogen, Schulden und ein vergangenes, weitgehend ungesühntes Verbrechen. Jackys aufstrebende Konkurrentin Carlotta war vergewaltigt worden und liegt im Koma – in dem Krankenhaus, in dem die von Mario gestalkte Emma arbeitet. Auch Krankenpfleger Salvatore (Aurel Manthei) mischt sich zunehmend in die Ermittlungsarbeit der Polizei ein. Und weil Erichsen und Kruse fast jeden Einsatz verpatzen, wird das Chaos von Minute zu Minute größer. Neben Theater, Krankenhaus & Kiez ist das Kommissariat mit seiner einzigartigen Gemeinschaftszelle hinter Glas wieder ein wichtiger, lebendig inszenierter Schauplatz. Und dank Lisa Brenner (Barbara Auer), die um Gerechtigkeit für Carlotta kämpft, wird der Film schließlich eine Spur ernsthafter. Nicht alles ist schlüssig, die Gewissensbisse von Jacky zum Beispiel kommen eher aus heiterem Himmel. Der finale Showdown dafür ist in seiner lakonischen Auflösung erstklassig. Beckers „Nachtschicht“-Reihe bleibt sich ihrer außergewöhnlichen Qualität treu.