Nachts baden

Furtwängler, Tijan Marei, Jonathan Berlin, Frank & Ariane Zeller. Nackt baden

Foto: NDR / Erika Hauri
Foto Rainer Tittelbach

Vier sehr unterschiedliche Menschen werden in dem Fernsehfilm „Nachts baden“ (ARD / nordmedia) aufeinander losgelassen. Eine narzisstische Mutter, die ihre Verzweiflung hinter ihrer coolen Rockstar-Fassade versteckt, ihre Tochter, die versucht, ein ganz normales, leistungsorientiertes Leben zu leben, ein verkopfter Student, der bei seiner Herzdame keinen Stich kriegt, und ein Musikmanager, der das Leben nimmt, wie das Leben eben kommt. Unter mallorquinischer Sonne streitet es sich gut, und eine abgelegene Finca ist ideal als Ruheraum, in den die zwischenmenschlichen Konflikte sanft eingebettet werden, bevor das Ganze irgendwann implodiert. Zur Krönung gibt es ungewöhnliche erotische Koalitionen. Sex wird vor allem zum Werkzeug im ewigen Beziehungskampf zwischen Mutter und Tochter. Der Seelenleben-Diskurs ist psychologisch äußerst stimmig geraten, auch die Irritation über Furtwängler als Rock & Rollerin währt nicht lange, allein das Denglish der Figur und das ständige Switchen zwischen deutschen & englischen Phrasen ist gewöhnungsbedürftig.

Narzisstische Mutter, tief verletzte Tochter, verkopfter Student: irgendwann kracht es!
Jenny (Tijan Marei) ist 21, studiert BWL und will ihre Bachelor-Prüfung mit Bravour bestehen. Doch wenn es draufankommt, wird sie von Panikattacken ergriffen. Jetzt hat sie schon wieder eine Klausur vergeigt. Vom Ehrgeiz gepackt will sie nun zehn Tage ohne jede Ablenkung auf Mallorca in der abgelegenen Finca ihrer Mutter Pola (Maria Furtwängler) büffeln, zusammen mit Kasimir (Jonathan Berlin), einem befreundeten Kommilitonen, der gern mehr wäre als nur das. Doch der in die Jahre gekommene Rockstar ist nicht wie geplant auf Tournee, sondern kuriert ihre Verzweiflung, die sie allerdings wie so oft hinter einer coolen Fassade mit viel Bourbon versteckt. Scheidungskind Jenny, die jahrelang unter ihrer selbstgefälligen Mutter gelitten hat, würde am liebsten sofort die Flucht ergreifen. Doch dem schüchternen Kasimir imponiert der lockere, extrovertierte Lebensstil dieser Frau. Und da die Finca einen Pool hat und groß genug ist, um sich aus dem Weg zu gehen, bleiben „Schnuckel“ & Co. Es fragt sich nur, ob die beiden Studenten hier tatsächlich werden lernen können. Denn es taucht auch noch Polas Ex auf, Butzke (Karsten Antonio Mielke), mit Hilfe dessen sich Jenny zum Leidwesen Kasimirs von ihrem Image als Spaßbremse verabschieden möchte. Für ihre Mutter, die einen Narren an diesem Kasimir gefressen hat, ist das alles zu offensichtlich. Etwas lernen werden aus diesen Tagen wohl alle, allerdings weniger für die Uni.

Nachts badenFoto: NDR / Erika Hauri
Kasimir (Jonathan Berlin) findet Butzke (Karsten Antonio Mielke), Polas Manager und Ex-Lover, aufdringlich und unterbelichtet. Jenny (Tijan Marei) sieht das anders.

Die Frauen spielen ihr egozentrisches Spiel. Die Männer sind offener und ehrlicher.
Vier sehr unterschiedliche Menschen werden in dem Fernsehfilm „Nachts baden“ aufeinander losgelassen. Eine narzisstische Mutter, ihre Tochter, die nach außen versucht, ein ganz anderes – verantwortungsvolleres – Leben zu leben, ein verkopfter Student, der einige Trümpfe auf seiner Seite hat, Sensibilität, Reife, Intelligenz und auch nicht schlecht aussieht, aber bei seiner Herzdame keinen Stich kriegt, und ein Musikmanager, der das Leben nimmt, wie das Leben eben kommt. Unter mallorquinischer Sonne streitet es sich gut, und die einsame Finca ist ideal als Ruheraum, in den die Konflikte sanft eingebettet werden, bevor das Ganze irgendwann implodiert. Das dauert eine Weile. Der Zuschauer muss etwas Geduld haben, muss hingucken, zuhören, sich einfühlen in die Charaktere… Vor allem die Frauen versuchen hier ihr Spiel zu spielen. Pola inszeniert sich und ihre Lebenskrise, als ob auch der Niedergang eine Show wäre, die man nicht beeinflussen kann. „Übernimm endlich Verantwortung für dein Leben“, wird sie von ihrer Tochter belehrt. „Glaubst du, der liebe Gott bezahlt deine Rechnungen?“ Jenny will sich zwar deutlich abgrenzen von ihrer Chaos-Mama, psychologisch aber setzt sie auf ähnliche Strategien. Sie benutzt die anderen: Kasimir, um einen emotionalen Halt zu haben, und Butzke, um ihr Selbstwertgefühl aus dem Keller zu holen. Die Männer spielen ein offeneres Spiel. Butzke mag eitel und nicht der Hellste sein, aber er ist unverstellt, muss anderen nichts vormachen. Kasimir ist der Gegenentwurf: unlocker und verpeilt, seine Ehrlichkeit bringt ihn nicht weiter, seine Unsicherheit würde er gern als Coolness verkaufen. Was sagt er doch, als Jenny ihm unsensibel, aber mit hinreißendem Lächeln zu verstehen gibt, dass sie mit Butzke Sex hatte. „Ich lieb dich ja sowieso immer – egal, was du machst.“

Der Haushalt der Gefühle – und welche Politik die drei Hauptfiguren damit treiben
Pola weiß gar nicht mehr, was bei ihr noch echte Gefühle sind und was Teil ihrer immer lächerlicher werdenden Rockstar-Inszenierung ist. Die Show, die sie abzieht als öffentliche Person hat sie in ihr „Privatleben“ übernommen. „Das ändert sich, als Pola merkt, wie schlecht es ihrer Tochter geht,“, so Hauptdarstellerin Maria Furtwängler. „Das ist der Moment, in dem ihre Instinkte erwachen und sie Jenny helfen will.“ Die aber blockt die Gefühle der Mutter erst mal ab. Keine Umarmung, dafür ein Satz, der sitzt: „Ich will nicht gemein sein, Mami, aber du bist eher das Problem als die Lösung.“ Verständlich, nach dieser Kindheit und Jugend. Nach der Trennung hat Pola ihre Tochter überallhin mitgeschleppt, auf jeden Gig, auf jede Tournee. Mit 12 flüchtete sie zu ihrem Vater (Harald Schrott), hatte dabei aber nicht berücksichtigt, dass der bereits eine neue Familie hat – also wurde sie aufs Internat abgeschoben, besser als bei ihrer „Crazy Mama“ fand sie’s allemal. Auf Emotionen kann und will sich die 21-Jährige momentan nicht einlassen. Sie hat genug mit sich selbst zu tun. Die Angst, nach einer Bindung wieder allein gelassen zu werden, ist zu groß. Armer Kasimir. Und so versucht Jenny, Gefühle auszublenden. Sie will funktionieren, dem Leben analytisch begegnen. So spricht sie auch: sachlich, überlegt, ohne erkennbare Emotionen. Tijan Marei, die schon in der TV-Dramödie „Ellas Baby“ wunderbar die Sprache einer 16jährigen werdenden Mutter von der Alltags-Diktion befreite, gelingt es auch in „Nachts baden“ mit ihrem Spiel und ihrer Sprache eine tiefere Wahrheit zu vermitteln. Die Schauspielerin öffnet quasi ein Fenster, durch das man die Psychologie dieser verletzten und jungen Frau ihrer Verschlossenheit zum Trotz eben doch erahnen kann. Und Kasimir? Der läuft vor lauter Gefühlen fast über, versucht allerdings, sie hinter seiner Introvertiertheit, die er gern wie Coolness aussehen lassen würde, zu verstecken.

Nachts badenFoto: NDR / Erika Hauri
Tritt Spaßbremse Jenny (Tijan Marei) in offenen Konkurrenzkampf mit ihrer Mutter? „Nachts baden“ (ARD/NDR, 2019)

Erotische Anziehung über Altersunterschiede hinweg. Die Sexualität als Medium
Sexuelle Tabu-Brüche gehörten zum guten Ton der TV-Movies der frühen 00er Jahre. In „Heimliche Liebe – Der Schüler und die Postbotin“ fielen Marie Bäumer und Kostja Ullmann übereinander her. Ansonsten aber konnten vor allem Schüler und ihre attraktiven Lehrerinnen nicht voneinander lassen wie in „Verbotenes Verlangen“ mit Mitterhammer/Schweighöfer oder in „Blutjunge Liebe“ von Niki Stein. Blaupause für diese Art Lehrkörper-Liebschaften war der „Tatort – Reifezeugnis“ (1977) mit Nastassja Kinski. Der NDR entdeckte das Thema mit Verspätung in „Stille Post“ (2010). Doch das ist nichts gegen die Leidenschaft, wie sie Mutter und Sohn überkommen in Louis Malles „Herzflimmern“ (1971). Zwei Filme aus letzter Zeit, „Tage am Strand“ und „Der Vater meiner besten Freundin“, sind dem am nächsten, was in „Nachts baden“ anfangs unterschwellig und im Schlussdrittel deutlicher erzählt wird. Mehr noch als in den beiden französischen Kinofilmen wird in dem Drama von Ariane Zeller (Buch, Regie) und Frank Zeller (Buch) Sexualität zu einem Werkzeug im Beziehungskampf. Der Sex mit dem Ex-Lover von Pola enthält eine Botschaft an sie: Jenny ist eine erwachsene Frau, kein Kind mehr, das vom Wohlwollen und der Liebe der Mutter abhängig ist. Der Konkurrenz-Kampf ist eröffnet. Das Girlie kann und will auch mal Spaß haben! Gleichzeitig verweist Jennys Liebesnacht auf ihr Innenleben: Wie ihre gefallsüchtige Mutter braucht sie Sex zur Selbstbestätigung. Und was zwischen Pola und Kasimir läuft, das hat wenig mit sexueller Leidenschaft zu tun, schon eher mit Muttergefühlen: Dieser junge Mann rührt diese Frau, und so ist das Kuscheln ein Erweckungsmoment für den Läuterungsprozess der egozentrischen Sängerin, die mehr und mehr ihre Mutterrolle annimmt. Und selbst das Nachtbaden ist nicht nur Ausdruck des Lustprinzips („weil mir danach ist“), sondern auch Zeichen für eine wiederentdeckte Natürlichkeit, die Pola im Musikbusiness abhandengekommen ist. Auch das Nacktbaden ist weniger sexuell konnotiert, sondern ist mit dem Wasser als Metapher auch mehr in Richtung „Natürlichkeit“ zu verstehen – Stichwort: Mutter-Kind-Liebe.

Stimmiger Seelenleben-Diskurs & die verständlichen kleinen Zwänge in der Primetime
Obwohl man als Zuschauer im Eingangsdrittel den Eindruck haben kann, dass die Figuren zu sehr für eine Idee stehen müssen, anstatt – wie im Kino – nur sie selbst zu sein, so verflüchtigt sich der Eindruck je mehr die Dynamik der Interaktionen die Handlung bestimmt. Der Seelenleben-Diskurs dieses Fernsehfilms stimmt jedenfalls, wenn auch die Vorgeschichte einer gewissen Oberflächen-Glaubwürdigkeit nicht immer standhält. Äußerst markant ist – gerade durch die Kürze der Begegnung – Jennys Vater gezeichnet. Ein adretter, aalglatter Perfektionist, für den Leistungsdruck und Wettbewerb der Sinn des Lebens sind. Abgesehen davon, dass die Zellers hier den Holzhammer auspacken, um Jennys psychische Störungen familiär zu erklären, fragt man sich, wie Pola und ihr Ex vor Jahren zusammengekommen sind. Vielleicht sind sie ja nur ein Mal im Bett gelandet (es gibt im Film auch einen One-Night-Stand-Dialogwechsel, der in diese Richtung zielen könnte), damit wäre dann der Kreis zu Jenny und Butzke geschlossen. In diesem Punkt hätte mehr Explizitheit nicht geschadet. Klar, dass der Film, der nicht nur wegen seiner character-driven-Orientierung ein typisches Arthaus-Sujet erzählt, für die TV-Primetime ein narratives Zentrum braucht, wie die Beziehung von Mutter und Tochter eines ist. Mit Blick auf ein breiteres Publikum ist es ebenso verständlich, eine der weiblichen Hauptrollen sehr prominent zu besetzen. Auf Maria Furtwängler muss man aber erst mal kommen. Optisch wurde sie von Maske und Kostüm „glaubwürdig“ hergerichtet. Auch mit dem Singen hat es für den Film durchaus gereicht.

Nachts badenFoto: NDR / Erika Hauri
Anziehungskräfte? Irgendetwas imponiert Pola (Maria Furtwängler) an diesem schüchternen Kasimir (Jonathan Berlin), der bei ihrer Tochter nicht landen kann. Der wiederum ist fasziniert von dem lockeren, extrovertierten Lebensstil dieser Frau.

Rockstar-Klischees: das ständige Switchen zwischen deutschen & englischen Phrasen
Die Probleme, die der Zuschauer möglicherweise mit diesem Rockstar auf dem absteigenden Ast haben kann, kommen weniger aus Furtwänglers Spiel als vielmehr aus der Figur, die sehr am Star-Narzissmus-Klischee klebt und deren Denglish und permanentes Switchen zwischen deutschen und englischen Phrasen gewöhnungsbedürftig sind. Das alles schwächt sich in der zweiten Hälfte deutlich ab, weil Pola ihre Klischee-Rolle mehr und mehr abstreift. Dafür kommt dann die obligatorische Läuterung ins Spiel. Ein Konzert darf auch nicht fehlen. Dramaturgisch kennt man also die Lösung. Dennoch gelingt den Zellers eine hübsche finale Variation: Mutter und Tochter fahren im Cabrio durchs nächtliche Palma, bevor sie Baden gehen. Dabei werden keine peinlichen Schleusen geöffnet. Das Wasser bleibt im Meer. Sogar die hyperkorrekte Tochter behält ihren spröden Eigensinn: „Hast du Ihnen Geld gegeben“, fragt Jenny, nachdem die Mutter von irgendwelchen Typen am Strand zwei Bier abgezockt hat. Und als Pola Lust auf Schwimmen hat, hakt Jenny nach: „Warum gerade jetzt?!“

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Fernsehfilm

ARD Degeto, NDR

Mit Maria Furtwängler, Tijan Marei, Jonathan Berlin, Karsten Antonio Mielke, Harald Schrott

Kamera: Florian Emmerich

Szenenbild: Iris Trescher-Lorenz

Kostüm: Bettina Helmi

Schnitt: Regina Bärtschi

Soundtrack: L.A. Salami („Generation L“), Maria Furtwängler („Love like this“ / „Heart of my own Heart“), Robert & James Homes („Be with you“)

Redaktion: Christian Granderath, Sabine Holtgreve (beide NDR), Christine Strobl (Degeto)

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Ulrich Stiehm, Oliver Behrmann

Drehbuch: Ariane Zeller, Frank Zeller

Regie: Ariane Zeller

Quote: 3,69 Mio. Zuschauer (13% MA)

EA: 25.09.2019 20:15 Uhr | ARD

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