„Gib’s doch endlich zu, Du und deine Genossen, Ihr habt den Reichstag angezündet!“ Berlin, 28. Februar 1933. Albert Goldmann, ein jüdischer Arzt, der für die SPD im Reichstag sitzt, wird von der SA gefoltert… Ein halbes Jahr zuvor ist die politische Lage zwar bereits ernst, aber kaum einer rechnet mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Im August 1932 lernt Goldmann bei einem höchst riskanten Kurierdienst für seinen radikalen Bruder Henny Dallgow kennen, eine selbstbewusste, unabhängige Frau. Anstatt in die Immobilienfirma der Familie einzusteigen, übernimmt sie das mondäne „Ballhaus“. Singen, Tanzen, Showtime – das ist ihre Welt. „Ich gehöre niemandem“, sagt sie. Demokratie, Pazifismus, hippokratischer Eid – von diesen (politischen) Werten wird dagegen Albert Goldmanns Leben geleitet. „Wo stehen Sie eigentlich?“, will er von dieser Dame, die den Glamour liebt und offenbar problemlos mit Nazis verkehrt, wissen. Über alle Gegensätze hinweg finden beide dennoch zueinander… bis Goldmann in der Nacht des Reichstagsbrands festgenommen wird.
„Hier kollidieren die zwei ältesten Lieblingsbeschäftigungen der Menschheit: Lieben und Töten. Der Film zeigt es, ohne dem Zuschauer die Oberlehrer-Geschichtskeule auf den Kopf zu hauen.“ (Liefers)
„Nacht über Berlin“ erzählt von der Unmöglichkeit einer Liebe in den Endtagen der Weimarer Republik. Dabei ist der historische Horizont weder nur Folie für die Erzählung, noch wird die Beziehungsebene von der Politik erschlagen. Die Reduzierung auf ein überschaubares Personal – zwei Helden und eine handvoll charismatischer Nebenfiguren – und der Verzicht auf jegliche narrative Nebenstränge ohne eine der beiden Hauptcharaktere, ist der Grundstein für die konzentriert erzählte Geschichte. Auch wird das von Jan Josef Liefers und Anna Loos sehr überzeugend gespielte Paar nicht in übermäßig viele Handlungen und Konfliktlagen verstrickt. Und immer wieder kehren Drehbuchautor Rainer Berg und Regisseur Friedemann Fromm („Weißensee“) zurück in die „Ballhaus“-Glitzerwelt und auf die Straßen, in denen der Pöbel regiert und die SA marschiert. Die Phantasiewelt kollidiert mit der brutalen Wirklichkeit. Trotz des starken Kontrasts hat man als Zuschauer bei solchen Szenen nie den Eindruck, visuelle Abziehbilder aus dem Versatzstück-Katalog für deutsche Geschichtsfilme zu sehen. Maßgeblichen Anteil daran hat die Inszenierung. So gibt es beispielsweise eine Szene, in der eine Horde knüppelnder SA-Leute die Praxis von Dr. Goldmann stürmen, in der Fromm den Ton herunter fährt und ein undramatisches, nachdenkliches Klavier-Thema über die Bilder legt. So bekommt diese Prügelszene etwas von einer sinnlichen Metapher, einem Stimmungsbild, das über das Gezeigte hinausweist. Ähnliches gilt für die Szenen im „Ballhaus“. Der Raum wird zur Projektionsfläche, zum Spiegel der Machtverhältnisse.
„Ich habe noch nie so viele körperliche Auseinandersetzungen in einem Film inszeniert. Es war nicht einfach, Komparsen zu finden, die von ihrer Physiognomie und von ihren Gesichtern in diese Zeit passten.“ (Fromm)
Der Reichstag brennt, im Ballsaal wird getanzt. „Nacht über Berlin“ wirkt nicht wie ein Jahrestagsfilm zum Reichstagsbrand. Zum politischen Ereignis gibt es eine extra-Dokumentation: „Nacht über Deutschland“. So muss das Thema, der Weg der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler an die Macht, im Film von Friedemann Fromm nicht überstrapaziert werden. Und so vernimmt man außer den persönlichen Haltungen der Helden und den Nazi-Parolen von der „neuen Zeit“ wenig konkrete politische Statements. Außerdem versucht Autor Berg, die Geschichte weitgehend aus dem subjektiven Zeithorizont der frühen 30er Jahre heraus zu erzählen. „Heute wissen wir, was damals geschah und kennen den Verlauf der Geschichte“, so Anna Loos. „Die Figuren leben aber ohne dieses Wissen. Es gab oft Momente, in denen man sich genau das vor Augen halten musste.“ Ein weiterer Pluspunkt: Jo Heims Bilder stellen die Geschichte nicht aus. „Nacht über Berlin“ liefert ein bewegendes Zeitbild mit dem ästhetischen Mittel der Bewegung. Ob durch Kamera, Schnitt oder durch den Bewegungsdrang der Protagonisten – es stellt sich nicht der Eindruck ein, es mit einem „Ausstattungsfilm“ zu tun zu haben. In statischen Innenszenen dominiert das Drama, in bewegten Außenszenen der „Aktionismus“ der Protagonisten. In der Musik, dem narrativ präzisen, feinfühligen Score von Florian de Gelmini, welcher die Bildemotionen nicht drastisch doppelt, sondern eher auf das nicht Sichtbare anspielt (so wird z.B. das Liebesmotiv vorweg genommen), den angejazzten Schlagern des Palastorchesters, gesungen von Anna Loos & Jürgen Tarrach, spiegeln sich die Stärken dieses Films. Das Prinzip Motion & Emotion funktioniert wie in guten Unterhaltungsfilmen, das Prinzip Politisierung des Privaten wie in amerikanischen Themen-Movies. Zwei Menschen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund versuchen vergeblich, ihre Liebe zu leben. „Uns erschien der Weg, mit diesen beiden Protagonisten durch jene Zeit zu gehen, als der sinnvollste und berührendste“, betont Fromm. Fiktionale Liebesgeschichte trifft auf historische Fakten: das gängige Event-Movie-Prinzip – in „Nacht über Berlin“ findet es eine Form, die man sich gefallen lässt. (Text-Stand: 20.1.2013)