Mutter kündigt

Kroymann, Triebel, Tscharre, Konarske, Kaufmann. Keine Begabung zum Muttersein

Foto: ZDF / W&B Television / Batier
Foto Rainer Tittelbach

„Ich möchte mein Mutterverhältnis zu Euch, meinen Kindern, heute beenden.“ Deutliche Worte zu Beginn des ZDF-Fernsehfilms „Mutter kündigt“ (W&B Television). Und obwohl es sich um eine Komödie handelt, sieht es nicht danach aus, als ob sich diese Frau von ihrem Entschluss abbringen lassen würde. Diese Tragikomödie ist kein Wunsch-Konzert im Wohlfühltakt. Die Exposition ist nicht nur für die „Kinder“ eine Provokation, auch für den Zuschauer ist die Ansage der Mutter ein Knaller. Die Handlung nimmt sich erwartungsgemäß des familiären Hintergrunds an, der zu diesem Entschluss geführt hat. Dieser Film macht Laune, auch ohne ein Happy-End-gesteuertes Feelgood-Movie zu sein; aber er passt erfreulicherweise auch nicht ins typisch deutsche Genrefach Tragikomödie mit Botschaft: zu scharf die den Mutter-Mythos hinterfragende Setzung, zu konzentriert die Dramaturgie, zu realistisch das Ende, zu unbeschwert das Spiel des großartigen Ensembles. Zu unaufdringlich ist auch der Diversitätsgedanke verpackt. Und zu leichtfüßig & verspielt ist die elegante Inszenierung. Ein Glücksfall fürs Genre. Leider vom ZDF versteckt im Sommerloch.

„Eine Ehe kann man scheiden, aus der Kirche austreten, man kann sein Leben beenden – warum nicht auch das Muttersein?! Ich möchte mein Mutterverhältnis zu Euch, meinen Kindern, heute beenden.“ Carla (Maren Kroymann) findet beim Familientreffen deutliche Worte. Statt wie sonst Apfelkuchen zu reichen, versüßt die Mutter dreier erwachsener Kinder ihre „Kündigung“ mit drei Mal 250.000 Euro, fein säuberlich auf dem Wohnzimmertisch gestapelt. „Eine Mutter kann nicht kündigen“, glaubt sich Rita (Ulrike C. Tscharre), die älteste Tochter, im Recht – die Frau ist Anwältin. Phillipp (Stefan Konarske), verwöhnter Hahn im Korb, könnte das Geld nach einer Börsenpleite zwar gut gebrauchen, scheint dennoch oder gerade deshalb emotional überfordert zu sein von der Situation. Und Sandwichkind Doro (Jördis Triebel) kann nicht fassen, dass offenbar auch das Elternhaus verkauft ist, in das sie gern mit ihrer Partnerin Hanna (Britta Hammelstein) und der gemeinsamen Yoga-Schule eingezogen wäre. Irritiert bis erbost quartieren sich alle erstmal im besten Hotel der Stadt ein, in jener Suite, in der Papa Paul (Ulrich Tukur), der große Intendant, Gott hab ihn selig, seine Seitensprünge pflegte. Die Mutter hat ihnen 24 Stunden Bedenkzeit gegeben. Während sie in der Hotelbar versacken, offenbart die Frau Mama mit ihrem Seelenverwandten, „Hausfreund“ Rudi (Rainer Bock), ihrer Enkeltochter „Joe“ (Lena Urzendowsky) so manches Geheimnis.

„Nach dem Tod ihres Mannes macht sich Carla klar, dass sie ihre inzwischen erwachsenen Kinder nicht besonders sympathisch findet. Alle drei leben auf ihre jeweils eigene Art relativ ungehemmt ihre Probleme und Neurosen aus, irgendwo zwischen Fremdbestimmtheit, Unselbstständigkeit & radikaler Selbstbezogenheit. Ihre Mutter nehmen sie mit allem, was sie für sie tut, ebenso selbstverständlich, wie sie sie als eigenständige Person missachten.“ (Maren Kroymann)

Mutter kündigtFoto: ZDF / W&B Television / Batier
„Ich kündige Euch.“ So klar war Mutter Carla (Maren Kroymann) in den letzten Jahren selten. Und mit der Kündigung ist es ihr ernst. „Mir fehlt die Begabung zum Muttersein…“ Da gucken die Kinder (Ulrike C. Tscharre, Jördis Triebel, Stefan Konarske) echt bedröppelt. Daran ändert Papas Erbe auf dem Tisch auch nicht viel.

Die Prämisse hat es in sich. In „Mutter kündigt“ ist die titelgebende Figur nicht diese Art von Frau, bei der das Fass nach einer enttäuschend verlaufenen Familienfeier zum Überlaufen kommt und die deshalb in den Mutterstreik tritt. Auch ist von ihr nicht anzunehmen, dass sie des Familienfriedens willen über kurz oder lang wieder einknicken wird. In Rainer Kaufmanns ZDF-Komödie nach dem lebensklugen Drehbuch von Freya Stewart, Gabriela Sperl und Ferdinand Arthuber verkörpert Maren Kroymann vielmehr mit reflektierter Bestimmtheit eine Frau, die sich ein Leben lang wie das fünfte Rad am Wagen vorkommen musste, eine Frau, die mit 19 schwanger wurde von einem verheirateten Mann, den alle Welt anhimmelte, und die sich in die falsche Rolle gedrängt sah: Die Kostümbildnerin heiratete den Star-Regisseur. Sie habe keine Begabung zum Muttersein, bringt sie es heute auf den Punkt. Dabei kein schlechtes Wort über den Göttergatten. Wie ein Über-Ich geistert jener Paul noch durch die (Alp-)Träume der Witwe. Über dessen wenig ehrenhafte Rolle werden die Kinder einige Sätze beiläufig fallenlassen. Und dann ist da ja noch Phillipp, der seinem Vater in Sachen Beziehungs-Unfähigkeit in nichts nachsteht, wovon seine aktuelle Flamme (Lucie Heinze) ein trauriges Lied singen kann. Apropos: Singen ist das einzige, bei dem die Familie so etwas wie Gemeinschaft entwickelt, früher, der Patriarch als Dirigent, aber auch heute noch. Mit dem (über sich selbst) Reden dagegen hat es diese Familie nicht so sehr. Auch wenn zwischendurch der Alkohol so manches an die Oberfläche spült, wird sich das wohl nicht groß ändern.

Soundtrack:
David Bowie („Changes“), Earth Wind & Fire („September“), Nina Hagen („Unbeschreiblich weiblich“), Chris Norman & Suzi Quatro (Stumblin‘ in“)

Mutter kündigtFoto: ZDF / W&B Television / Batier
Großmutter und Enkelin – zwei, die sich verstehen. Und dann stellt sich heraus, dass ihre Lebenswege Parallelen aufweisen. Doch der Rat, den Clara (Maren Kroymann) Joe (Lena Urzendowsky) gibt, kommt bei dieser nicht so gut an – weshalb der großen Aufregung der Kündigung eine kleine Aufregung folgt. Die Tragikomödie von Rainer Kaufmann bleibt aber fokussiert auf die Familiensituation & ästhetisch konzentriert.

Diese Tragikomödie ist kein Wunschkonzert im Wohlfühltakt. Die Exposition ist nicht nur für die „Kinder“ der Geschichte als Provokation zu verstehen, auch dramaturgisch ist die Ansage der Mutter ein echter Knalleffekt. Erwartungsgemäß nimmt sich die Handlung in der Folge des familiären Hintergrunds an, der zu dieser heftigen Reaktion geführt hat. Trotzdem hat man nie den Eindruck, hier einem standardisierten Läuterungsprozess zuzuschauen, wie man ihn in durchschnittlichen Fernsehkomödien präsentiert bekommt. Der Gang der Handlung bleibt immer ein Stück weit unvorhersehbar, weil die Autoren die Charaktere mit mehr als den üblichen Klischees dysfunktionaler Familien ausgestattet haben. So hat sich die betrogene Ehefrau lustvoll eine Parallelwelt erschaffen. Als Seelenverwandter, als „Retter“ der etwas anderen Art, erweist sich ihr Freund Rudi, der mit seiner Tätigkeit als Anwalt weder ausgelastet noch glücklich ist. Der Beruf der Mutter-Figur, Kostümbildnerin, findet intelligent Eingang in die Erzählung und ermöglicht dem Film eine wunderbare Sinnlichkeit. Ausgelassenes Stöbern in Omas Kleiderfundus und cooles Posieren zu Bowies „Changes“ sind Vorbote eines großen kleinen Auftritts à la Sonny & Cher. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Der Diversitätsgedanke findet auf sehr unaufdringliche Weise Eingang in die Geschichte. In jeder Hinsicht erteilt „Mutter kündigt“ sowohl dem dramaturgischen als auch dem lebensweltlichen Schubladendenken eine Abfuhr. Familie ist wichtig, aber nicht alles. Und die vermeintlich herzlose, vom Verstand gesteuerte Mutter geht als moralische Siegerin vom Platz.

Diese Komödie macht Laune, auch ohne ein Happy-End-gesteuertes Feelgood-Movie zu sein. Erzählt wird eine stimmige Geschichte einer ziemlich normalen Familie (aus besseren Verhältnissen). Es ist ein kurzer Ausschnitt, keine 24 Stunden, der die Gegenwart mit Erinnerungen aus der Vergangenheit anreichert und dem auch Möglichkeiten der Veränderung innewohnen. Es wird gerüttelt an gängigen Rollen und Selbstbildern. Die Neigung emanzipiert sich von der Pflicht. Obwohl also etliche gesellschaftliche Themen locker mitschwingen, will „Mutter kündigt“ erfreulicherweise auch nicht so recht in das typisch deutsche Genrefach Tragikomödie mit Botschaft passen. Zu scharf die den normativen Mutter-Mythos sprengende Setzung zu Beginn, zu konzentriert die Dramaturgie, zu realistisch offen das Ende, zu unbeschwert das Spiel des durchweg großartig besetzten Ensembles, für das selbst noch Ulrich Tukur für eine köstliche Gastrolle gewonnen werden konnte. Und zu leichtfüßig und verspielt ist auch Kaufmanns Inszenierung, die jede Familienkomödie der letzten Jahre in den Schatten stellt: Szenenbild, Musik (die sich gelegentlich mit dem Zupfen einer Bassseite begnügt), Kamera, Schnitt und vor allem auch das Kostümbild – alles wahrlich vom Feinsten.

Mutter kündigtFoto: ZDF / W&B Television / Batier
Und da sich in dieser Familie kaum eine(r) wirklich für den anderen interessiert, hat keiner mitbekommen, dass sich Mutti (Maren Kroymann) eine Parallelwelt mit ihrem seelenverwandten Freund Rudi (Rainer Bock) aufgebaut hat. Und so findet auch der Diversitätsgedanke beiläufig und sinnlich Eingang in die Geschichte dieser Komödie.

„Bei all den wichtigen Errungenschaften der Emanzipation darf auch heute noch eine Sache nicht angetastet werden: Die in Fürsorge sich selbst aufgebende Mutter. Das wichtigste menschliche Organ für den Fortbestand der Menschheit ist die Gebärmutter. Ohne sie gibt es keine Möglichkeit, ein Kind auf die Welt zu bringen. Dieser Macht sollten sich Frauen bewusst sein und sich gleichzeitig davon befreien, darauf reduziert zu werden.“ (Ulrike C. Tscharre)

Die Pandemie hat im Übrigen am Film mitgeschrieben. „Wir haben bei der Weiterentwicklung darauf des Drehbuchs darauf geachtet, dass der Film wenige Drehorte und so gut wie keine Komparsen hat, um dadurch ein klares Hygienekonzept verwirklichen zu können“, merkt Regisseur Rainer Kaufmann im ZDF-Presseheft an. Opulente Theater- und Show-Auftritte vor Publikum wurden gestrichen oder kammerspielhaft inszeniert. Über den ästhetischen Wert dieser Szenen lässt sich nur spekulieren. Tatsache ist: Der Film in seiner jetzigen Form ist absolut stimmig. Die Familie steht im Mittelpunkt: Der Blick auf sie ist konzentriert, und die Handlung ist reduziert auf das Wesentliche. Und das Wesentliche ist das „System“ Familie. Jedes Mitglied trägt dazu bei, die Probleme des Einzelnen interessieren aber nur im Kontext: „Mutter kündigt“ ist denn auch ein klassischer Ensemblefilm. Es geht um Störungen in jenem System und vor allem um die Rolle der (Gebähr-)Mutter. So spielen die Geschwister lieber „Geld macht Geld“ als miteinander zu reden – und Mutti steht im Abseits und macht den Dreck weg. Kann einem der Hang zum gehobenen Bürgertum in Familiengeschichten hierzulande (im Gegensatz beispielsweise zu englischen TV-Produktionen) auch übel aufstoßen – für die Geschichte von „Mutter kündigt“ und seinen speziellen Diskurs aber macht diese Gesellschaftsschicht Sinn. Denn nur wer finanziell abgesichert ist, kann sich solchen Gedankenspielen hingeben und so zu einer Art Modellfamilie werden.

Mutter kündigtFoto: ZDF / W&B Television / Batier
Auch wenn Corona an diesem Film maßgeblich mitgeschrieben hat – schon allein die Besetzung ist vom Allerfeinsten: Ulrike C. Tscharre, Lena Urzendowsky, Jördis Triebel, Britta Hammelstein, Stefan Konarske, Maren Kroymann (und nicht im Bild: Rainer Bock, Lucie Heinze, Ulrich Tukur). Schön auch, dass gesellschaftliche Themen beiläufig angeschnitten, aber nicht fernsehfilmtypisch ausbuchstabiert werden.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Maren Kroymann, Jördis Triebel, Ulrike Tscharre, Stefan Konarske, Lena Urzendowsky, Rainer Bock, Britta Hammelstein, Lucie Heinze, Ulrich Tukur

Kamera: Ahmed El Nagar

Szenenbild: Dominik Kremerskothen

Kostüm: Lucie Bates

Schnitt: Mona Bräuer

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Beate Bramstedt

Produktionsfirma: Gabriela Sperl Produktion, W&B Television

Produktion: Quirin Berg, Max Wiedemann, Gabriela Sperl

Drehbuch: Freya Stewart, Gabriela Sperl, Ferdinand Arthuber

Regie: Rainer Kaufmann

Quote: 4,38 Mio. Zuschauer (18,9% MA)

EA: 22.07.2021 20:15 Uhr | ZDF

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