München Mord – Wo bist du, Feigling?

Heerwagen, Mittermeier, Held, Ani/Jung, Anno Saul. "Und wo ist die Spucke jetzt?"

Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Foto Rainer Tittelbach

Auch im Krimi kann der Tod Schicksal sein. In „München Mord – Wo bist du, Feigling?“, dem vierten Fall der Außenseiter-Bullen vom ZDF, kommt es zu einer zufälligen Begegnung in einem Park, an dessen Ende ein Verbrechen steht. Die Kommissare stochern im Nebel, und der unkonventionelle Fall stößt bald ein soziales Phänomen an: Männer spucken gern auf Frauen. Um die Verrohung der Sitten also, um Frauenhass, kreist dieser Film, der mit seinem Lokalkolorit und den luftigen Outdoor-Szenen auch ästhetisch realistisch wirkt. Alltagsnah ist auch die Szenerie des Verbrechens, das einen entsprechend weniger kalt lässt als die Vielzahl der allabendlichen Fernsehmorde. Und so schlägt Schrägheit in Bitterkeit um…

Abendliches Küssen im Park kann tödlich sein
Der Abend bricht an im Münchner Luitpoldpark. Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) läuft gelassen ein paar Runden. Ein männlicher Jogger ist weniger friedlich, erwischt sie mit seiner Schulter, wenig später rempelt er ein verliebtes Pärchen an. „Pass auf, du Penner!, ruft ihm die Frau (Karoline Teska) nach. Der dreht sich um und spuckt ihr voll ins Gesicht. Ihr Freund geht den Jogger hart an, woraufhin dieser den jungen Mann mit einem gezielten Schlag zu Boden streckt und das Weite sucht. Flierl ist Zeuge der Tat, verfolgt den Mann, macht ein Handy-Foto, ruft telefonisch Hilfe und kümmert sich erst dann um den Verletzten, der unter Atemnot leidet. Eigentlich kein Fall für Schaller (Alexander Held), Flierl & Neuhauser (Marcus Mittermeier). Am nächsten Morgen schon: Der Mann ist im Krankenhaus gestorben. Der Kehlkopfschlag war äußerst heftig, in Kombination mit einem Herzklappenfehler muss dieser eine Art Schockreaktion verursacht haben. Shit happens. Das Schicksal hat zugeschlagen.

München Mord – Wo bist du, Feigling?Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Unangenehme Begegnung mit Todesfolge. André Kaczmarczyk und Karoline Teska

Zufällige Begegnung und schicksalhaftes Verbrechen
„Was ist das, Zufall? Eine göttliche Fügung? Eine Willkür des Lebens? Schicksal? Es heißt, der Flügelschlag eines Schmetterlings könne die Welt verändern.“ Mit einem knappen Prolog nimmt „Wo bist du, Feigling?“, der vierte Beitrag der ZDF-Krimi-Reihe „München Mord“, das Motto seines Falls vorweg. Was folgt ist die zufällige Begegnung, die zu einem kriminellen Vorfall führt und schicksalhaft in einem Verbrechen mündet. Die fehlende Verbindung zwischen Opfer und Täter macht die Ermittlungen zum Stecknadelsuchen im Heuhaufen. Dummerweise hat die junge Frau im Park an jenem verhängnisvollen Abend die Spucke sofort abgewischt. Erst als ein Spucker dingfest gemacht werden kann und alle, die am Todesabend in der Nähe des Tatorts mit ihrem Handy eingeloggt waren, zur Speichelprobe geladen werden, kommt etwas Bewegung in den verflixten Fall. Und es häufen sich die Stimmen, dass München offenbar ein Paradies für Macho-Spucker ist. Sogar der „spinnerte“ Schaller, der abtaucht („Diesen Täter finden wir nur auf der Straße“) und in Schwabing, auf Straßen, in Kneipen und am Tatort, seinen Visionen nachhängt, bekommt mächtig was ab – von seinem unausstehlichen Chef! Bei dem hat sich wegen Schaller, der ihn mit Missachtung straft, viel Ärger angesammelt, und offenbar auch allerhand in der Tiefe seines Rachens.

Spuck-Attacken – eine Vorstufe zur Vergewaltigung?
Das Delikt „gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge“ erscheint in diesem Krimi eher wie eine beiläufige Zugabe. Die Spuckattacken rücken zunehmend ins Zentrum der Handlung, und das ist vom Autorenduo Friedrich Ani / Ina Jung („Das unsichtbare Mädchen“) gar nicht mal immer so sprachkomisch („Und wo ist die Spucke jetzt?“) und launig gemeint wie beispielsweise im Falle von Kommissar Schaller, der alle Welt auffordert, ihm ins Gesicht zu spucken, um dabei zu spüren, was dieser Akt vollkommener Respektlosigkeit bei ihm auslöst. Vielmehr spiegelt sich in diesem Phänomen, dieser körperlichen Erregung, dem eine Portion Wut beigemischt ist, eine gesellschaftliche Verrohung der Sitten, vor allem ein verbreiteter Frauenhass, der sich in gewissen Kreisen mit einem kräftigen Speichelstoß Luft verschafft. Auch wenn es im Film nicht benannt wird, ist ein solcher Ekel-Angriff – semiotisch wie psychologisch – die Vorstufe zur Vergewaltigung. Gegen Ende rückt auch dramaturgisch die Spuckattacke bei der möglichen Täterüberführung in den Vordergrund. Das Drama kennt die Familien-Aufstellung, in „Wo bist du, Feigling?“ gibt es die Spuckattacken-Nachstellung.

München Mord – Wo bist du, Feigling?Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Realitätsnahe Geschichte, viel Münchner Lokalkolorit und ein entsprechender Look. Dennoch verzichtet Bildgestalterin Nathalie Wiedemann nicht auf Magic Moments.

Alltag, Realismus und Bruch mit Krimi-Konventionen
Bei aller pointierter Schrägheit, die der etwas anderen ZDF-Reihe eigen ist, besitzt dieser Ermittler-Plot mehr gesellschaftliche Relevanz als das Gros vergleichbarer Primetime-Krimis. Und obwohl die Elemente dieser Geschichte äußerst spitzfindig zusammengefügt sind, wirkt dieser Fall um eine Zufallstötung sehr viel weniger ausgedacht und konstruiert als die allabendlichen Kapitalverbrechen, die Morde aus Eifersucht, aus Gier oder aus Lust. Das liegt unter anderem am augenscheinlichen Realismus und der entsprechend flüssigen und luftigen Inszenierung. Die Autoren schicken den Regisseur Anno Saul hier auf die Straßen der Weltstadt mit Herz (und offensichtlich viel Speichel). Der Film atmet Lokalkolorit, setzt gelegentlich am Wegesrand der Ermittlungen auf bayerische Originale (Gerhard Wittmann oder Peter Rappenglück), und situationskomische Befragungen wechseln sich ab mit bitteren Momenten. Dramaturgisch wie filmisch bricht diese „München-Mord“-Episode nicht nur mit einigen Konventionen der pseudorealistischen Gebrauchskrimikonkurrenz, sondern „Wo bist du, Feigling?“ kommt auch der Alltagserfahrung der Zuschauer und deren realen Ängsten sehr viel näher. Das zeigt sich bereits in der Park-Szene zu Beginn des Films. Hier wird ein Szenario entwickelt, wie es jeder kennt. Als krimierfahrener Zuschauer weiß man, dass etwas passieren wird. Das Gefühl des Unwohlseins ist deutlich größer als in Bedrohungsszenarien, die einem weniger vertraut sind. Das, was dann passiert, übertrifft in der Wirkung noch die Vorahnung. Zur Realitätsnähe gehört auch, dass das Ermittlungsmaschinchen ins Stocken gerät und damit die Wahrheitsfindung und Fallauflösung behindert werden. Aber ein bisschen Nachdenken am Ende eines Krimis hat noch keinem geschadet. (Text-Stand: 31.7.2016)

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Reihe

ZDF

Mit Bernadette Heerwagen, Marcus Mittermeier, Alexander Held, Christoph Süß, Karoline Teska, Simon Schwarz, Johannes Allmayer, Thomas Darchinger, Teresa Weißbach, Stephan Zinner, Jenny Marie Muck, Dorothee Hartinger

Kamera: Nathalie Wiedemann

Szenenbild: Maximilian Lange

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Ali N. Askin

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Sven Burgemeister, Andreas Schneppe

Drehbuch: Friedrich Ani, Ina Jung

Regie: Anno Saul

Quote: 5,17 Mio. Zuschauer (21% MA)

EA: 03.09.2016 20:15 Uhr | ZDF

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