Bauchgefühle auf dem Abstellgleis
Der Ex-Chef Ludwig Schaller und seine Kollegen Angelika Flierl und Harald Neuhauser gelten innerhalb der Münchner Mordkommission als Außenseiter. Der Alte ist als „Psycho“, der Junge als hochgradig (sexual)triebgesteuert verschrien und das „Fräulein“ hat offenbar nur eine Qualifikation: sie ist die Nichte des Polizeipräsidenten. Der neue Chef befördert die drei aufs berufliche Abstellgleis. Die Ermittler, die keiner haben will, haben sich um Fälle zu kümmern, die keiner haben will – Fälle, die zu den Akten gelegt werden sollen. So wie der von Fabian Lancelotti aus der Gemeinde Englbach. Seine Frau ist fest davon überzeugt, dass ihr Mann ermordet oder zumindest entführt worden ist. Die Dörfler und auch die Männer vom zuständigen Polizeirevier sind sich allerdings einig: die Frau ist eine Querulantin, sie habe eine Reihe Affären gehabt und ihr gehörnter Gatte habe deshalb die Reißleine gezogen und sei in Richtung Bella Italia abgedüst. Doch Flierl und Neuhauser haben da so ein Bauchgefühl…
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Ermittler, die nichts zu verlieren haben
Das ZDF geht mit einer neuen Samstagskrimireihe an den Start: „München Mord“ beweist, „a bisserl was geht immer (noch)“ im vermeintlich längst auserzählten deutschen Ermittlerkrimi. Die Produktionsfirma TV60Film legte das Konzept der Reihe vor: drei Außenseiter, drei vermeintliche Verlierer, gegen die, die das Sagen haben im Bayernland. Im ersten Fall „Wir sind die Neuen“ ist es eine Dorfgemeinschaft, die zusammenhält gegen zwei Zug’reiste und „diese Münchner Arschlöcher“. Die Kommissare sind genau die Richtigen für solche Fälle. Sie gehören nicht zum System, sie haben nichts zu verlieren – als letztes einen Ruf. Denn allen Dreien eilt ein wenig schmeichelhafter voraus. Und auch über jene Frau Lancelotti wissen alle bestens Bescheid („Die ist promisk“). Die Hauptcharaktere sind nicht nur das, was sie sind, sie sind vor allem das, wozu sie von den Anderen gemacht werden – durch Gerüchte oder üble Nachrede. Durch eine so vage Charakterisierung und Informationsvergabe entsteht ein Gefühl des Ungefähren & Ungewissen. Die passende Atmosphäre für einen Krimi.
Keine großen Namen, sondern die richtige Besetzung
Grundsätzlich ist eine „neue Art von Kriminalfilm“ angedacht, „mit Humor und bayerischem Einschlag, jedoch ohne das bayerisch Volkstümelnde – und in der Überzeugung, dass dem Tod an sich nichts Lustiges anhaftet“, betont Ko-Autor Alexander Adolph. „Als Erzählhaltung hat uns dabei ein Witz vorgeschwebt, welcher ganz schnell in Lakonie umschlagen, gar ins Tragische kippen kann und uns unmittelbar zum Geheimnis unserer Figuren führt.“ Wichtig für das Konzept, bei dem die Hauptfiguren gleichzeitig als Helden und Verlierer erscheinen, ist die Besetzung. Grimme-Preisträgerin Bernadette Heerwagen, die Frau fürs Drama hier einmal mit köstlich komischen Akzenten, Marcus Mittermeier, sympathischer Bauchschauspieler, 10 Kilo abgespeckt und offen für alle Tonlagen, und Alexander Held, ob als Hauptdarsteller oder in markanten Nebenrollen einer unserer Besten für diese Rollen „neben der Spur“. Keine großen Namen, aber eben die Richtigen für dieses kluge Konzept. „Alle drei haben auch keine Hypotheken aus anderen Krimiformaten im Rucksack, sie spielen frei und sind für den Zuschauer unbesetzt und in ihren Figuren gleich greifbar“, so Produzent Sven Burgemeister.
Regisseur Urs Egger über „die empathische Lakonie“ des Films:
„Man musste zusehen, dass durch die verqueren, unkonventionellen Ermittler-Figuren der dramatischen Krimigeschichte nicht die Ernsthaftigkeit genommen wurde. Das bedeutete, die Figuren ernst zu nehmen und in der Inszenierung die Komik nicht zu betonen, sondern auch auf die Emotionalität zu achten.“
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Stimmiges Wechselbad der Tonlagen
Die Rechnung geht auf. Die größte Herausforderung, das Zusammenspiel der Tonlagen, gelingt im Auftaktfilm von Urs Egger vorzüglich. Im Großen ernsthaft, im Kleinen witzig und realistisch, ohne dass – wie häufig bei den Heimatkrimis – der Fall zur Neben- und die Gaudi zur Hauptsache werden würde. „Wir sind die Neuen“ ist ein Film, der einen durch die verschiedensten Stimmungen führt, der tief berührt im Spiel von Julia Koschitz als verzweifelter Witwe, der für Schmunzelszenen wie Flierls feuchtfröhliche Stammtisch-Ermittlung sorgt, die sich nie komödiantisch verselbständigen, sondern immer auch den Fall und die Figurenkonstellation weitertreiben, ein Film, der zusammengehalten wird von den vielschichtigen Beziehungen des Trios und seinen seltsamen Methoden, und ein Film, der immer wieder mit kleinen Überraschungen wie Schallers FBI-Strategien aufwartet.
Das serielle Prinzip: Lust auf mehr
Das Buch von Alexander Adolph und Eva Wehrum ist außergewöhnlich gut: Es beginnt mit einer sehr pointierten Exposition, in der der neue Chef vor dem Ex-Chef seine Loser-Kollegen und die neue Abteilung schönredet, während die Bilder die Wahrheit sagen (Fierl unmotiviert, Neuhauser schwanzgesteuert), und der Film endet mit einer Pressekonferenz, auf der Fuchs Schaller Oberwasser hat und auf der sich die Zukunft der Abteilung, die geschlossen werden sollte, wieder ganz anders darstellt. Mit der erfolgreichen Lösung des Falls wird also nicht nur krimigemäß der Gerechtigkeit Genüge getan, nein, der geklärte Fall schlägt auch auf die „etwas anderen“ Ermittler zurück und bereitet beim Zuschauen besondere Freude. Das ist die beste Voraussetzung für serielles Fernsehen. Das funktioniert so ein bisschen wie das Prinzip Prohacek/Langner in „Unter Verdacht“, die andere ZDF-Krimireihe aus München, für die – wie für „München Mord“ – auch Alexander Adolph die ersten beiden Episoden geschrieben hat. Selten gibt es Krimi-Reihen (das ist anders als bei Serien), bei denen man wie hier am liebsten den nächsten 90-Minüter gleich nachschieben würde. (Text-Stand: 25.2.2014)