Trio ermittelt unter „Diplomatenarschlöchern“
Es beginnt mit (mindestens) einem Riesenkoffer voller 100-Euro-Bündel auf dem Münchner Flughafen. Ein Frachtarbeiter, der augenscheinlich von dem Inhalt weiß, wittert seine Chance. Eine kurze Episode erträumten Luxuslebens, die damit endet, dass sich in jenem Koffer bald nicht mehr das Geld, sondern jener Andreas Geissler (Sebastian Ströbel) selbst befindet – tot. Erstickt, wie Kommissar Schaller (Alexander Held) im nervenaufreibenden Selbstversuch herausfindet. Womanizer Neuhauser (Marcus Mittermeier) hatte zunächst – ähnlich wie Dienststellenleiter Zangel (Christoph Süß) – auf einen Sexunfall getippt. Richtiger liegt dagegen Kollegin Flierl (Bernadette Heerwagen), die sich von Anfang an sicher war: „Der Koffer ist geflogen.“ Eingeflogen aus der Republik Kazan. Eingeflogen wie auch die diplomatische Gesandte Victoria Sokol (Marion Mitterhammer) und ihr Sohn Pawel (Denis Moschitto), zwei Menschen, die offenbar über Leichen gehen. Aber auch die beiden Freunde des Opfers, ein Honorarkonsul (Hannes Wegener), der für die Sokols den Lakaien mimt, und ein seltsam nervöser Fahrer der VIPs (Felix Hellmann) benehmen sich verdächtig. Doch zum professionellen Ermitteln ergibt sich kaum eine Möglichkeit: Weder die zum Konsulat erklärten Räume dürfen untersucht, noch die Sokols vernommen werden. Doch Ludwig Schaller wäre nicht Ludwig Schaller, wenn er diesen „Diplomatenarschlöchern“ nicht zu begegnen wüsste.
Auch die Staatskanzlei kriegt ihr Fett weg!
„Kein Mensch, kein Problem“ heißt der dritte Film um das schräge Kommissarstrio der vor zwei Jahren gestarteten ZDF-Krimireihe „München Mord“. Dass für den Titel ein Leitspruch Stalins Verwendung findet, sorgt für die richtigen Assoziationen. Die ausländischen Gäste der Staatskanzlei, die mit der Einladung „höhere Interessen“ verfolgt, sind Machthaber einer fiktiven Diktatur, gelegen irgendwo auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Die Ermittlungen in Diplomatenkreisen ermöglichen der Reihe erstmals also auch Seitenhiebe in Richtung der weißblauen Spezerln-Wirtschaft („Wir bestimmen, wer bei uns ein Diplomat ist“), wie sie eine andere Premium-Reihe des ZDF, „Unter Verdacht“, seit Jahren verfolgt. Beide Reihen maßgeblich mitentwickelt hat der Grimme-Preis-gekrönte Drehbuchautor Alexander Adolph. Während die gelegentlich ebenfalls komisch unterfütterten Krimis mit Senta Berger in der Regel aber die politischen Exzesse der Großkopferten ein Stück weit realistischer anvisieren, ist der Film von Alexander Dierbach („Tannbach“) nach dem Buch von Kai-Uwe Hasenheit („Marthaler“) in erster Linie eine Nabelschau des ermittelnden Trios.
Ver-rückte Poesie & feine Ironisierung des Genres
Der genialische Spinner, die blauäugig-naive Dilettantin und der unverbesserliche Sex-Abenteurer, der selbst während des Ermittelns keinem Handy-Flirt abgeneigt ist, bekommen in diesem Fall die Möglichkeit, noch stärker als bisher gegen den Strom zu schwimmen und sich in ihrer Andersartigkeit zu profilieren. Wo die Staatsmacht, die bayerische Obrigkeit, das Recht auszuhebeln versucht, da sind die drei Außenseiter, die noch immer im Keller sitzen, zur Stelle. Besonders Alexander Helds eigensinniger Schaller liefert in „Kein Mensch, kein Problem“ eine herrlich versponnene Performance kreativen Ungehorsams. Könnten Mittermeiers und vor allem Heerwagens Figur künftig Gefahr laufen, dass sich deren vordergründige Typenzeichnung abnutzt, bringt Helds Figur eine ver-rückte Poesie in diesen Film und ironisiert das Genre Krimi auf (s)eine ganz spezielle Art. Wie im „Tatort – Im Schmerz geboren“ darf dieser grandiose Schauspieler auf Shakespeares Versen wandeln („Blick harmlos wie die Blume / Doch sei die Schlange drunter“ aus „Macbeth“). Aber Held hat nicht nur die wahnwitzigsten Texte („Angst, nackt, Nacht“), er hat auch die absurdesten Szenen: Genussvoll pellt er seine geliebte Gelbwurst, grummelt das letzte Wort in Richtung seines karrieregeilen Chefs; die Hälfte des Films trägt er eine Augenklappe, nachdem ein Selbstversuch in eine Panikattacke mündet und er nur mit Gewalt daran gehindert werden kann, auf die Kollegen zu schießen. Und welcher Ermittler hat schon das Vergnügen, einer arroganten Verdächtigen höflich an den Kopf schmeißen zu dürfen, was er von ihr hält („eine einsame, skrupellose, machtbesessene Frau“) oder einer Befragten gegenüberzustehen, die nur mit einem Bikini bekleidet ist. Der Film sucht immer wieder solche komischen Situationen. So gibt es auch noch eine Flucht eines Verdächtigen im Bademantel, die im Adamskostüm endet. Der Kommissar, der die Frauen liebt, kennt das (der musste zum Auftakt der Reihe nackt aus einem Schlafzimmer flüchten); aber auch Schaller muss sich nackig (& ganz klein) machen.
Mehr als ein konventioneller ZDF-Gebrauchskrimi
„München Mord“ bleibt auch nach dem dritten Streich die unkonventionellste der vier neuen, im Jahre 2014 gestarteten ZDF-Samstagskrimi-Reihen. Die drei aus der Bayern-Metropole haben auch ohne ihre Erfinder, Alexander Adolph und Eva Wehrum, ihre Ecken und Kanten behalten – unkonventionelle Ermittlungsmethoden und dramaturgische Überraschungen inklusive. Das Trio ist der Star – und Alexander Held, Bernadette Heerwagen und Marcus Mittermeier sind eine überaus starke Kombi. Den Genre-Mix von Film zu Film leicht zu variieren (man kennt das von Lars Beckers „Nachtschicht“) ist eine gute Entscheidung. Bei allem komödiantischen Einschlag war der Auftakt, „Wir sind die Neuen“, beeinflusst vom Drama, dem traurigen Schicksal einer Liebe, und „Die Hölle bin ich“ lebte von Thriller- und Spannungsmomenten. Dagegen ist „Kein Mensch, kein Problem“ in der Grundanlage des Plots aberwitziger als die Vorgänger-Episoden. Und so sitzen denn auch die drei Münchner Musketiere im Schlussbild auf einem Sofa auf dem Nürnberger Flughafen, während der nächste Riesenkoffer in die VIP-Lounge hereingekarrt wird. (Text-Stand: 3.1.2016)