Ein schwerverletzter Unternehmer und eine tragische Flucht vor 33 Jahren
Was auf den ersten Blick wie ein Raubmord aussieht, erweist sich bald als etwas völlig anderes. Der Unternehmer, der da in seinem eigenem Blut in seiner Luxusvilla liegt, ist nämlich gar nicht tot und entwendet wurde offenbar auch nichts. Dennoch verbleibt der Fall bei Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier), Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Ludwig Schaller (Alexander Held), den eine Fotografie im Haus des Schwerverletzten magisch anzieht, weil der Täter sich dieses Bild offenbar nach dem Gewaltakt angeschaut hat. Das Opfer, ein Tscheche, der Anfang der 1980er Jahre in den goldenen Westen geflüchtet ist und dabei seine Frau und sein Kind auf tragische Weise verloren hat, machte als Ingenieur in Deutschland bald Karriere und besitzt heute eine der führenden Firmen für Feinmechanik in der Flugzeugtechnik. Er ist ein Unternehmer mit sozialem Gewissen – und hat aus gutem Grund ein Herz für Flüchtlinge. Auch deswegen ist anzunehmen, dass das Motiv für das Verbrechen in der Vergangenheit gesucht werden muss. Und so begeben sich die drei Münchner Kommissare für die aussichtslosen Fälle auf die Reise – zunächst in den Bayerischen Wald, wo sie die Hintergründe der damaligen Flucht ermitteln, und später nach Tschechien, wo Schaller mit seiner induktiven Methode hautnah die dramatische Flucht nachzustellen versucht und sich damit der Aufklärung des Falls entscheidend nähert.
Foto: ZDF / Laurent Trümper
Der „München-Mord“-Touch. Die Reihe besitzt eine ironische Note, die sich aber nie aufdringlich in den Vordergrund schiebt und die die Figuren damit verschont, witzig sein zu müssen. Dialog-Gags entspringen allenfalls aus Schallers trockener Art („Wollen’s a Trinkgeld“, fragt er einen unschlüssigen Hausboten) oder dem Umstand, dass Neuhauser ziemlich angefressen ist (der antwortet auf die Frage „Sind wir fertig?“, gestellt von einer verunsicherten Zeugin: „Wären’s gern verhaftet worden?“). Für einen Lacher immer gut ist Christoph Süß und zum Schmunzeln bringt einen neben der Naivität des „Fräulein“ Flierl immer wieder der vergeistigte Querdenker Schaller, der es versteht, sich unorthodox Informationen zu beschaffen: Wenn es sein muss, legt er dafür schon mal einen Friseurtermin ein (bei Friseuse Uschi) oder nimmt einen Schluck aus der Pulle eines Tippelbruders.
Komplex, aber nie wirklich kompliziert dank einer klaren Informationspolitik
Auch die fünfte Episode der Reihe „München Mord“ unterscheidet sich angenehm von all den Gebrauchskrimis, die vor allem das ZDF Woche für Woche in den Kampf um die Gunst des Zuschauers schickt. Dank der seltsamen Methoden des Ludwig Schaller, bei denen er Situationen nachspielt und sich in interaktive Konstellationen hineinversetzt, sieht sich der Zuschauer bald konfrontiert mit einer komplexen Geschichte um einen Autounfall, einen vergrabenen Toten, ein ausgebuddeltes Skelett, um Schleuser und Geschleuste, um Identitätswechsel und zweite Chancen. Dass das Ganze nicht zu unübersichtlich wird und der Zuschauer den komplizierten Pfaden in die Vergangenheit bereit ist, mit Lust und Laune zu folgen, dafür sorgt die kluge Informationspolitik von Drehbuchautor Florian Iwersen: So darf Bernadette Heerwagens Angelika Flierl, die noch immer ihre Arbeit vor allem tut, um ihr schwaches Ego aufzupolieren, immer wieder die Fakten und die Ergebnisse ihrer Recherchen dem „Meister“ vortragen, auf dass seine grauen Zellen etwas zu tun bekommen. So befindet sich der Zuschauer stets auf der Höhe der Ermittlungen, ohne beim Recherchieren dabei sein zu müssen. Wenn dieser kompakte „Informationsaustausch“ dann auch noch bei einem Frühstück auf dem Münchner Viktualienmarkt stattfindet, die Figuren dabei ihren Typus (der eigenwillige Denker, die eifrige Naive, der aggressiv Genervte) anschaulich und immer mit einem Augenzwinkern zum Besten geben, dann ist das doppelt gelungen erzählt. Und wenn später Flierl sich so ihre Gedanken zum Fall macht und sie ausspricht, gibt sie damit dem Zuschauer Verständnishilfen, bedient gleichsam aber auch amüsant ihr eigenes Rollenprofil eines eher schlichten Gemüts. Schließlich vollends ins Bild gesetzt wird der Zuschauer durch gelegentliche Rückblenden. Diese sind mal knapp und assoziativ, mal ausgedehnter und das Gezeigte erläuternd. Das ist weder verwirrend, noch steht es in der Tradition jener biederen Erklärrückblenden, wie sie in durchschnittlichen Serien häufig Verwendung finden.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Die filmische Anmutung. „Einer, der’s geschafft hat“ ist auch ästhetisch eine runde Sache: Atmosphärisch und mit Gespür für die taghelle Provinz wie für die Dunkelheit der Nacht (und des Kellerbüros der Münchner Außenseiterbande) sorgen Regisseur Anno Saul („Die Novizin“) und Kamerafrau Nathalie Wiedemann („Unter anderen Umständen“) für eine abwechslungsreiche Bildebene. Handlung und Erzählfluss ergeben eine stimmige Einheit. Der Film besitzt einen Rhythmus, der dem Tempo seiner Figuren und der Milieus entspricht. Schallers Kopfarbeit bestimmt die Form dieser „München-Mord“-Episode: Die entschleunigte Montage und die Akzentuierung des Erzählfaktors Zeit entsprechen seinen Denkprozessen.
Zangel triezt alle, Schaller droht eine Beförderung & Neuhauser wird Vater
Neben der beruflichen Reise, bei der eine 33 Jahre alte Tragödie zutage tritt, erzählt „Einer der’s geschafft hat“ ganz nebenbei auch noch von einer privaten Reise in die Vergangenheit: Berufscasanova Neuhauser ist über Nacht zum Vater eines 14-jährigen Jungen geworden – und dürfte sich am Ende deutlich gespiegelt sehen in jenem Simon, der offenbar nicht nur den Charme seines Erzeugers, sondern auch dessen Hang zur Unverbindlichkeit („null Verpflichtungen“) geerbt hat. Entsprechend ist Neuhauser anfangs nicht in der Lage, Nützliches zum Fall beizutragen – und für die „Spinnereien“ seines Chefs zeigt er noch weniger Verständnis als sonst. Doch seine Unzufriedenheit ist mehr als die Laune einer Figur: Als die drei Kommissare auf Schallers Vorschlag hin eine Art „Familienaufstellung“ inszenieren, bei der jeder die Patenschaft für einen der drei Erwachsenen auf dem bedeutungsträchtigen Foto in der Villa übernehmen, gibt Neuhauser den Spielverderber – und trifft damit, ohne es zu ahnen, sehr genau die Stimmungslage der von ihm dargestellten Person. Und noch eine Reise wird in dieser „München Mord“-Episode in Aussicht gestellt: Schaller soll befördert, in Wahrheit aber wohl eher weggelobt werden. Kriminaloberrat Zangel (wie dieser Regent seine „Untergebenen“ triezt, so belustigt Kabarettist Christoph Süß in seiner Sidekick-Rolle den Zuschauer) wäre den schwierigen Kollegen dann endlich los – was auch das Ende des ungeliebten Keller-Trios bedeuten würde. Als Zuschauer ahnt man, wie es ausgehen muss. Und so stammelt am Ende der mausgesichtige Kriminaloberrat: „Sag mal spinnst du? Willst du mich jetzt lächerlich machen?“ Das ist gut so, denn auf diesen etwas anderen ZDF-Samstagabendkrimi möchte man nicht verzichten. (Text-Stand: 21.2.2017)