Reinkommen in den exklusiven Club, um aus dem Fall erfolgreich rauszukommen
Die Leiche des Sternekochs Hanno Berthold ist auf dem Friedhof in einer Nacht- und Nebel-Aktion entsorgt worden. „Unwetter und Dreck macht alle Spuren weg“, reimt Induktions-Künstler Ludwig Schaller (Alexander Held) – und legt sich mal eben in die Mülltonne für verrottbare Abfälle, in der der Tote gefunden wurde. Neun Stiche in die Brust, die Tatwaffe eine Schere, der Friedhof nicht der Tatort: „Wir haben es mit einem finsteren Verbrechen zu tun“, orakelt er. Fürs handfeste Ermitteln sind Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) zuständig. Ins Visier nehmen sie zunächst Bertholds Nichte (Liliane Zillner) und eine Freundin von ihr, Miriam Abel (Giulia Goldammer), die auch den Toten kannte und mit ihm einige Differenzen hatte. Begegnet sind sich alle drei immer wieder in einem ominösen Club. Auch ein Berthold-Spezerl, der Bauunternehmer Rothmann (Michael Lerchenberg), der sich mit seiner Frau (Katharina Müller-Elmau) gern im Gourmet-Restaurant des Ermordeten verwöhnen ließ, verkehrt regelmäßig in dem Etablissement, das weit weniger anrüchig sein soll, als die Kommissare annehmen. Inhaber des sehr geheimen Clubs ist der Autohausbesitzer und Lebemann Jochen Schildt (Wolfgang Fierek). „Leben und gelebt haben“ ist sein großspuriges Playboy-Motto. Schaller & Co erkennen, dass sie reinkommen müssen in den exklusiven Club, um aus dem Fall als Sieger rauszukommen. Chef Zangel (Christoph Süß) aber wiegelt ab: keine Ermittlungen im „Ruheraum“ der Hautevolee. Also heißt es für Neuhauser: Geld auftreiben und selber Mitglied werden im Club der Clubs.
Die Herren haben die Kohle und das Sagen, die Damen haben nur schön zu sein
Nach „Leben und Sterben in Schwabing“, dem Abgesang auf den legendären Stadtteil der Weltstadt mit Herz, hat sich das Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung für die neunte Episode der etwas anderen Krimi-Reihe „München Mord“ (ZDF) nun einer berühmt-berüchtigten weißblauen Spezies zugewandt: denen, die’s geschafft haben, die ganz oben stehen, ausschließlich Männer – versteht sich. Auch in „Die Unterirdischen“ gibt es nach Michael Fitz‘ König des sterbenden Schwabing wieder einen ideologischen Guru: den King der Erfolgreichen, den hedonistischen Club-Besitzer alter Schule, den Wolfgang Fierek mit seiner unnachahmlichen, immer ein bisschen unbedarften Spielweise verkörpert. In seinem Etablissement treffen sich die Reichen und Schönen – und jeder kennt hier seine Rolle. Die Herren haben die Kohle und das Sagen, die Damen sollen einfach nur schön sein (und die Unterhaltung des starken Geschlechts nicht stören). Die Autoren erfassen mit ihrer Geschichte die Wesensart der Münchner Schickeria, der Helmut Dietl mit der famosen Gesellschaftssatire „Kir Royal“ bereits 1986 eine ganze Serie widmete. Mario Adorfs legendärer „Geldscheißer“-Prolet hätte es heute einfacher „reinzukommen“. So golden wie Mitte der 1980er Jahre sind die Zeiten heute nicht mehr. Selbst ein Polizist wie Neuhauser wird aufgenommen, wenn er nur die 10.000 Euro Jahresbeitrag aufbringt. Die Wünsche sind vielfältiger geworden, zum Club der oberen Zehntausend dazuzugehören, ist nicht mehr für jeden erstrebenswert. Dieser Wandel der Träume, die Frage, was anfangen mit seinem Geld, spielt auch eine entscheidende Rolle für den Krimiplot und dessen psychologische Motive.
Wichtiger als die Frage, wer wen getötet hat, ist das Aufdröseln des Beziehungsnetzes
Tiefer in die Geschichte mit ihren zwischenmenschlichen Verwicklungen einzusteigen würde den Seh-Spaß des Films verderben und womöglich zwischen den Zeilen zu viel von der Lösung des Falls verraten. So viel sei gesagt: Es wird eine weitere Leiche geben. Dennoch wirkt „Die Unterirdischen“ nie wie ein simpler Whodunit. Denn wichtiger als die Frage, wer wen getötet hat, ist das Aufdröseln des Beziehungsnetzes. Und wie immer spielt auch das fast schon rituelle Miteinander dieses Kellertrios mit leichtem Schuss eine entscheidende Rolle für den hohen Lust-Faktor dieser „München-Mord“-Episode, die Jan Fehse („Storno – todsicher versichert“) filmisch stilsicher und mit viel Verständnis für eben jene Eigenarten der Kommissare inszeniert hat. Diesmal darf die Flierl sinnieren über ihr München, das manchmal gar nicht mehr „ihr“ München ist. „Die Stadt wird immer größer, und ich fühl mich immer kleiner“, sagt sie in der Eröffnungsszene – und blickt dabei fragend und etwas wehmütig vom Rathausturm herunter auf den Marienplatz. Wie kann man Überleben in dieser Stadt? Diese Frage stellen sich die Kommissare in dieser Reihe immer wieder. Diesmal mehr denn je, denn es wird deutlich im Gegensatz zu den Superreichen, die alles erreicht haben im Leben, sind Neuhauser und vor allem Flierl noch immer zwei Suchende. Beruflich findet die etwas verpeilte Kommissarin mehr und mehr in ihre Rolle: bei jungen, verunsicherten Frauen macht sie auf Kumpel, bei Männern versucht sich’s kess auf die altmodische Tour. Und sogar eine Induktion lässt Schaller das „Fräulein“ machen – und sie hat eine Vision. Privat ist die „Angi“ weniger zufrieden, das spielt Heerwagen stets beiläufig mit. Daraus ergibt sich eine komische Note, die durch die Pingpong-Interaktionen mit Mittermeiers Neuhauser noch verstärkt wird. Sie hat Hypothesen zum Fall, ist optimistisch bis euphorisch, er dagegen bremst ihren Eifer ständig aus und nennt das realistisch; für sie ist das der pure Pessimismus. Bei den beiden ist immer Leben drin. Und fade Informationsdialoge vernimmt man aus ihren Mündern nicht.
Münchner Schickeria: „Je glitzernder die Oberfläche, desto finsterer der Untergrund“
Den hohen Unterhaltungswert haben Flierl und Neuhauser mit Schaller gemeinsam. Und auch der eine oder andere komische Dialogwechsel darf nicht fehlen. „Meine Schuhe drücken“, stellt Schaller beim Betreten des Clubs fest. „Da kannst gleich draus Champagner trinken, dann werden sie geschmeidiger“, witzelt der jüngere Kollege. Beide haben sich in Schale geworfen, was Neuhauser nicht davon abhält, dem Herrn des Hauses an den Kragen zu gehen. Das lässt ihren gemeinsamen Chef aus der Haut fahren: „Habt Ihr Schimmel im Kopf?“ Und Christoph Süß hält weitere köstliche Verbalschmankerl parat. Sein Zangel buckelt vor ehrwürdigen Namen und hohen Amtspersonen. Darin erinnert er ein wenig an Gerd Anthoffs Dr. Reiter in der vergleichsweise ernsthafteren ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“, in der vor allem die politischen Rankespiele der weißblauen Landesmetropole verhandelt werden. Die neue „München-Mord“-Episode dagegen hat vor allem das Unterbewusste der Altherren-Schickeria im Visier, die sich liberal und lustbetont gibt, in Wahrheit aber über Kini-Verehrung und vorgestriges Patriarchat nicht hinausgekommen ist. Und Schaller bringt es wie so oft auf den Punkt: „Je glitzernder die Oberfläche, desto finsterer der Untergrund.“