Gasverpuffung in einer Schrebergartensiedlung: Was gibt es da viel zu ermitteln?! Auch wenn bei der Explosion ein Mensch zu Schaden kam, ist das für die zuständige Mordkommission ein Unfall. Das sollen die Loser aus dem Keller übernehmen. Neuhauser (Marcus Mittermeier) schimpft, Flierl (Bernadette Heerwagen) nimmt’s locker und Schaller (Alexander Held) ist bereits in der Kleingartenanlage, wo er mit dem „Woita“ (Helmfried von Lüttichau) hoch engagiert kommuniziert, so gut es eben geht, denn der Mann hat keine Stimme mehr. „Wir sind die absoluten Deppen im Präsidium“, kriegt sich Neuhauser immer noch nicht ein. Beruhigt werden kann der erst mit der Nachricht, dass die Gasleitung der Parzelle manipuliert wurde. Den Besitzer, ein etwas dubioser Künstler (Rufus Beck), scheint die Sache nichts anzugehen. Er meidet diese Spießer-Community. Wenn überhaupt, ist seine Tochter Celine (Lena Meckel) ab und an dort. Früher wohl mit Patrick (Timur Bartels), ihrem Ex, von dem sie ein Kind erwartet, und jetzt mit Karim (Hassan Akkouich), ihrem neuen Freund, der sich schon auf die Patchworkfamilie freut. Ob die Freude auch auf der Seite des biologischen Vaters liegt? Klar, das könnte ein Mordmotiv sein. Aber deswegen den Widersacher gleich grillen wollen? Die Ermittler tappen lange im Dunkeln. Auch privat checkt die Flierl Angi erst spät, auf was für ein Dating-Portal sie sich da eingelassen hat, derweil der Kollege den Einsamkeitsblues bläst, und zumindest Schaller einen guten Kameraden zu finden scheint.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
„Das Kamel und die Blume“ gehört auf den ersten Blick sicherlich nicht zu den stärksten Fällen der etwas anderen ZDF-Krimi-Reihe „München Mord“. Wie so oft spielt auch im dreizehnten Fall, dem siebten Drehbuch von Friedrich Ani (sechsmal mit Ina Jung), der Mord keine überragende Rolle. So ist nun mal das Ermittlerleben: diesmal also Selters statt Sekt. Und auch mit Schallers Visionen ist es nicht weit her. Dafür macht die spleenig-depperte Kommunikation, die er mit diesem „Woita“ (Walter auf Bairisch) führt, nicht nur zunehmend Laune, sondern bringt nach den ersten Beziehungsproblemen („Der stumme Mann lügt stumm“) auch neue Erkenntnisse für den Fall. Wer nicht redet, sieht umso besser. „Ich schaue hin, und denke mir meinen Teil“, schreibt der einsame Langzeitbewohner, der im Schreber-Garten bleiben will, weil er hier seiner verstorbenen Frau noch immer nahe ist. Diese Zettelwirtschaft, die der Kommissar mit dem nach einer Kehlkopfoperation stummen Mann pflegt, ergibt eine Schnitzeljagd (Betonung auf Schnitzel), in der es nicht nur um Austausch von Nachrichten geht, sondern auch um die Vermittlungsart. Dazu gibt Schaller im Vorwort die Gebrauchsanweisung: „Es ist schon erschreckend, wie wenig sich manchmal die Menschen verstehen, selbst mit dem Allernächsten finden sie keine gemeinsame Sprache. Sprache ist eben weit mehr als Vokabeln und Grammatik. Die Wahrheit liegt oft zwischen den Zeilen. Gut versteckt. Wir sollten gut darauf achten, warum wer wie was sagt.“ Das Autoren-Duo Ani/Jung fordert die Zuschauer*innen also dazu auf, aufmerksamer wahrzunehmen.
Und genauer hinhören und auf die Zwischentöne achten, das lohnt sich – bei „Das Kamel und die Blume“. Der skurrile Mehrwert ist bei dieser Geschichte etwas versteckt. Umso wichtiger ist bei einem solchen Plot, der zwei Milieus verbindet, das der Kleingärtner und das der rechten Szene, gerade auch im Detail auf die üblichen Klischees zu verzichten. Ani & Co begnügen sich nicht mit den gängigen Schrebergartenvorurteilen, wie sie der coole Kollege Neuhauser sofort parat hat („So ein Spießer-Stadl ist eine absolut krasse Kampfzone“) und fahren nicht die simple Denunziationsschiene, sondern sie differenzieren. Man kann an diesem Ort glücklich sein, man kann aber auch die eigene Unzufriedenheit mit einer Art Blockwartmentalität die anderen spüren lassen. Am Ende erscheint diese Kleingartenanlage Wiesenfeld geradezu als ein Sehnsuchtsort. „Das ist so friedlich und immer ist einer da, der einem eine Decke bringt, wenn man friert“, sinniert Flierl schwärmerisch vor sich hin, sich sichtlich die große Liebe erträumend. Das Kellertrio kommt zu guter Letzt in der Parzelle des Toten zusammen: ein Mann, dessen Traum von der Seefahrt, sich nicht erfüllte, und der sich deshalb zwischen Geranien und Gartenzwergen sein kleines Seemannsreich schuf. Statt mit Klischees wird hier mit feiner Ironie gewässert. „Die Liebe ist ein Garten, wenn man sie nicht pflegt, verkommt sie“, weiß Schaller. Aber die Liebe muss man erst mal finden.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Angelika Flierl sucht diese Liebe mal wieder im Internet. Als Leila4U sucht sie auf ewigtreu.org nach romantischer Zweisamkeit. Von G.Lock20 erhofft sie sich das passende Deckelchen. Vom G-Punkt hat der eher keine Ahnung, der hat nur eines im Sinn „in diesen Zeiten“: eine gut geregelte Fortpflanzung. Gut und gesund sieht sie schon aus, die Angi, passt also, findet der, der im wahren Leben Stephan (Thomas Lettow) heißt – bis die von Haus aus etwas begriffsstutzige Nichte des Polizeipräsidenten die Heimatverbundenheit ihres Blind Date endlich richtig einzuschätzen weiß. Es ist die komischste Szene des Films. Und sie hat ein krachendes Nachspiel („Polizistin trifft Neonazi unter den Augen des Staatsschutzes“). Dass die Autoren das rechtsnationale Milieu, dem noch weitere Charaktere der Handlung zugeneigt sind, nicht mit der Gartenzwerg-Oase wohlfeil ideologisch kurzschließen – das gehört mit zum angenehmen Stereotypen-Verzicht des Films. Andere Autoren hätten in diesem Fall eine solche Anlage zum Biotop für kleinbürgerlich-rechte Gesinnung gemacht. Das genauere Wahrnehmen im Sinne von hinhören und hinterfragen lohnt sich, wie gesagt; ge-naueres Hinschauen nicht unbedingt. Die Gewerke arbeiten solide, die Inszenierung von Matthias Kiefersauer bleibt aber unauffällig. „München Mord“, die Schmunzelkrimi-Reihe, die stets ohne billige Pointen auskommt, bleibt jedoch besser als jede ZDF-Gebrauchskrimi-Reihe. „Das Kamel und die Blume“ hat nicht zuletzt auch wegen seiner ebenso merk- wie denkwürdigen Sprachmetaphern eine fast dekonstruktive Note. (Text-Stand: 28.10.2021)