Mit dem Schließen einer Akte öffnet sich für die Kommissare aus dem Kellergeschoss ein neuer Fall. Gerade haben Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) einer besorgten Mutter (Kathrin Anna Stahl) mitteilen müssen, dass der Vermisstenfall ihres Sohnes wegen dessen Volljährigkeit nun kein Fall mehr ist, da geraten sie vor dem Kampfsportstudio nebenan in eine heftige Keilerei – und bekommen offenbar einen Mörder auf dem Silbertablett serviert. Flierl fühlt sich bei diesem Mann ohne Namen (Franz Dinda) an den Schauspieler Omar Sharif erinnert. Der beteuert seine Unschuld, unterstreicht das allerdings nicht unbedingt, als er reaktionsschnell mit Handschellen und Schere die sichtlich von ihm angetane Polizistin in den Schwitzkasten nimmt und flüchten kann. Im Treppenhaus findet er sogar noch Zeit für einen kurzen Plausch mit Kripo-Chef Zangel (Christoph Süß). Wenig später bringt der Flüchtige Kommissarin Flierl abermals in seine Gewalt. Diesmal aber lässt er sie nicht wieder so schnell frei; er bugsiert sie in den Kofferraum und unternimmt mit ihr eine Spritztour, die wegen eines schießfreudigen Verfolgers (Anton Algrang) für die Flierl doppelt ungemütlich wird. Als dann noch ein karrieregeiler Bundes-Polizist (Andreas Lust) ins Spiel kommt, den Schaller (Alexander Held) aus alten Tagen kennt, deutet sich an, dass dieser Fall für das Kellertrio eine Nummer zu groß ist.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Für den zuletzt forcierten privaten Weltschmerz von Neuhauser und vor allem Flierl bleibt in der 16. Episode von „München Mord“ keine Zeit. Schneller als üblich kommt der Krimi-Plot zur Sache, obgleich die Hintergründe lange Zeit offenbleiben. Auch ist eine so langandauernde Bedrohung einer der drei Hauptfiguren in dieser etwas anderen ZDF-Krimi-Reihe bisher noch nicht dagewesen. Durch die Entführung rückt in „Damit ihr nachts ruhig schlafen könnt“ die angenehme, launige Vertrautheit der beiden jüngeren Kollegen in den Hintergrund, dafür aber ergeben sich neue Konstellation von Zweisamkeit. Neuhauser flirtet für seine Verhältnisse moderat die Mutter an, die ihren Sohn vermisst, verliert dabei den Fall jedoch nie aus den Augen. „Der Vater von Benno, sieht der zufälligerweise so aus wie Omar Sharif in jung?“, will er wissen. Die Antwort wenig erfreulich: „Na, der schaut aus wie Mickey Rourke in alt.“ Seine Kollegin indes kommt dem mutmaßlichen Mörder mächtig nahe. Erst macht ihr der Fremde einen Fußverband, später kümmert sie sich mit Erfolg um seine Schusswunde, obgleich der Dialog zuvor – er: „Können Sie nähen?“ Sie: „Einen Knopf kann ich annähen“ – das nicht erwarten lässt. Das gegenseitige Handanlegen verbindet. Schaller ahnt schon Böses: „Stockholm-Syndrom“, mutmaßt er. „Helsinki-Syndrom“, bekräftigt später auch Neuhauser. Aus all dem ergibt sich ein doppelt spannender, für die Reihe ungewohnt ernsthafter Plot, der einerseits den Krimifall in Gang hält und andererseits auf die spezifischen, horizontal erzählten Beziehungsdispositionen von Angelika Flierl rekurriert.
Da hat sich Thomas O. Walendy richtig reingekniet, in die Geschichte (es geht um Waffen-Handel), in die Dramaturgie und in einen der drei Hauptcharaktere. Die Hauptreferenz des Autors sind seine bisher elf Drehbücher zur überaus erfolgreichen ZDF-Krimireihe „Nord Nord Mord“. Beiden Reihen gemeinsam ist das Anreichern des Krimis mit komödiantischen Elementen, die größtenteils aus den Figuren resultieren und sich häufig in den Dialogen spiegeln. Was durch die clevere Plot-Konstruktion diesmal auf der Strecke bleibt, ja bleiben muss, ist das für das Ermitteln in „München Mord“ so typische mäandernde Moment, das diese Reihe auszeichnet, sowie ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, die enge Verbundenheit mit der Stadt, in der die drei Kommissare, aber auch Opfer und Täter, zu Hause sind. In diesem Punkt ist das Münchner Autorenduo Friedrich Ani & Ina Jung ein Glücksfall. Von Walendy, der seit über 30 Jahren in Hamburg lebt, ist so etwas nicht zu erwarten. Dennoch ist „Damit ihr nachts ruhig schlafen könnt“ eine willkommene Abwechslung: Jede langlaufende Krimi-Reihe – besonders eine, die mit Komik arbeitet und auf einen hohen Unterhaltungswert abzielt – sollte den liebgewonnenen Gewohnheiten vieler Zuschauer zum Trotz seine spielerischen und dramaturgischen Möglichkeiten ausschöpfen. Das macht Walendy in seinem Debüt für die Reihe vor allem auch dadurch, dass er in der ersten Filmstunde mehr als zuletzt amüsante Schmankerl am Rande einbaut oder klassische Krimisituationen ungewöhnlich – sprich: schräg – auflöst. Das gilt besonders für Schaller. Allerdings ist es diesmal nicht sein visionär-intuitives Hirn, das den Fall löst.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Das schönste Bild des Films – weil es die tiefe Verbundenheit des Trios im Anderssein ironisiert darstellt – ist der Moment nach der Flucht des mutmaßlichen Mörders: Mit Kabelbinder hat dieser die Drei noch inniger verbunden. Was folgt ist auch recht ulkig. „Sollen wir jemanden rufen – im Chor?“, fragt Flierl. „Jede Idee ist willkommen“, antwortet Schaller. Schließlich stellt Neuhauser seine Hosentasche, in der sich ein Zwicker befinden soll, widerwillig zum Begrabschen zur Verfügung. Manchmal sind es die Situationen, die man aus dem Genre nur zu gut kennt, die hier einen Tick anders präsentiert werden: Da ist Schaller, der sich gleich zweimal hintereinander durch das Treppenhaus eines Opfers in einen oberen Stock quält, und da ist seine Befragung einer Nachbarin („aber sind wir nicht alle allein“), die auskunftsfreudig ist, zumindest was ihr gutes künstliches Gebiss angeht. Und wie er später einen Mann, der offensichtlich keine Lust hat, mit der Polizei zu reden, entscheidende Informationen entlockt, das ist vor allem große Komödie. Quelle bester Unterhaltung sind auch stets die Handytelefonate, bei denen es mehr als nur zwei Teilnehmer gibt (und die an der Autorität des Kontrollfreaks Zangel kratzen). Einen Informanten, der sich von Schaller für seine Auskünfte mit neuen Schuhen bezahlen lässt, findet man auch nicht alle Tage. Und wo ist in einem Krimi schon mal eine Kommissarin für einen Mordverdächtigen einkaufen gegangen mit der Absicht, für ihn lecker zu kochen. Das ist mehr als nur „Helsinki-Syndrom“, pardon, „Stockholm-Syndrom“. (Text-Stand: 16.1.2023)
Gefühlt gab es lange nicht so viele urkomische oder beiläufig witzige Dialog-Wechsel wie in „Damit ihr nachts ruhig schlafen könnt“. Eine kleine Auswahl. Flierl: „Er erinnert mich an jemanden, so von der Ähnlichkeit her, an ‘nen Schauspieler.“ Nach einem kurzen heiteren Hollywoodstarraten hat sie’s: Omar Sharif. Neuhauser: „Der war’s schon mal nicht, weil der ist schon tot.“ Selbst die dramatische Schwitzkasten-Situation auf dem Kommissariat wird dialogisch locker begleitet. Schaller: „Wir haben keine Waffen.“ Der Fremde: „Was sind Sie denn für Polizisten!?“ Schaller und Neuhauser holen zu einer Befragung aus, da stellt das Gegenüber die erste Frage: „Und, macht das Leben Spaß.“ Schaller: „Macht es. Und wie sieht es in Ihrem Leben aus?“ Antwort: „Passt.“ Schaller: „Kennen Sie … den Armin Roloff?“ Der Mann: „Kann schon sein. Kann aber auch nicht sein.“ Neuhauser: „War das jetzt a Ja oder a Nein?“. Der Befragte: „Des war a Witz.“ Es folgt jenes Kabinettstückchen, mit dem Schaller den Lustlosen gesprächig macht. Und auch mit Zangel gibt es einige köstliche Wortwechsel. „Wo ist eigentlich Frau Flierl“, will er wissen. Schaller: „Die ist entführt worden.“ Zangel: „Von wem?“ Schaller: „Von Doktor Schiwago“. Zangel: „Freut mich für sie.“ Ein Witz geht sogar mal auf Schallers Kosten. Da sitzt der Karrierebulle in einem Edelrestaurant und Schaller tritt zu ihm an den Tisch. Der Bundespolizist lächelt: „Ich würde dir gern etwas bestellen, aber Gelbwurst ist aus.“
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk