Ermitteln und Augen auf, solange die Fußballfans noch auf der Straße sind
Neuer Trainer, erstes Heimspiel – und am Ende heißt es 1:4. Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) und Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) waren an diesem Samstag-Nachmittag auch beim Spiel, mit 15.000 Anderen. Schaller (Alexander Held) hat die Karten, die ihm Chef Zangel (Christoph Süß) überlassen hatte, freundlich weitergegeben. Nach dem Abpfiff versucht Neuhauser, ganz in seinem fußballsoziologischen Element, der Kollegin die Fan-Philosophie näherzubringen, und ist gerade dabei, das Spiel brauchtumgemäß nachzubearbeiten – da erweckt ein Schrei seine Aufmerksamkeit. In einem Hausflur liegt ein Toter. Die Leiche ist noch warm. Eine Hausbewohnerin (Barbara de Koy), die den Schrei ausgestoßen hat, bleibt sprachlos. Bei dem Toten handelt es sich um Manni Reinl – auch er ein fanatischer Anhänger der „Blauen“. Zwei Verdächtige sind rasch ausgemacht: Hannes Bachmaier (Jürgen Tonkel), genannt „Breitner“, weil er so oberschlau und ohne Ende herum-theoretisiert, und die Frau des Toten, Leana (Dorka Gryllus), eine attraktive Rumänin mit schlecht gehendem Fri-siersalon und einem Rausch schon vor der Vernehmung. Aber auch die Dame aus dem Hausflur hat sichtlich etwas zu verbergen. Seltsam auch, dass der Metzger (Christoph Wackernagel) von dem Schrei und dem tödlichen Treiben im Treppenhaus nebenan nichts mitbekommen haben will. Und wo ist der Kronenstüberl-Wirt (Ernst Hannawald) abgeblieben? Dass der Mord mit Fußball zu tun haben muss sagen Schaller seine Visionen. Also heißt es: Ermitteln und Augen auf, solange die Fans noch auf der Straße sind.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
„Einmal Blauer, immer Blauer“: ein ganzer Stadtteil ein Depp
Für Fußball-Fans dürfte der elfte Film der etwas anderen – etwas schrägeren, etwas weniger realistischen – ZDF-Krimi-Reihe „München Mord“ ein besonders großes Vergnügen sein. In Anlehnung an eine frühere Episode gilt für das ehemalige Arbeiterviertel Giesing: der ganze Stadtteil ein Depp. Jeden (zweiten) Samstagnachmittag dreht sich hier alles um Fußball. Fan-Sein bedeutet hier etwas völlig anderes als für den zweiten Münchner Club, „die Roten“, wie sie im Film genannt werden. „Für einen Blauen ist ein verlorenes Spiel nämlich keine Niederlage, sondern ein Grund, der blauen Macht erst recht die Treue zu halten“, klärt Neuhauser im Prolog den Zuschauer auf. Das Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung hat in ihrem sechsten Buch für die Reihe, die sich seit ihrem Start im Jahr 2014 eine treue Fan-Gemeinde erarbeitet hat, reichlich Münchner Lokalkolorit in die neue Episode eingeflochten. Giesing-Folklore und Löwen-Romantik bleiben selbstverständlich nicht ungebrochen. Schon der Mord und sein Motiv weisen zumindest auf eine verzerrte Realitätswahrnehmung hin, wenn nicht gar auf eine Persönlichkeitsstörung. Fußball ist unser Leben – da ist schon was dran. Aber wer schaut bei einem so launigen Krimi schon auf die Moral. Sehr viel entlarvender (aber nie von oben herab) ist da schon der Blick auf das, was alles noch so dazugehört zu so einem Giesinger Fußballsamstag: egal ob Sieg oder Niederlage, das Bier muss fließen, dazu wird gelallt, gelabert und wild gepieselt. Sogar die, die nicht beim Spiel waren, kippen sich ordentlich einen hinter die Binde. Köstlich einmal mehr, Barbara de Koy als stille Eierlikör-Vertilgerin, und Jürgen Tonkel als „Breitner“ sorgt für Dauerschmunzeln. Auch die komische Einlage von Kabarettist Sigi Zimmerschied, dessen Visionen („Ich sehe alles… Der Mörder ist unter uns“) Schaller mit „vorbildlich, freut mich“ quittiert, sind ein Schmankerl, das den (ernsthaften) Krimi auf die Ersatzbank verbannt.
Wer sich nicht bedingungslos zur Glaubensgemeinschaft der „Blauen“ bekennt hat schlechte Karten. Fan: „Als Blauer bist du ein Märtyrer, dein Leben lang.“ Flierl: „Nur weil’s Ihr dauernd verliert und einen schlechten Trainer einkauft, seid Ihr noch lange keine Märtyrer.“ Fan: „Sag a mal, wie red’st denn du daher!? Bist Du a Rote oder was?!“ Den letzten Satz kriegt Flierl mehrmals um die Ohren gehauen.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
A bisserl so, als ob die Hamburger „Nachtschicht“ in „München Mord“ gastiert
Das Trio muss nach dem langen Fußball-Nachmittag nicht nur eine „Nachtschicht“ einlegen, auch die Art und Weise des Ermittelns, der Tonfall, obgleich eine andere Mundart, erinnert an Lars Beckers Hamburger Kultkrimi-Reihe. Es kommen von daher nicht nur Fußballfans (mit der Fähigkeit zur Selbstironie!) bei dieser „München-Mord“-Episode auf ihre Kosten. „Ausnahmezustand“ reanimiert das abgenutzte Whodunit-Prinzip mit den Mitteln des realistischen Films. Mögen der Krimifall und die Ermittlungsmethoden, besonders die von Ludwig Schaller, erfreulich wenig unter Wirklichkeitsverdacht fallen, so haben Ani/Jung und Regisseur Jan Fehse Sprache, Milieu und Montage der Münchner Alltagskultur und Lebensart abgelauscht. Zwischen Stadion und Straße, zwischen Fleischer und Frisiersalon, zwischen Getränkemarkt und Kneipe – alles wirkt authentisch: wie ein Bad in der bayerischen Menge in Vor-Corona-Zeiten. Für den Zuschauer ist dieser augenzwinkernde Krimi – wenngleich von den Machern natürlich nicht beabsichtigt – also auch ein Stück Nostalgie und Sehnsuchtsort.
Mit einer Halben in der Hand ist dieser „Ausnahmezustand“ sicherlich noch amüsanter
Und die Handlung ergibt sich aus der Unmittelbarkeit einzelner Situationen. Logik und Analyse – ohnehin nicht die Stärken des vermeintlichen Loser-Teams aus dem Keller des Polizeipräsidiums – sind in dieser Geschichte weitgehend außer Kraft gesetzt. Alkohol während der Ermittlungsarbeiten – auch das lässt die bayerische Ursuppe hochkochen. Befragungen sind hier bisweilen noch absurder als in anderen Episoden der Reihe: Wenn Flierl im Gespräch mit der rumänischen Friseurin Kommissarin spielt, ist das mehr komische Nummer als ernsthaftes Ermitteln: die Fragende ist mal wieder absolut unsicher und die Befragte sturzbetrunken. Aus diesem Chaos-Fall ergibt sich eine der besten „München-Mord“-Episoden. Mein Tipp: Mit einer Halben in der Hand lässt es sich nicht nur amüsanter ermitteln, sondern diesen „Ausnahmezustand“ sicherlich auch noch amüsierter genießen.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk