Ein Mann liegt tot unterm Friedensengel. Wurde er geschubst, ist er gesprungen oder hat er nur das Gleichgewicht verloren? Auf jeden Fall war jener Klaus Niehoff (Florian Jahr) seelisch schwer angeschlagen und zum Todeszeitpunkt sturzbetrunken. Kurz zuvor hatte er noch eine Frau tätlich angegriffen. Sie könnte der Ursprung allen Übels sein: Katrin Markgraf (Nina Kunzendorf), die sich im Internet als erfolgreiche Geschäftsfrau inszeniert, in Wahrheit aber seit ihrer Scheidung kleine Brötchen backen muss. Will sie sich nach ihrem sozialen Abstieg nun von der Männerwelt etwas zurückholen? Neben Niehoff „investierte“ noch ein anderer, Stefan Probst (Frederik Schmid), in ihren Online-Shop. Beide versprachen sich von dieser attraktiven Frau mehr als nur gute Geschäfte. „Ich kann ja nicht kontrollieren, was jemand in mir sieht oder sich von mir erhofft“, kontert diese bei einer Befragung durch Flierl (Bernadette Heerwagen) und Neuhauser (Marcus Mittermeier). Ähnlich ausgeschlafen, aber um einiges widerspenstiger ist eine verdächtige Privatdetektivin (Lisa Flachmeyer). Schwer einzuschätzen ist auch, was Markgraf mit einem Teenager (Samuel Benito) am Laufen hat. Um sich mehr Klarheit zu verschaffen, übernimmt Schaller die Rolle eines wohlhabenden Lockvogels. „Du bist ein so ungewöhnlicher Mann, Ludwig“, schwärmt die schöne Katrin alsbald. Jetzt muss der Kommissar nur aufpassen, dass er seine Rollen nicht verwechselt.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
„Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ wäre ein passender Titel für die achtzehnte Episode aus der Reihe „München Mord“. Einen „Tatort“ aus der weißblauen Landesmetropole mit einem ganz ähnlichen Titel, „Die Liebe, ein seltsames Spiel“, gibt es bereits. „A saisonale G’schicht“, ein Verweis auf die vermeintliche Lockerheit, mit der Womanizer Neuhauser sein Liebesleben betreibt, passt auch nicht schlecht zu dem Film von Maris Pfeiffer (Regie) und Peter Kocyla (Buch). Dieses Liebesleben nahm allerdings – ähnlich wie bei der Kollegin – zuletzt eher traurige Züge an. Diesmal hingegen liegt gleich in der Eingangssequenz was (Sexuelles) in der Luft, was sich dann aber im Laufe der Handlung wieder mehr und mehr verflüchtigt. Und Schaller kommt dem Zuschauer parallel mit dem Liebeswort zum Sonntag: „Nicht wenige unter uns glauben, dass es irgendwo auf der Welt den einen Menschen für uns gibt. Deshalb suchen wir so rastlos nach der einen perfekten Person, die uns unendlich glücklich machen wird. Jemand, der uns so sieht, wie wir gesehen werden wollen, jemand, der uns in die Seele schauen kann, der verlässlich ist und dennoch voller Überraschungen steckt, jemand, der uns ehrt, schützt und liebt, bis dass der Tod alles scheidet.“ Liebe und Tod verschmelzen in dieser Geschichte, doch der Grundton bleibt wie stets in dieser etwas anderen Krimi-Reihe leicht, die Interaktionen der Kommissare locker und emotional, ja selbst die für ihre strenge Performance bekannte Nina Kunzendorf darf – auch wenn’s nur (ein falsches) Spiel ist – viel lächeln.
Ein weiteres Markenzeichen der Reihe ist die Ambition, den Geschichten ein Motto zu geben und ihnen dadurch etwas von der Beliebigkeit anderer Reihen-Krimis zu nehmen. Dies sollte nicht verwechselt werden mit den hierzulande so beliebten narrativen Spiegelungstechniken. Es ist ein Unterschied, ob ein Autor mehreren Figuren ähnliche Motive ins Drehbuch schreibt und der Regisseur das in bedeutungsvolle, interpretationsträchtige Bilder gießt, oder ob die Charaktere die Sache selbst in die Hand nehmen – sprich: das Thema“ eines Films selbst ansprechen und reflektieren, was realistischer und weniger gekünstelt wirkt. Der Themen-Komplex Liebe/Sex ist bei Flierl & Co ohnehin stets präsent, von daher wirkt es keineswegs aufgesetzt, dass sich in „A saisonale G’schicht“ auch für die Kommissare Beziehungsfragen ergeben („Vielleicht verliebt man sich ja doch“). Dazu passt, dass das Motiv der Gottesanbeterin beiläufig eingeführt wird und der Geschichte nur einen dezenten Subtext verleiht. Zu der direkten, unverstellten Art der Charaktere gehört auch, dass der jeweilige Diskurs in der ersten Sequenz offen angesprochen wird. Dieser epischen, entspannten Erzählweise entspricht der weitgehende Verzicht auf dramatische, krimitypische Spannung. Wer Kunzendorf und Alexander Held auf der Besetzungsliste hat und auf das perfekt eingespielte Pärchen Heerwagen & Mittermeier zurückgreifen kann, der hat ganz andere Möglichkeiten als die oft viel zu äußerlich und oberflächlich erzählenden 08/15-Whodunits.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Soundtrack: Michael Andrews & Gary Jules („Mad World“), Tash Sultana („Murder to the Mind“)
Mit Ermittler-Routine können die drei von der Keller-Fraktion erfreulicherweise auch diesmal nicht dienen. Sie haben nicht ständig nur ihren aktuellen „Mord“ im Kopf, sie sind einfach viel zu sehr Mensch. Besonders bei Flierl und Neuhauser bestimmen deren Befindlichkeiten stets den Angang an den Fall. Was allerdings nicht heißt, dass sie keinen Ehrgeiz hätten. „Schließt ein paar Akten, das macht locker und befreit die schwere Seele“, nein, so larifari wie ihr Vorgesetzter Zangel (knapp & köstlich: Christoph Süß) wollen sie ihren Job nicht angehen. Und Ludwig Schaller lebt häufig geradezu in den Fällen. In „A saisonale G’schicht“ taucht er mal wieder besonders tief in das mögliche Verbrechen ein, das eigentlich als Suizid oder Unfall zu den Akten gelegt werden sollte. Schaller rekapituliert Niehoffs tragischen Abend; dabei fühlt er sich zum Fürchten in den Seelenzustand des ruinierten Mannes ein, zieht Flierl in seine Visionen hinein und torkelt völlig besoffen in Richtung Friedensengel… Realistisches Ermitteln mag anders aussehen, doch es ist schön, dass es „München Mord“ gibt, eine Reihe, in der sich Spiel und Phantasie gegenseitig befruchten und in der sich diesmal Liebe und Lüge lustvoll miteinander vereinen und sich auch die filmisch gewohnt unspektakuläre, umso feiner erdachte und gespielte Auflösung sehen lassen kann. (Text-Stand: 12.1.2024)