Morgen hör ich auf

Bastian Pastewka, Wolff, Eigler, Neuwöhner, Poser. Familie mit krimineller Energie

Foto: ZDF / Martin Valentin Menke
Foto Rainer Tittelbach

Ein unbescholtener Familienvater druckt Falschgeld und hat bald statt Druckerschwärze Blut an seinen Fingern kleben. Er und seine Frau sind ein Traumpaar, was eine kriminelle Karriere angeht: er ein Künstler an der Druckerpresse, sie eine leidenschaftliche Lügnerin. Doch sie wollen nicht kriminell sein, werden allenfalls von äußeren Umständen immer wieder dazu gezwungen. Das Autoren-Trio hat dieser für deutsche Serien-Verhältnisse ungewöhnlichen Geschichte eine unwiderstehliche Dramaturgie mit einer vorbildlichen Erzähldichte verpasst. Mag „Morgen hör ich auf“ thematisch vermeintlich weniger relevant sein als „Deutschland 83“ oder „Weißensee“, so hat das Familien-Krimi-Drama, was Filmästhetik, Atmosphäre und Kult-Potenzial angeht, die Nase vorn. Und Pastewka & Wolff sind zum Niederknien!

Mit falschen Fuffzigern gegen die Insolvenz andrucken
Der Pleitegeier kreist über Walterstein & Co. Jochen Lehmann (Bastian Pastewka) hat die traditionsreiche Druckerei im beschaulichen Bad Nauheim heruntergewirtschaftet, und auch das schmucke Einfamilienhaus können er und seine Frau Julia (Susanne Wolff) sich eigentlich schon längst nicht mehr leisten. Und auch die Kinder kosten: Laura (Janina Fautz) will sich aufbrezeln für einen Jungen, Vince (Moritz Jahn) hat einem Rentner das Auto verbeult, gut, dass der Vater Nesthäkchen Nadine (Katharina Kron) die Klassenfahrt eh schon gestrichen hat. Die Lehmanns benötigen also dringend eine Finanzspritze. Trotz Vitamin B wird dem Unternehmer von seiner Bank ein weiterer Kredit verweigert. Woher nehmen und nicht stehlen?! Der Mann besitzt eine Druckerei: Und so beginnt der verzweifelte Mittelständler eines Nachts, Fünfzig-Euro-Scheine zu drucken, die er tags darauf in Frankfurt unters Volk bringt. Doch einer, Damir Decker (Georg Friedrich), selbst ein Krimineller, allerdings mit mehr Knowhow und Kaltblütigkeit ausgestattet, kommt ihm auf die Schliche. Decker hat Connections zu Falschgeldhändlern großen Stils. Mit viel Glück gelingt es dem Verlegenheits-Fälscher diesen unangenehmen Zeitgenossen loszuwerden – vorübergehend jedenfalls. Aber auch die Ehefrau erweist sich bei der Selbsthilfemaßnahme als Bremsklotz. Ihre moralische Entrüstung ist groß – bis sie das erste Mal in eine Kiste mit Blüten reingeschnüffelt hat.

Morgen hör ich aufFoto: ZDF / Martin Valentin Menke
Der „Künstler“ Jochen Lehmann & seine falschen Fuffziger locken die Frankfurter Unterwelt nach Bad Nauheim. Damir Decker versteht wenig Spaß, Georg Friedrich bringt umso mehr coolen Witz ins Spiel. „Darf man bei euch im Stehen pinkeln?“

Er will beein-drucken und sie lügt für ihr Leben gern
Ein braver Familienvater druckt Falschgeld und hat bald statt Druckerschwärze Blut an seinen Fingern kleben. Er und seine bessere Hälfte sind eigentlich ein Traumpaar, was eine mögliche kriminelle Karriere angeht. Ist jener Jochen Lehmann ein wahrer Meister beim Herstellen von Blüten, so gehört es zu den ganz speziellen Gaben seiner Ehefrau, mit Unschuldsmiene zu lügen, wo es nur geht. Die Affäre mit ihrem Jugendfreund, Elvis-Fan Rolf „the Wolf“, ist schon mal ein gutes Übungsobjekt. Die Tochter kommt in Sachen Sex-Appeal ganz nach ihr – obwohl, sie will sich unbedingt den Coolsten der Schule angeln. Bei ihrer Mutter hat das ja nicht so gut geklappt: Jochen war „der Richtige“, auch weil er der richtige Schwiegersohn war, der, der den Familienbetrieb seiner Frau übernehmen konnte. Umso größer jetzt seine Scham. „Das schaffe ich schon“, „das kriegen wir hin“ gehört zu seinen liebsten Redewendungen. Als dann die Walzen der Druckerpresse rotieren, glaubt er, dem alten Glück wieder ganz nahe zu kommen, und hofft, „sein Mädchen“ endlich mal wieder beeindrucken zu können. „Mein Gott, ich bin mit einem Wahnsinnigen verheiratet“, reagiert seine Julia allerdings völlig anders als erträumt; und mit dem erpresserischen Damir Decker bald einen völlig unberechenbaren Kriminellen im Haus zu haben, gehört auch nicht gerade zur Wunschvorstellung einer ehemaligen Schönheitskönigin aus der hessischen Provinz.

Knietief im Schlamassel – die kriminelle Energie einer Familie
Den beiden Hauptfiguren in der ZDF-Serie „Morgen hör ich auf“ bleibt aber bald nichts anderes übrig, als wieder an einem Strang zu ziehen; die Zahl der ihre Existenz gefährdenden Baustellen ist einfach viel zu groß. Da ist der Sohn, ein spätpubertierender nerdiger Außenseiter, der keine Freunde hat, sexuell noch auf der Suche ist, der eines Nachts ein Motorrad klaut, mit dem er volltrunken und ohne Führerschein einen Unfall baut und der nach all den Demütigungen, die er ertragen muss (sogar sein Vater benutzt ihn zum eigenen Vorteil und setzt ihn damit dem Gespött der Schule aus), irgendwann mit einer Knarre durch die Gegend rennt. Auch die jüngste ist nicht der Sonnenschein, für den sie alle halten, sie entpuppt sich als kleine „Terroristin“, die ihre Mitschülerinnen quält. Dass ein Kredit-Deal mit vermeintlichem Schwarzgeld in die Hose geht, die Statue, die Mutter Julia einst bei einem Schönheitswettbewerb gewann, gut in der Hand liegt und noch besser als Schlagobjekt taugt, dass der See bald ein Geheimnis birgt, dass die Polizei und das LKA bei Familie Lehmann ständig aus und ein gehen, dass der Herr des Hauses neue Geschäftsbeziehungen eingeht, die ihm und seinen Liebsten das Leben erleichtern, aber auch kosten könnten, sind nur einige der Unannehmlichkeiten, denen sich die Lehmanns bald ausgesetzt sehen. Ein Gutes aber hat das Ganze für Papa und Mama: Kriminelle Energie macht sexy – und Geld macht geil!

Morgen hör ich aufFoto: ZDF / Martin Valentin Menke
Herr und Frau Lehmann, agieren anfangs gern mal gegeneinander, doch als es hart auf hart kommt, halten sie zusammen. Bastian Pastewka & Susanne Wolff

Autor-Regisseur Martin Eigler zum Thema der Serie:
„Die Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs auf zwischenmenschliche Beziehungen, dieses Thema hat uns fasziniert, weil die Angst vor dem wirtschaftlichen Scheitern offensichtlich mit der Angst vor dem Bedeutungs-Verlust in der Gesellschaft und in der eigenen Familie verbunden ist. Dann setzt schnell Panik ein und ruhiges Abwägen fällt immer schwerer. Unter dem wirtschaftlichen Druck werden dann die wirklich wichtigen Dinge immer weiter zur Seite geschoben, mit der Begründung: erst muss es wirtschaftlich wieder laufen, und dann kann ich mich wieder um meine Familie, um die Menschen kümmern, die mir wichtig sind. Aber da kommt man dann schnell in einen Teufelskreis und verliert komplett den Überblick – wie unser Jochen Lehmann.“

In einem guten Buch trifft sich alles & jeder mindestens zweimal
In der ZDF-Serie, die im Vorfeld aus dem Senderumfeld schon mal gern als deutsches „Breaking Bad“ betitelt wurde, ist fünf Stunden lang mächtig Dampf im Kessel. Kann man als Zuschauer ohne großes Vorwissen in den ersten eineinhalb Folgen noch dem Irrglauben erliegen, dass eine Annäherung an die „Normalität“ alsbald möglich wäre, dass alles vielleicht doch nicht so schlimm ist und es nicht noch ärger kommen wird oder dass mit Hilfe von Bastian Pastewka das tragische Ausgangsszenario doch noch irgendwie ironisch gedeckelt würde, muss und darf man im Laufe von Folge 2 und endgültig zu Beginn von Folge 3 erkennen, dass „Morgen hör ich auf“ weder eine klassische Dramedy ist, sich noch an der typisch deutschen Alles-wird-gut-Familienserie orientiert und dass die Serie sehr viel mehr zu bieten hat als die originelle Ausgangsidee „unbescholtener, verschuldeter Familienvater druckt in seiner Verzweiflung Falschgeld“. Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser und Martin Eigler, der auch Regie führte, haben dieser fürs deutsche Fernsehen ungewöhnlichen Geschichte eine unwiderstehliche Dramaturgie mit einer vorbildlichen Erzähldichte verpasst. Kein Handlungsmotiv bleibt „ungestraft“; in diesem Drehbuch trifft sich alles und jeder mindestens zweimal – egal, ob das Faktotum der Druckerei mit seiner Spezi-Mix aus Wodka, Aspirin & Schlaftabletten, ob eine Notlüge des Helden in der Schulkonferenz, die zwei Folgen später in einen Amoklauf münden könnte oder die Polizeipistole, die ein Alt-68er einst mitgehen ließ und die heute für einige Konfusion sorgen wird. Vieles nimmt die denkbar schlechteste Wendung für die Protagonisten – und doch entwickelt sich „Morgen hör ich auf“ nicht in jener plotlastigen Katastrophengeschichten-Manier, in denen sich Ereignisse zu einem endlosen Chaos auftürmen. Die Story ist genrepsychologisch wasserdicht und beziehungstechnisch absolut stimmig – woraus sich auch eine emotional sehr schlüssige Grundtonlage ergibt.

Morgen hör ich auf
Eine Serie der Extraklasse: „Breaking Bad“ lässt schön grüßen! Die Lehmanns verteidigen sich ihren Platz in der Gesellschaft. Erst geht es nur um das wirtschaftliche, dann um das ganz reale Überleben. Pastewka & Wolff

Was andere sich erspielen müssen, bringt Pastewka einfach mit
„Pastewka“ weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Komisch kommt er uns nicht. Und das ist in diesem Fall gut so. Dafür bringt der Schauspieler etwas anderes mit: Der Name Pastewka konnotiert eine Art Anti-Realismus, das genaue Gegenteil von dem, was episodendominierte ZDF-Serien anstreben. Dieses zarte, teilweise virtuelle Augenzwinkern (das zum Großteil eine Projektion des Zuschauers ist) bringt er durch seine Filmographie einfach mit. Aber auch für jemanden, der Bastian Pastewka noch nie in einem Film gesehen hat, ist er eine ideale – um nicht zu sagen: eine geniale – Besetzung für diese Rolle des tragi(komi)schen Familienvaters am Rande des Abgrunds: Seine Statur, seine Körpersprache, das leicht Linkische, der wegen der Größe immer etwas kantige Gang, alles optimal. Und auch, was das Mienenspiel angeht, hält sich der als Comedian bekannt gewordene Schauspieler sehr zurück – vornehmlich ernst ist sein Gesichtsausdruck, der Blick in Ruhemomenten melancholisch, sonst konzentriert, fokussiert, sein Äußeres von Folge zu Folge ungepflegter, der Dreitagebart sprießt und der Mann blickt übernächtigt und fest entschlossen in Richtung Staffel-Showdown. Ein Heino Ferch oder Benjamin Sadler hätten der Figur ganz andere Zwischentöne gegeben und sie hätten das Unbedarfte bis etwas Naive des Herrn Lehmann sich erspielen müssen. Zur ihm ebenbürtigen Figur wird spätestens in Folge 3 seine Ehefrau Julia. Und wie Pastewka verkörpert auch Susanne Wolff („Dreileben“ / „Mobbing“) ihre kleinbürgerliche Vorstadtschönheit zum Niederknien. Das permanente Lügenspiel ihrer Figur ist vielleicht die größte Herausforderung dieser Rolle. Mit Kulleraugen und Unschuldsmiene gibt Frau Lehmann die Unwissende, die etwas Naive, die sich um Kopf und Kragen Fabulierende. Sie beherrscht die Waffen einer Frau; nur als ihr Mann ohne ein Wort untertaucht, hängt die sonst so souveräne Gattin kurzzeitig durch. Wolff spielt das mit einer enormen Präsenz, mit Feuer, Dynamik und latenter Erotik.

Dramaturgisch, filmästhetisch & lustpolitisch ein großer Coup!
Hierzulande machen Kritiker und Publikum zeitgeschichtliche Serien gern zur Königsdisziplin, weil ein thematischer, historischer Mehrwert zu Recht ein Qualitätskriterium ist. In dieser Hinsicht, aber auch plottechnisch, mögen „Deutschland 83“ und „Weißensee“ die „bedeutsameren“ Serien sein. Dramaturgisch, atmosphärisch, filmästhetisch, Cast-technisch und lustpolitisch (gemeint ist damit das Spaß- und Kultpotenzial für den Zuschauer) aber ist „Morgen hör ich auf“ der größere Coup – zumal der Subtext der Serie in Richtung „Krise & sozialer Niedergang“ auch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz nicht abzusprechen ist. In diesem Punkt geht die ZDF-Produktion den amerikanischen Weg, bei dem „Themen“ beiläufig in Geschichten eingebunden werden, anstatt sie deutlich zweckbestimmt zu verhandeln. Beim Format gehen der Mainzer Sender und Network Movie eher den deutschen Weg. Knapp 300 Minuten, das ist angenehm überschaubar und kompakt, was der komprimierten Erzähl- und magischen Inzenierungsdichte der Serie entspricht. So könnten sich durchaus die „neuen“ Seriengucker, aber auch die traditionelle Klientel, die episodische Serien und vor allem Neunzigminüter bevorzugen, gleichermaßen angesprochen fühlen. Auch der an sich tödliche Wochenrhythmus (dem zuletzt die RTL-Serie „Deutschland 83“ erlag) könnte bei der narrativen Intensität dieser Serie durchaus funktionieren. Jede Folge besitzt ihren eigenen Reiz, nimmt einen mit in den Beziehungsstrudel der Lehmanns, auch wenn man beispielsweise erst in Folge 3 reinschaltet. Für einen „normalen“ ZDF-Zuschauer, der „Der Alte“ oder „Ein starkes Team“ bevorzugt, könnten zwei Folgen am Stück ohnehin eine zu hohe Dosis Alptraum sein. Als Nachspeise des samstäglichen ZDF-Krimiabends mit seinem treuen Publikum könnte dieser Serien-Leckerbissen aber durchaus funktionieren und einige Zuschauer vielleicht sogar die Hauptspeise vergessen lassen. (Text-Stand: 13.12.2015)

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ZDF

Mit Bastian Pastewka, Susanne Wolff, Janina Fautz, Moritz Jahn, Katharina Kron, Georg Friedrich, Torben Liebrecht, Margarita Broich, Uwe Preuss, André Jung, Cornelius Obonya, Alexander Scheer, Simon Schwarz, Stephan Grossmann

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Ruth Barbara Wilbert

Schnitt: Julia Oehring, Jörg Kroschel

Musik: Manu Kurz, Alexander Maschke

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Nina Güde, Wolfgang Cimera, Bettina Wente

Drehbuch: Martin Eigler, Sönke Lars Neuwöhner, Sven S. Poser

Regie: Martin Eigler

Quote: (1): 4,49 Mio. Zuschauer (13,6% MA); (2): 4,19 Mio. (13,3% MA); (3): 3,22 Mio. (10,3% MA); (4): 3,17 Mio. (10,2% MA); (5): 2,78 Mio. (8,9% MA)

EA: 02.01.2016 21:45 Uhr | ZDF

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