Mordsschwestern – Verbrechen ist Familiensache

Lena Dörrie, Caroline Hanke, Trasoglu, Ole Zapatka. Neuzugang mit sanfter Dünung

Foto: ZDF / Markus Hertrich
Foto Martina Kalweit

Der aktuelle Neuzugang des ZDF-Freitagskrimi ist an der Flensburger Förde verortet und legt die Ermittlungen in die Hände eines ungleichen Schwesternpaares. Familiäre Kabbeleien und eine übersichtliche Nachbarschaft liefern den Background für humorvolles Ermitteln. Echte Spannung ist ebenso wenig zu erwarten wie schmerzhafte Einblicke in gesellschaftliche Abgründe. „Mordsschwestern“ (Fiction Magnet / Akzente Film & Fernsehproduktion) setzt auf ruhigen Wellengang und frisch-herbe Gesichter im vertrauten Reetdach-Idyll.

Der Vorspann gibt den Takt vor. Da rennt keiner und da fällt auch kein Schuss. Im Vorspann präsentiert sich die ZDF-Freitagsserie „Mordsschwestern – Verbrechen ist Familiensache“ als Gedankenspiel, das mit Muße betrachtet werden will. Landschaftsbilder und die Porträts der wichtigsten Akteure setzen sich aus Puzzleteilen zusammen, komplettieren sich, lösen sich wieder auf. Blinde Flecken inklusive. Der Zuschauer kann sich da schon zurücklehnen. Dieses Krimi-Puzzle hat eher hundert als tausend Teile. In einer Stunde locker lösbar.

Kriminalhauptkommissarin Viktoria Lorentzen (Lena Dörrie) sieht die Welt nicht so locker. Nachdem ihre Schwester Feli (Caroline Hanke) ohne ihr Wissen als Forensikerin in Flensburg angeheuert hat, ist sie schwer empört. Zuletzt haben die beiden gemeinsam die Urne ihres Vaters in der Ostsee versenkt. Und selbst da trug Feli nicht das richtige Outfit. Der Zuschauer weiß, wie sich solch ein Konflikt in Krimireihen wie dieser regelt: Verbrechen hilft! Noch bevor Viktoria ein großes Fass aufmachen kann, sehen sich die Schwestern schon in ihren ersten Fall verwickelt. „Schwarzer Fisch“ ist weniger ein kniffliger Mordfall als Folie für vertiefende Charakterstudien. Neben der korrekten Victoria und der chaotisch-entschlossenen Feli (übertrieben oft in Latzhose und Turnschuhen), komplettieren Kommissar Sami (Tamer Trasoglu) und Forensiker Dusi (Claudiu Mark Draghici) das Kripo-Team. Der eine hält sich als attraktiver Kollege im Streitfall gern zurück, den anderen umweht ein Hauch von Ostfriesen-Tumbheit. Tatsächlich ist „Dusi“ aber eine Seele von Mensch, schwul und zu besorgt, um seinen Eltern die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Feli wird schnell seine Vertraute. Während das Team Feli/Dusi die komischen Seiten jeder Mordermittlung übernimmt, umgibt Victoria das Geheimnis um ihre gescheiterte Beziehung zu Staatsanwalt Meyer-Pritzel (Tobias Licht; Episodenhauptrolle in Folge 2) und um ihre Gefühle für Sami. Auch ein Erzählstrang um Felis Vergangenheit gehört in einer der nächsten Episoden aufgedröselt: Feli hat ihren Sohn (Jonah Djalili) mit nach Flensburg gebracht. Dass ein Junge kurz vor der Pubertät mit dem Umzug von Berlin in die Provinz keine Probleme hat, ist unerklärt wenig glaubhaft.

Mordsschwestern – Verbrechen ist FamiliensacheFoto: ZDF / Markus Hertrich
Bei ihrer Arbeit werden die privaten Differenzen hintenan gestellt. „In der Vorbereitung sagte einer der Autoren zu mir: Viktoria ist der Baum, Felicitas der Vogel. Ich finde, das passt sehr gut“, erinnert sich Lena Dörrie. Caroline Hanke

Inhaltlich lebt der erste wie die folgenden Fälle der „Mordsschwestern“ vom Auseinander-Driften der Ermittlungsarbeit. Kommissarin Victoria bleibt stets korrekt, Forensikerin Feli schert sich einen Dreck darum, bei ihrem Leisten zu bleiben. Kurz vorm großen Knall merken die Schwestern dann, wie effizient ihre Streitereien zur Lösung des Falls beitragen und versöhnen sich. In der Alternativ-Version dieser Erzählstrategie bringt sich eine von beiden in eine Gefahr, aus der die andere sie retten muss. Beide Prinzipien sind schnell durchschaut und könnten schnell langweilen. Dagegen helfen Drehbücher, die zu viel Kitsch genauso vermeiden wie platten Slapstick. Auch wenn zwischendurch doch arge Klischeegestalten auftauchen, die wirken, als hätten sie in der Drehpause zu einem neuen Imagespot des NDR („Das Beste am Norden“) schnell mal das Set gewechselt: Die Hauptakteure überraschen immer wieder mit berührend-ernsthaftem Spiel. So überzeugt beispielsweise Lena Dörrie zu Anfang der zweiten Episode „Totalschaden“ in einer unprätentiösen Sequenz, in der ihre Kommissarin die Überlebende eines Verkehrsunfalls zu beruhigen versucht.

Regisseur Ole Zapatka drehte nach mehreren Folgen „SOKO Hamburg“ im vergangenen Jahr zwei Episoden für die Reihe „Nord Nord Mord“. Für die „Mordsschwestern“ darf es etwas moderner sein und Zapatka weiß das zu nutzen. Er inszeniert sorgfältig und setzt mit Kamera-Kreisfahrt oder Bild-im-Bild-Sequenzen hier und da Akzente. Das bringt mehr Abwechslung in die filmische Erzählung als Küstenkrimi-Fans gewöhnt sind. Im Normalfall wechselt dort der Dialog mit einem Drohnenflug über ein Stück Allee oder Steilküste und das war‘s. Nicht ganz so gelungen fallen die Musik-Einsätze aus. Sie füllen Lücken, die keinen schmerzen, der auf Bilder vertraut. Oft setzen sie zu unvermittelt ein oder brechen zu abrupt wieder ab.

Die ersten Episoden der neuen Freitagskrimireihe setzen eine Krimi-Tradition fort, die das Verbrechen mit dem Drama der „kleinen Leute“ verbindet. Wie auf Ermittlerseite die ungleichen Schwestern, so bedienen sich die Geschichten auch auf der Seite der Verdächtigen gern bei Familienbanden. Die kämpfen als kleine Fischer um ihre Existenz oder leben auf dem Campingplatz und träumen von der Cote d’Azur. Sie geraten unter Verdacht, sind’s aber selten gewesen. Das wäre für den Freitagabend also doch zu modern. Mit den „Mordsschwestern“ zieht nach „Die Chefin“ das norddeutsche Lokalkolorit in den ZDF-Freitagskrimi ein. Ein Puzzleteil, wie es auch überall anderswo gepasst hätte. (Text-Stand: 12.8.2022)

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Lena Dörrie, Caroline Hanke, Tamer Trasoglu, Claudiu Mark Draghici, Anne Moll, Jonah Djalili

Kamera: Timo Moritz

Szenenbild: Sabine Kasch

Kostüm: Astrid Möldner

Schnitt: Friederike Dörffler, Jeannine Compère

Musik: Oliver Thiede

Redaktion: Jasmin Maeda, Dirk Rademacher

Produktionsfirma: Fiction Magnet, Akzente Film & Fernsehproduktion

Produktion: Miriam Düssel, Matthias Walther

Drehbuch: Kathrin Richter, Jürgen Schlagenhof

Regie: Ole Zapatka

Quote: (1): 4,65 Mio. Zuschauer (19,1% MA); (2): 4,66 Mio. (18,6% MA); (3): 4,16 Mio. (15,5% MA); (4): 3,95 Mio. (15,5% MA)

EA: 02.09.2022 20:15 Uhr | ZDF

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