Mordkommission Istanbul – Einsatz in Thailand

Sander, Ortega Sánchez, von Tempelhoff, Rossi, Ladkani. Highlight in der Fremde

Foto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Foto Tilmann P. Gangloff

Weil die Arbeitsbedingungen in der Türkei mittlerweile zu riskant sind, ist Produktionsfirma Ziegler Film mit „Mordkommission Istanbul“ (ARD Degeto) nach Thailand ausgewichen. Die Handlung des von Regisseur Peter Ladkani auch über knapp 180 Minuten fesselnd inszenierten Thrillers ist jedoch weit mehr als bloß ein Vorwand für den Ortswechsel: Kommissar Özakin gerät nach der Überstellung eines Verbrechers zwischen die Fronten der beiden mächtigsten Clans des Landes und wird auch noch von der Polizei gesucht. Drehbuchautor Marco Rossi sorgt immer wieder für unerwartete Wendungen, ohne neue Figuren einführen zu müssen: weil einige der Beteiligten ein doppeltes Spiel spielen und auf diese Weise Freund und Feind in einer Person sind. Die Bildgestaltung von Namche Okon wirkt sehr aufwändig, Kameraführung und Schnitt sind gerade in den Actionszenen agil, aber nie hektisch, und Andreas Helmle hat eine ausgezeichnete Thrillermusik komponiert.

In der Vergangenheit haben es die Autoren von „Mordkommission Istanbul“ konsequent vermieden, sich mit den politischen Verhältnissen auseinandersetzen. Die Krimireihe soll in erster Linie der Unterhaltung dienen, weshalb die Filme regelmäßig so tun, als sei die Türkei ein Land wie jedes andere. Der von Erol Sander verkörperte Kommissar Özakin äußert zwar hin und wieder leise Kritik an übertriebenem religiösem Enthusiasmus, doch um Politik machen die Drehbücher stets einen derart großen Bogen, als hätten die Autoren eine Schere im Kopf. Aber die Realität lässt sich nur so lange ausblenden, wie sie keine Gefahr für Leib und Leben darstellt, weshalb die Dreharbeiten zuletzt aus Sicherheitsgründen außerhalb Istanbuls stattfanden. Die im Frühjahr ausgestrahlte letzte Episode, „Tödliche Gier“, ist in Izmir gedreht worden. Während der Dreharbeiten im Sommer 2016 ereignete sich der Putschversuch. Um Schauspieler und Mitarbeiter keinen unnötigen Risiken auszusetzen, hat sich die Produktionsfirma Ziegler Film entschlossen, die Türkei komplett zu verlassen. Wider Erwarten ist „Einsatz in Thailand“ der beste Film seit „Im Zeichen des Taurus“ (2016) geworden; in dem Zweiteiler hatte sich die Reihe erstmals mit dem Thema Terror befasst.

Es ist ja ohnehin stets etwas Besonderes, wenn Ermittler ihr angestammtes Revier verlassen, aber Auslandseinsätze sind naturgemäß noch reizvoller; wenn auch nicht wegen etwaiger Kommunikationsprobleme, denn in den Krimis der ARD-Tochter gibt es grundsätzlich keine Sprachbarrieren. Anders als beim Heimspiel ist Özakin in Thailand jedoch völlig auf sich allein gestellt, und das nicht nur, weil er niemandem vertrauen kann; er gerät zwischen die Fronten zweier rivalisierender Gangster-Sippen und wird zudem von der Polizei gesucht, weil er einen Verbrecher aus dem Gefängnis befreit hat. Der Film beginnt mit einem typischen Cliffhanger-Auftakt: Der türkische Kommissar ist auf der Flucht, ein Fadenkreuz erfasst ihn. So endet auch die erste Hälfte des knapp 180 Minuten langen Thrillers, den die ARD ursprünglich als Zweiteiler zeigen wollte, aber nun am Stück ausstrahlt.

Mordkommission Istanbul – Einsatz in ThailandFoto: Degeto / Repro
Thailand tut „Mordkommission Istanbul“ gut… Mehmet Özakin (Erol Sander) gerät in Bangkok zwischen die Fronten eines Bandenkriegs und wird selbst zum Gejagten.

Marco Rossi hat unter anderem den Freitagsfilm „Kilimandscharo – Reise ins Leben“ (2018) und das biografische Drama „Grzimek“ (2015) geschrieben, kann aber auch Thriller, wie er vor zehn Jahren mit „In letzter Sekunde“ bewiesen hat. Beim Debüt für „Mordkommission Istanbul“ war es allerdings fast noch wichtiger, dass die Reise nach Asien weit mehr als bloß ein Vorwand ist: Özakin hat in Istanbul den thailändischen Menschenhändler Worawit Luang (Solarsin Ngoenwichit) festgenommen. Zuvor hatte Luang offenbar den Freund und Mentor des Kommissars ermordet; die Überreste von Benar Kayalis Leiche sind in einem Krematorium gefunden worden. Kaum haben Özakin und Mustafa (Oscar Ortega Sánchez) den Gangster in Bangkok an die thailändischen Kollegen überstellt, werden sie in den Dschungel entführt: Fawaini (Mamhee Nakprasitte), Luangs Schwester, zwingt Özakin, ihren Bruder zu befreien; andernfalls muss Mustafa sterben. Tatsächlich gelingt dem Türken das Unmögliche: Dank eines raffinierten Plans und der Hilfe einer Frau (Nadeshda Brennicke), die er im Flugzeug vor einem aufdringlichen Passagier beschützt hat, kann er Luang zur Flucht aus Thailands sicherstem Gefängnis verhelfen. Mustafas Leben schwebt jedoch weiter in Gefahr, denn die rivalisierende Verbrechersippe Roter Drache will Luang aus dem Verkehr ziehen; und sie hat einen Helfer, der den Kommissar so gut kennt wie kaum ein anderer.

Weil Nicki von Tempelhoff in einer kurzen Rückblende zu sehen ist, als Özakin um seinen ermordeten Freund trauert, ist recht bald klar, wer da wie Phoenix aus der Asche von den Toten zurückkehrt. Dass der verbrannte Kayali allein anhand seiner Keramikkronen identifiziert werden konnte, ließ ohnehin früh erahnen, dass sein Tod nur vorgetäuscht war, aber Rossi versucht auch nicht, das Geheimnis länger als nötig zu bewahren. Davon abgesehen ist ihm mit „Einsatz in Bangkok“ ein Thriller gelungen, der tatsächlich über knapp 180 Minuten spannend ist; vielen Zweiteilern geht zwischendurch auch mal die Luft aus, weil die Handlung im Grunde nur für 120 Minuten reicht. Rossi sorgt jedoch immer wieder für unerwartete Wendungen, und das, ohne neue Figuren einzuführen: weil einige der Beteiligten ein doppeltes Spiel spielen und auf diese Weise Freund und Feind in einer Person sind.

Eindrucksvoll ist auch die Umsetzung. Peter Ladkani hat zuletzt Teil 2 des vorzüglichen „Amsterdam-Krimis“ gedreht und hier gemeinsam mit Namche Okon für eine aufwändig wirkende Bildgestaltung gesorgt. Kameraführung und Schnitt sind gerade in den Actionszenen sehr agil, aber nie hektisch, und Andreas Helmle hat wie schon beim „Amsterdam-Krimi“ erneut eine ausgezeichnete Thriller-Musik komponiert. Der Film wechselt zudem permanent die sorgfältig ausgesuchten Drehorte: Die imposanten Panoramabilder der nächtlichen Skyline von Bangkok bilden einen faszinierenden Kontrast zur wilden Dschungellandschaft. Das Hauptquartier des Luang-Clans befindet sich in einer riesigen Felsgrotte, die Okon ansprechend illuminiert hat. Eine der gegenseitigen Verfolgungsjagden zwischen Özakin und Kayali findet während eines Umzugs statt, bei dem die Menschen bunt kostümiert sind und fantasievolle Masken tragen. Ein weiterer attraktiver Schauplatz ist das buddhistische Kloster, in dem der völlig erschöpfte Özakin Zuflucht findet, nachdem er der Polizei entkommen ist. In den wechselnden Rollen des Helden liegt der vielleicht größte Reiz des Films: weil der Kommissar mal Subjekt, mal Objekt der Handlung ist. All’ sein Streben gilt natürlich der Rettung des Kollegen, dafür hat er drei Tage Zeit, was die Spannung ohnehin schon erhöht, aber außerdem ist er gleichzeitig Jäger und Gejagter. Diese Vorzeichen wechseln ständig und mit Vorliebe dann, wenn er glaubt, alles unter Kontrolle zu haben.

Mordkommission Istanbul – Einsatz in ThailandFoto: Degeto / Hans-Joachim Pfeiffer
Visuell hat die Reihe in jeder Hinsicht deutlich zugelegt. Die coole Derya (Melanie Winiger)

Interessant ist „Einsatz in Thailand“ auch auf der thematischen Ebene. Vordergründig geht es natürlich um Nervenkitzel, aber Taten und Gespräche sind geprägt von den Motiven Freundschaft und Rache. Özakin hat Kayali sein Leben zu verdanken, doch nun versucht der Verräter gleich mehrfach, ihn umzubringen. Mustafa wiederum, für den Özakin ebenfalls mehr als bloß ein Kollege ist, freundet sich mit der kleinen Tochter der Anführerin an und bringt ihr das Bogenschießen bei, was sich beim Finale auszahlt; Sánchez verabschiedet sich mit diesem Film nach zehn Jahren aus der Reihe. Differenziert ist auch die Rolle des thailändischen Kommissars (Vithaya Pansringarm): Die Geschwister Luang haben seine Frau und sein Kind auf dem Gewissen, und natürlich will er Vergeltung, ebenso wie der Anführer (Nirut Sirijanya) der Roten Drachen, dessen Sohn kaltblütig von Kayali ermordet worden ist. Gerade die beiden älteren Schauspieler versehen ihre Rollen mit Würde und Charisma. Fawaini-Darstellerin Mamhee Nakprasitte verkörpert die Gangsterin dagegen allzu sehr als Domina, was durch die seltsam akzentuierte Synchronisation noch verstärkt wird. Roter Drache junior hat zu viele asiatische Gangsterfilme gesehen, wird aber noch übertroffen von Fawainis Mann fürs Grobe, der mit seinen aufgerissenen Augen eher lächerlich als furchteinflößend wirkt.

Der Spannung des Films tut das allerdings keinen Abbruch; gerade die Flucht aus dem Gefängnis ist auch dank eines überlaut tickenden Sekundenzeigers sehr fesselnd. Dass Rossi mehr als nur ein packender Thriller mit überzeugend inszenierten Actionanteilen vorschwebte, belegen nicht nur das Freundschaftsmotiv, sondern auch die gelegentlichen Ansätze, der Geschichte eine gewisse Relevanz zu verleihen. Die Rückblende beginnt mit einer Auseinandersetzung zwischen Özakin und seinem Chef. Der Kommissar protestiert gegen die Auslieferung Luangs, den in Thailand die Hinrichtung erwartet. Özakin sagt dabei unter anderem, die Menschenwürde ende nicht an der Landesgrenze; ein Satz wie in Stein gemeißelt und aus dem Mund des Polizisten auch völlig glaubwürdig, aber vor dem Hintergrund der Zustände in der Türkei natürlich absurd. Zur Todesstrafe nimmt Özakin ebenfalls klar Stellung: „Keiner hat das Recht, einen Menschen zu töten, auch kein Staat.“ Womöglich wird ja doch noch ein Regimekritiker aus dem Kommissar; sein Staatspräsident macht schließlich keinen Hehl daraus, dass er sich die Wiedereinführung der Todesstrafe vorstellen kann.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Erol Sander, Oscar Ortega Sánchez, Nicki von Tempelhoff, Melanie Winiger, Solarsin Ngoenwichit, Mamhee Nakprasitte, Ege Aydan, Vithaya Pansringarm, Nophand Boonyai, Nirut Sirijanya

Kamera: Namche Okon

Szenenbild: Chon Thananawin

Kostüm: Fililz Ertas

Schnitt: Nina Meister, Nathalie Pürzer

Musik: Andreas Helmle.

Soundtrack: Michael Kiwanuka („Love & Hate“, Abspannsong)

Redaktion: Carolin Haasis, Sascha Schwingel

Produktionsfirma: Ziegler Film

Produktion: Hartmut Köhler, Regina Ziegler

Drehbuch: Marco Rossi

Regie: Peter Ladkani

Quote: (1+2): 3,17 Mio. Zuschauer (10,6% MA); Wh. (1/2020): 2,69 Mio. (11,9% MA), Wh. (2/2020): 2,69 Mio. (10.8% MA)

EA: 25.12.2018 20:15 Uhr | ARD

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