Die Organisierte Kriminalität ist auch im Berlin der 1920er Jahre angekommen. Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung sind das Tagesgeschäft. „Ringvereine“ dominieren die Welt des Verbrechens. Auch Tötungsdelikte gehören wenige Jahre nach Kriegsende zum Alltag der pulsierenden Metropole. Jetzt hat es einen Staatsanwalt erwischt, ausgerechnet einen „mit Augenmaß“, der die Politik der stillen Duldung verfolgte, solange die krummen Geschäfte nicht aus dem Ruder liefen. Kommissar Paul Lang (Friedrich Mücke) vermutet deshalb, dass nicht Parkov (Oliver Masucci), der Boss des Ganovenrings „Die Krokodile“, der Drahtzieher hinter dem Mord ist, sondern Immanuel Tauss (Tobias Moretti), Weltkrieg-Veteran und Untergrundkämpfer, der Berlin bestialisch kriminalisierte, bevor Parkov gegen ihn als Kronzeuge aussagte. Tauss sitzt zwar im Gefängnis, könnte draußen aber V-Männer haben, die für ihn töten. Ein zweiter Mord macht dieses Szenario noch wahrscheinlicher. Doch es gibt auch andere Stimmen, die Langs Hass auf den Mann, der offensichtlich dessen Frau und Kind tötete, dafür aber nicht belangt wurde, als krankhafte Obsession abtun. Selbst sein Assistent Ruppert (Frederick Lau) zweifelt an seinem Chef. Er und Sekretärin Masha (Emilia Schüle) spionieren hinter Lang her – und machen eine folgenschwere Entdeckung.
Weshalb die Roaring Twenties nur den Amis überlassen?! Warum nicht jene Dekade der Lust, Gier und Gewalt, die uns Filme wie „Cabaret“ und „Cotton Club“, „Scarface“ oder „Der Pate“ so wunderbar vorführten, in gemäßigter Form für den deutschen Fernsehzuschauer im Jahre 2015 wiederaufleben lassen?! Dagegen sprachen bislang die zu hohen Kosten. Die digitalen Produktionsmöglichkeiten haben nun ein solches „Goldene-Zwanziger“-Projekt Wirklichkeit werden lassen. Und „Mordkommission Berlin 1“ kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Der Film von Marvin Kren bedient sich nicht nur bekannter Motive und Bilder klasssicher Hollywoodfilme, sondern er hat sich auch, was die Hauptfigur des Paul Lang angeht, an einem realen deutschen Vorbild orientiert: Ernst Gennat, dem Vater aller Kriminalkommissare, der mit neuen Methoden wie der Spurensicherung am Tatort die Ermittlungsarbeit in den 1920er Jahren revolutionierte. Friedrich Mücke spielt ihn im Stile jener Zeit: als Respektsperson mit Anzug und Hut, sparsamer Mimik und reduzierter Körpersprache. In dem reservierten Verhältnis zwischen ihm und seinem von Frederick Lau gespielten Assistenten spiegelt sich nicht nur der institutionelle preußische Umgangston jener Jahre, diese Distanz ermöglicht erst die Atmosphäre des Belauerns und Beobachtens. Die beiden sind nicht angetreten, um Freunde zu werden; vor allem Ruppert leidet unter der arroganten Strenge seines Chefs. Diese Zwischentöne zwischen den Polizisten heben den Film deutlich von heutigen Ermittlerkrimis ab, in denen schlechte Chemie häufig nur behauptet wirkt; hier ist sie feiner begründet, hat ihren Ursprung im Autoritätsgebaren des Helden.
Sat 1 tituliert „Mordkommission Berlin 1“ als sogenanntes „Event-Movie“. Im Vergleich zu Filmen wie „Die Wanderhure“, „Die Hebamme“ oder „In einem wilden Land“, die in ähnlicher Manier Kino-Genres fürs Fernsehen reanimierten, schneidet dieser historisch anmutende Kriminalfilm in mehrfacher Hinsicht besser ab. Die Figuren sind gebrochener (der Held bekämpft seine Dämonen mit Morphium), die Handlung ist vielschichtiger und die popkulturellen Referenzen sind dichter und eleganter in die zwei Filmstunden eingewoben. Weil die Mühlen der Pathologie langsam mahlen, finden die Autoren Arndt Stüwe und Benjamin Hessler genug Zeit, das Milieu und die Beziehungen genauer auszuleuchten. Keine Frage, alles bleibt dabei im Gewand eines klassischen Genrefilms, der dem Zuschauer nicht irgendeine Zeitgeistkritik unterjubeln, sondern ihn mit den Codes des Visuellen ködern möchte. Da ist der seriöse, stilvoll gekleidete Kommissar, da ist sein Assistent mit Oberlippenbärtchen und Nickelbrille, die hübsch adrette Sekretärin, die natürlich blond ist, nicht zuletzt, weil es zur verführerischen Varieté-Besitzerin (erotisch: Antje Trauer) mit ihren dunklen Haaren und ihrer dezenten Femme-fatale-Ausstrahlung einen sichtbaren Kontrast geben muss. Gut machen sich auch der Nadelstreif-Ganove (markant: Oliver Masucci, der Hitler in „Er ist wieder da“) – und mit ganz wenig Text und grandios wie fast immer: Tobias Moretti als Tauss, der Kämpfer, der den Schützengraben gegen den städtischen Untergrund eintauschte und selbst aus seinem Verlies heraus noch das Böse in die Straßen von Berlin schickt.
Die allgegenwärtige Metapher vom Untergrund(kämpfer) findet dann auch im großen Finale einen kongenialen Schauplatz. In der Kanalisation kommt es zum Showdown. „Der dritte Mann“ (da ist es der Zweite Weltkrieg, den die Menschen gerade überstanden haben) lässt grüßen, die seltsamen Koalitionen zwischen Polizei und Unterwelt, die sich gegen den Bösen verbünden, erinnern dagegen an Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Und auch die Bilder als solche überzeugen in ihrem Hang zur reizvollen Oberfläche: Sie bewegen sich zwischen dem bunten Glamour des Tingeltangels und dem Sepia-angehauchten Berlin bei Tage, wie man es von alten Fotografien her kennt. Authentifiziert wird der Look gelegentlich durch Lochblenden und insgesamt durch ein Production Design, das sich an der populären Hollywood-Ikonografie nicht weniger orientiert als an der Ausstattung Alt-Berlins. Die Filmästhetik ist die einzige Ebene von „Mordkommission Berlin 1“, die dem Kenner die Möglichkeit gibt, dem Film ein Stück weit Ironie abzuringen. In diesem Fall ist es eine große Qualität, dass der Plot trotz so vieler filmischer Verweise als ernsthafte, spannende Geschichte funktioniert – und niemals bemüht oder gar lächerlich wirkt. Außer Frage steht, dass sich aus diesem historisch-ästhetischen Movie-Mikrokosmos eine Klasse-Serie entwickeln ließe, die sicherlich noch spezifischer und (real)politisch schärfer in die gesellschaftlichen Widersprüche der wilden 1920er Jahre eintauchen könnte. (Text-Stand: 8.11.2015)