Mogadischu

Mehr als eine Fußnote der RAF-Geschichte: Das Ereignis spielt die Hauptrolle

Foto: SWR / Degeto / Rabold
Foto Rainer Tittelbach

„Mogadischu“ folgt einer der legendärsten Flugzeugentführungen. Dabei hält sich der Film von Roland Suso Richter weitgehend an die reale Dramaturgie, die sich Hollywood nicht spannender hätte ausdenken können. Autor Maurice Philip Rémy brach die komplexen politischen Ereignisse auf das Menschlich-Emotionale herunter. Hochspannungsdrama!

Über zwei Millionen Zuschauer haben den Kinofilm „Der Baader Meinhof Komplex“ gesehen. Der Film, der ein breites Panorama des linksradikalen Terrorismus in der Bundesrepublik der 70er Jahre entwirft, erfährt nun im Fernsehen mit dem historischen Thriller „Mogadischu“ eine spannende Ergänzung. Bei dem atemlosen Parforce-Ritt durch die blutigsten Jahre der westdeutschen Nachkriegsgeschichte blieb die Entführung des Passagierflugzeuges „Landshut“ durch vier Palästinenser im Oktober 1977 nur eine Fußnote der RAF-Geschichte. Mit der Aktion sollten die in der Bundesrepublik inhaftierten Terroristen freigepresst werden.

MogadischuFoto: SWR / Degeto / Rabold
Die Staatsräson geht vor. Christian Berkel als Bundeskanzler Helmut Schmidt

Wochen zuvor ist – ebenfalls mit dem Ziel, Baader, Meinhof & Co freizubekommen – bereits Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer von Mitgliedern der zweiten RAF-Generation entführt worden. Der jahrelange Konflikt zwischen Staat und Terroristen treibt seinem Höhepunkt entgegen. Kanzler Helmut Schmidt will nicht noch einmal – wie 1975 bei der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz geschehen – dem Druck der Terroristen nachgeben. Der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen. 13 Morde und 43 Mordversuche gehen auf das Konto der Häftlinge, die freigepresst werden sollen. Die Gewaltspirale müsse unterbrochen werden. So kam die Stunde von 30 Männern der GSG 9, einer Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, die in der Nacht des 18. Oktobers 1977 die Lufthansa-Maschine stürmten und die 86 Geiseln aus der Gewalt der Terroristen befreiten. 105 Stunden schwebten die Passagiere und die Crew während ihrer Odyssee von Mallorca über Rom und Zypern nach Bahrein, Dubai, Aden bis ins somalische Mogadischu zwischen Leben und Tod.

Heinrich Breloer stellte in seinem Zweiteiler „Todesspiel“ über den deutschen Herbst 1977 schon einmal die Ereignisse um die „Landshut“ in den Mittelpunkt eines erfolgreichen Fernsehfilms. Warum also ein zweiter Film der ARD? „Weil es neue Fakten gibt, die ein anderes Licht auf die Geschehnisse von damals werfen“, betont Ko-Autorin Gabriela Sperl. Es gehe um die Neubewertung der Rolle des Lufthansa-Kapitäns, der mit dem Leben bezahlte, um seine Passagiere zu retten. Vor allem aber sei der Terror nicht nur als eine palästinensische Solidaritätsaktion zu verstehen gewesen, sondern gehöre zu „einer im Rahmen des Kalten Krieges geführten Destabilisierungskampagne“. Die Drahtzieher waren nicht nur bei arabischen Terrorgruppen zu suchen, sondern reichten bis zum KGB. „Die deutschen Terroristen waren nur Marionetten in einem vom Nahen Osten aus gelenkten Spiel.“

MogadischuFoto: SWR / Degeto / Rabold
Thomas Kretschmann spielt Jürgen Schumann als besonnenen Helden im Cockpit. Die Rolle war Sprungbrett für eine internationale Karriere.

Verschoben ist aber vor allem die Perspektive. Ging es Breloer um den Diskurs, um deutsche Politik und semidokumentarische Rekonstruktion, so hält sich „Mogadischu“ vor allem an die reale Dramaturgie, die sich Hollywood nicht spannender hätte ausdenken können. Autor Maurice Philip Rémy, verantwortlich auch für die Dokumentation zum Spielfilm, brach die komplexen politischen Ereignisse auf das Menschlich-Emotionale herunter. Er machte ein Suspense-Drama daraus, dessen Ausgang bekannt ist und das einen dennoch von der ersten bis zur letzten Minute packt. Nicht zuletzt, weil es der Blickwinkel der Opfer ist, mit dem der Zuschauer konfrontiert wird. Der Film peitscht einen durch die Schauplätze, die Montage macht Tempo und doch bleibt im Detail alles sehr präzise. Geschickt werden Ruhemomente gesetzt: der Bonner Krisenstab, die GSG 9 in den Startlöchern und immer wieder das stille Leiden des Helmut Schmidt (überragend: Christian Berkel). Die Bilder von Holly Fink wirken fast dokumentarisch, weil er den Nachrichten-Stil der 70er Jahre perfekt mit Handkamera kombiniert. Die fahrig-nervöse Kamera entspricht ganz der Gefühlslage der Nation. Authentisch ist auch die gezeigte Gewalt. „Die Darstellung der Brutalität, mit der die Entführer vorgegangen sind, ist ein notwendiges Mittel, jedoch nicht um des Effekts willen, sondern um die extremen Bedingungen nachvollziehbar zu machen“, sagt Produzent Nico Hofmann.

„Mogadischu“ unterscheidet sich wohltuend von anderen „Event-Movies“. Zwar werden einem Nadja Uhl als tröstender Engel der Lüfte und Thomas Kretschmann als gleichmütiger Flugkapitän in Erinnerung bleiben, doch auch wenn sie den augenblicklichen Hunger nach Helden wunderbar leise bedienen – das Ereignis, dessen Ausgang der vom Terror gebeutelten Nation Auftrieb gab, spielt in diesem Film die Hauptrolle. (Text-Stand: 30.11.2008)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, BR, SWR

Mit Thomas Kretschmann, Nadja Uhl, Christian Berkel, Herbert Knaup, Jürgen Tarrach, Simon Verhoeven

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Michael Köning

Schnitt: Bernd Schlegel

Musik: Martin Todsharow

Produktionsfirma: TeamWorx, EOS Entertainment

Drehbuch: Maurice Philip Rémy

Regie: Roland Suso Richter

EA: 30.11.2008 20:15 Uhr | ARD

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