Mörderisches Tal – Pregau

Brückner, Strauss, Palfrader, Willbrandt. „Twin Peaks“ grüßt nur aus der Ferne

Foto: ORF / Petro Domenigg
Foto Rainer Tittelbach

Vier Tage, vier Filme, sechs Stunden, zwei Sender, 6,3 Millionen Euro Budget – das sind die produktionstechnischen Eckdaten der österreichisch-deutschen Koproduktion „Mörderisches Tal – Pregau“. Ausgangspunkt ist ein Fehltritt, der eine fatale Kettenreaktion auslöst. Hinzu kommt eine reizvolle soziale Gemengelage in einer steirischen Kleinstadt. Im Einzelnen heißt das: Korruption, Prostitution, mafiöse Strukturen, Inzest, der blanke Wahnsinn. Das Ganze gelingt nicht ganz so gut, wie es (aus)gedacht ist. Zu viel Handlung, zu viele Figuren, zu wenig Erzähldichte. Und filmisch fehlt dem Ganzen eine visuelle Vision und vor allem ein magischer Flow, den ein guter Vierteiler braucht. Es sind vor allem Maximilian Brückner und sein kleiner Sünder, die den Mehrteiler (über die Zeit) retten.

Eine falsche Entscheidung, dem weiteres Unheil folgt
Liegt ein Fluch auf diesem steirischen Tal? Hannes Bucher (Maximilian Brückner) führt alles, was hier in den letzten Monaten passiert ist, auf den unseligen Einfluss der Hartmanns zurück, der mächtigen (Unternehmer-)Familie seiner Frau Maria (Ursula Strauss). Seitdem die beiden nach Pregau gekommen sind, scheint ihre Liebe gefährdet zu sein. Leicht hatten sie es noch nie, denn ihre Tochter Sandra (Antonia Jung) leidet an einer seltenen Krankheit – und sie braucht noch immer sehr viel Zuwendung. Der Kleinstadtpolizist wird allenfalls geduldet von Marias Vater, Johann Hartmann (Wolfgang Böck), und dessen Bruder Elias (Karl Fischer), die seit Jahren einen Kleinkrieg führen mit den Hölzls, einer anderen Fabrikantenfamilie. Hannes ist zutiefst unzufrieden, aber nach der Hartmannschen Firmenfeier bricht das Unheil erst so richtig aus: Bei einer nächtlichen Polizeikontrolle erwischt er seine minderjährige Nichte Rosa völlig betrunken am Steuer, neben ihr (ausgerechnet!) Gregor Hölzl, mit dem sie eine heimliche Liebschaft hat – und damit sie heimlich bleibt, verführt sie ihren Onkel und ihr Freund wird Zeuge. Hannes lässt die beiden weiterfahren. Wenig später endet die Spritztour an einer Felsmauer – Rosa ist tot und Hölzl junior liegt im Koma. Nicht nur der ist fortan eine tickende Zeitbombe. Ein weiterer Mitwisser ist Max Dirrmeyer (Armin Rohde), der zunächst kein Kapital zu schlagen versucht aus dem, was er gesehen hat. Der Ex-Knacki will seine Ruhe; er hat genug zu tun damit, sich um seinen geistig behinderten Bruder Tom (Marc Hosemann) zu kümmern. Aber auch Matthias Hecker (Robert Palfrader), ein übereifriger Kollege, könnte Hannes gefährlich werden. Wie auch Sebastian (Thomas Schubert), der Halbbruder von Rosa, der in sie verliebt war und an einem Borderline-Syndrom leidet.

Mörderisches Tal – PregauFoto: ORF / Petro Domenigg
Pregau, ein unheilvolles Tal. Hannes Bucher (Maximilian Brückner), der Polizist, der nur ein einziges Mal im Leben falsch abbiegt… Und es wird viele Tote geben. Das aber ist kein Problem bei diesem `Vierteiler, das Ensemble ist groß – eher zu groß!

Eine Kleinstadt voller Sünder: Wer wird überleben?
Vier Tage, vier Filme, sechs Stunden, zwei Sender, 6,3 Millionen Euro Budget – das sind die produktionstechnischen Eckdaten der österreichisch-deutschen Koproduktion „Mörderisches Tal – Pregau“, das die ARD um die Weihnachtsfeiertage sendet, nachdem der ORF den Vierteiler von Nils Willbrandt (Buch & Regie) unter dem Titel „Pregau – Kein Weg zurück“ bereits im Herbst ausgestrahlt hat. Für ein solches Projekt über vier Abende muss man sich narrativ einiges einfallen lassen. Ausgangspunkt ist ein Fehltritt, der eine fatale Kettenreaktion auslöst. Hinzu kommen eine reizvolle soziale Gemengelage, emotionale Motive, Konflikte auf Leben und Tod, eine überbordende Handlung und bizarre Charaktere. Als da wären im Einzelnen: offene und versteckte Korruption, Sex als Gegenleistung für kleine Gefälligkeiten, eine Prostituierte, die in der Tierkörperverwertungsanlage landet, inzestuöse Leidenschaften, eine Fehde zwischen zwei Familien und eine „Romeo-und-Julia“-verdächtige Liebschaft, die sich zuspitzende Rivalität zwischen den Polizisten, ein Wahnsinniger, der den Ort seiner gerechten Strafe zuführen möchte, und eine Galerie durchgeknallter Typen, bei denen sich wie bei den meisten anderen Pregauern die Frage stellt: Wer wird überleben? Bereits im Intro sagt der Held, was Sache ist: „Es wär’ mit Sicherheit alles anders gekommen, wenn ich diesen einen Fehler nicht gemacht hätt’. Dann wären niemals so viele Menschen gestorben.“

Zu viel Handlung, zu viele Figuren, zu wenig Erzähldichte
Zu Beginn regnet es häufig und viel in diesem Sündenpfuhl, aber nicht eine Sintflut wird von der offenbar seherisch begabten Tochter des Helden prophezeit, sondern ein großes Feuer. Und auch der anfangs freundlich unbedarfte und zunehmend souveräner mit seiner fast aussichtslosen Lage umgehende Polizist träumt sich offenbar ans brennende Kreuz – und es gibt Jesus-ähnliche Bilder von ihm, in denen nur noch die Dornenkrone fehlt. Willbrandt wuchert also auch mit Mythen und Metaphern, mit Sinnlichem und Übersinnlichem. Doch nach jedem Teil wird man zunehmend in dem Gefühl bestärkt: Es ist von allem zu viel – zu viele Sendeminuten, zu viele Charaktere, zu viele Handlungsmomente, die nicht eindeutig zu Erzählsträngen entwickelt werden. Viele Figuren wie die tote Prostituierte und der untergetauchte Club-Geschäftsführer besitzen nur eine einzige narrative Funktion. Oder sie sind ein bloßes Rädchen im dramaturgischen Getriebe wie Franz, der Lustknabe von Elias Hartmann, oder Puff-Handlanger Anton, der dazu da ist, die litauische Venusfalle Dana zu triezen und dem Helden eine Information von existentieller Bedeutung zuzuspielen. Aber auch andere Nebenfiguren haben wenig Substanz: Pfarrer Stöckl bleibt ebenso ein bloßer Spielball der Hartmanns wie der Bürgermeister – und wenn dessen Schicksal nur eine Fußnote ist, was interessiert dann schon, wie seine Frau auf seinen Fehltritt reagiert. Eine Erzähldichte kann so nicht entstehen – und Tiefe oder einen gesellschaftspolitischen Subtext besitzt die Geschichte ohnehin nicht: eine verkommene, verlogene Gemeinschaft, ein bürgerlicher Kleinstadtsumpf, der jeden hineinzieht, der nicht mitspielt – seit „Twin Peaks“ ist das ein gängiger Serien-Topos, zuletzt erprobt als Komödie in „Braunschlag“ und als Mystery-Mär in „Weinberg“.

Mörderisches Tal – PregauFoto: ORF / Petro Domenigg
Max Dirrmeyer (Armin Rohde) hat etwas gesehen in jener schicksalhaften Nacht.

Soundtrack:
Elvis vs. JXL („A Little Less Conversation“), Supremes („You Can’t Hurry Love“), Martha & the Vandellas („Dancing in the Streets“), Christina Aguilera („Beautiful“), Mary Gauthier („Snakebit“), M 185 („Space Bum Rocket Kid“), Bebo Best & Evelins ft. Mr. Lova („Personal Jesus“), Eliza Gilkyson („Bellarosa“), Martin Gallop („Something To Cry About“), Karine Polwart („Dowie Dens of Yarrow“), Gino Parks („Fire“), Patty Griffin („Rain“), Snoopy Dogg ft. Pharrell („Beautiful“)

Es fehlt ein Rhythmus, es fehlt Dynamik, ein magischer Flow
Da die Grundidee nicht übermäßig originell ist, sollte die Machart umso mehr überzeugen. Aber auch die Regie kommt über solides Handwerk nicht hinaus. Zum Besten, was „Pregau“ bietet, gehört das Szenenbild, das die Menschen eindrucksvoll und doch beiläufig charakterisiert, so beispielsweise die Messi-Bruchbude Armin Rohdes verpeilten Außenseiter; auch die Behausung von Marc Hosemanns „Psycho“ atmet einen morbiden, nostalgischen Charme. Augenfutter bietet ebenso die Ausstattung vom Club Eva, und der steirische Wald macht sich gut als „Mörderisches Tal“. Auch die Kamera von Peter Nix hat mitunter einiges zu bieten: Gern einmal folgt sie dem Protagonisten ohne Schnitt durch die Räume. Solche Stärken der Inszenierung bleiben aber punktuelle Ereignisse. Was fehlt, ist ein einheitlicher Erzählstil, wiederkehrende Bilder, durch den ein Rhythmus entsteht, Dynamik zwischen den Szenen, ein magischer Flow. Fast möchte man annehmen, dass es da zwei 45-Minüter, hintereinander ausgestrahlt, beim Zuschauer leichter haben dürften als ein vollgestopfter 90-Minüter, der zwar einen programmatischen Titel hat, dem es aber an einer erkennbaren formalen Strukturierung fehlt. Sogar die Musik (Source), teilweise sehr stimmungsvolle Songs, hemmt den Handlungsfluss eher, als dass sie ihn beschleunigen würde; auch sie bietet dem Zuschauer, der sich in dem narrativen „Chaos“ nach wahrnehmungspsychologischer Orientierung sehnt, keine Leitmotive an. Allenfalls die gewöhnungsbedürftige monotone Volksweise zu Beginn jedes Teils sorgt gemeinsam mit den Bildern von diesem seltsamen Tal für ein Stück Wiedererkennung. Am Ende von Teil 3, „Die Erpressung“, bekommt man einen Eindruck, was möglich gewesen wäre: Zitiert wird der Surf-Pop aus „Pulp Fiction“; mit einem ähnlichen Sound hätte man dem düsteren Berg-Wald-Wiesen-Look musikalisch etwas Rasant-Cooles entgegensetzen können. Dafür hätte man aber ein paar Spannungs-Action-Sequenzen mehr gebraucht. Es bleibt bei einer einzigen Verfolgungsjagd, da ist man dankbar, wenn es wenigstens mal innerhalb einer Szene kracht, wenn ein Schwert geschwungen wird, wenn Fäuste fliegen oder wenn mit letzter Kraft jemand um sein Leben kämpft.

Mörderisches Tal – PregauFoto: ORF / Petro Domenigg
Die beiden kommen ihrem Kollegen nur ganz langsam auf die Spur: Matthias Hecker (Robert Palfrader) und der Deutsche Manuel Brandstetter (Antoine Monot Jr.).

Die ORF-Rezeption
Um ein Millionenpublikum vier Abende lang zu fesseln, könnte das, was „Mörderisches Tal – Pregau“ bietet, zu wenig sein. In Österreich sackte die Einschaltquote nach 843.000 Zuschauern (27% MA) für Teil 1 und 752.000 Zuschauern (25% MA) für Teil 2 beim dritten Teil mit 469.000 Zuschauer (19% MA) mächtig ab, bevor der letzte und spannendste Teil mit 651.000 Zuschauern und 23% Marktanteil wieder zulegen konnte. Sicher nicht ohne Grund hat die ARD den Vierteiler auf 21.45 Uhr terminiert, auf den Sendeplatz, auf dem zwischen den Jahren sonst „Wallander“ oder „Sherlock“ platziert wurden.

Der Regisseur Willbrandt will es dem Autor Willbrandt recht machen
Sich auch hierzulande verstärkt an horizontal erzählten Serien und Mehrteilern zu versuchen, solche Programmanstrengungen sollte man prinzipiell anerkennen; ein Wert an sich stellt diese Art des Erzählens allerdings per se nicht dar. Ähnlich wie Ende 2015 die ZDF-Serie „Blochin“ mit Jürgen Vogel hält auch diese ARD-ORF-Koproduktion den Erwartungen nicht stand. Ähnlich wie bei Matthias Glasners Werk hätte es auch bei „Pregau“ neben mehr redaktioneller Qualitätskontrolle vor allem verschiedener künstlerischer „Blicke“ bedurft, um einen überzeugenderen Mehrteiler zu schaffen. Kam Autor Glasner nicht an den Regisseur Glasner heran, so wollte es der Regisseur Willbrandt dem Autor Willbrandt recht machen und setzte das Drehbuch ohne ästhetische Vision in Szene, Bild für Bild, Satz für Satz. Was hätte wohl ein Andreas Prochaska aus diesem Drehbuch gemacht?! Kräftige Striche wären allerdings nötig und ein Dreiteiler das bessere Format gewesen. Die Dialoge hätten etwas Feinschliff vertragen, die Bilder eine größere Kraft. Und so müssen es am Ende einmal mehr die Schauspieler richten, nicht alle, nur ein paar sind richtig gut, dürfen in Rollen eintauchen, die nicht nur Steigbügelhalter der Dramaturgie sind: Ursula Strauss hat erwartungsgemäß einige starke Momente, aber nicht ihre stärkste Rolle. Robert Palfrader besticht als penetranter Besserwisser in Polizeiuniform. Auch Armin Rohde weiß zu gefallen, weil sein merkwürdiger Einzelgänger im Laufe der ersten drei Teile mehrere Gesichter entwickeln darf, bevor er völlig von der Bildfläche verschwindet. Und dann ist da natürlich noch Maximilian Brückner – das Herzstück von „Mörderisches Tal – Pregau“. Sein Hannes verleiht der Geschichte ihren Pulsschlag, seine Lüge treibt die Handlung voran. Jeder im Dorf hat mehr Schuld auf sich geladen als er – und so folgt man ihm als Zuschauer von der ersten Minute an. Man sympathisiert mit ihm, man leidet mit ihm, man hofft mit ihm. Figur und Schauspieler retten den Film über die Zeit. Trotzdem werden viele Zuschauer nicht bis zum Ende durchhalten.

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Fernsehfilm

ARD Degeto, ORF

Mit Maximilian Brückner, Ursula Strauss, Robert Palfrader, Armin Rohde, Karl Fischer, Wolfram Berger, Marc Hosemann, Patricia Aulitzky, Wolfgang Böck, Antoine Monot Jr., Nikolai Gemel, Frederic Linkemann, Antonia Jung, Thomas Stipsits, Visnja Sretenovic

Kamera: Peter Nix

Szenenbild: Verena Wagner

Kostüm: Caterina Czepek

Schnitt: Mona Bräuer

Musik: Stefan Will, Marco Dreckkötter

Produktionsfirma: Mona Film, Tivoli Film

Drehbuch: Nils Willbrandt

Regie: Nils Willbrandt

Quote: 1. Teil: 2,79 Mio. Zuschauer (9,5% MA); 2. Teil: 2,97 Mio. (10,1% MA); 3. Teil: 3,01 Mio. (10,6% MA); 4. Teil: 2,75 Mio. (10% MA)

EA: 25.12.2016 21:45 Uhr | ARD

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