Jena nach dem Mauerfall: Am Kiosk gibt’s jetzt Cola, Scientology-Mitglieder gehen auf Menschenfang, die jungen Männer machen auf Punker oder tragen plötzlich Glatze. Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe) hängt mit Freundin Sandra (Nina Gummich) ab. Sandra ist die Freche, Vorlaute, die den Mathe-Lehrer im Unterricht als Stasi-Spitzel bezichtigt. Beate ist stiller und wirkt eher schüchtern, lässt im Supermarkt aber gern mal was mitgehen. Zwei Teenager vor einer ungewissen Zukunft. Sandra träumt von England und einer Familie, Beate ist weniger klar, bei ihr löst die Wende keine besonderen Gefühle aus. „Worüber freuen?“, antwortet sie der ungeliebten Mutter, die ihr im Januar 1990 zum 15. Geburtstag gratulieren will. Draußen sucht sie Anschluss und Spaß, gerät mit Sandra erst in die Punker-WG ihres Cousins Stefan (Jonas Friedrich Leonhardi), dann lernt sie im Jugendzentrum Uwe Mundlos (Albrecht Schuch) kennen. Gemeinsam pinselt man Deutschland in den Grenzen von 1937 an die Wand, doch die politische Aussage interessiert Zschäpe zu diesem Zeitpunkt weniger.
Eine wilde, ziellose Zeit. Man grölt, säuft, trifft sich bei Konzerten, wo schon Rechts-Rock gespielt, aber auch zu Rio Reisers „König von Deutschland“ getanzt wird. Drehbuch und Inszenierung öffnen in wenigen Szenen das Panorama der Nachwende-Zeit in den Plattenbau-Siedlungen der Ex-DDR – aus Sicht von Jugendlichen, deren Welt sich radikal ändert, aber bei denen vom Wendeglück nicht viel ankommt. Zschäpe schlittert zufällig hinein in die rechte Szene, aber sie lässt sich leicht anstecken. Zwangsläufig erscheint es nicht, und mit Sandras Figur wird auch klar gestellt, dass sich Zschäpe auch hätte anders entscheiden können. Die Freundinnen gehen getrennte Wege. Später wird Beate Sandra bei einer Prügelei beschützen.
„Heute ist nicht alle Tage“, der Film über die Täter der NSU-Morde bleibt dicht bei den Figuren und hält sich an das, was man aufgrund verschiedener Quellen und eigener Recherche weiß über das Trio Zschäpe, Mundlos und Uwe Böhnhardt (Urzendowsky). Oder zu wissen glaubt, denn die juristische Aufarbeitung läuft ja noch. Welche Details in der Darstellung des Films im Prozess gegen Zschäpe und Ralf Wohlleben relevant sein könnten, darüber klärt eine ausführliche Text-Tafel zu Beginn und Ende des Films auf. Es fehlen auch nicht die Hinweise, dass einige Szenen „frei erfunden“ oder „reine Fiktion“ seien. Die fiktionale Aufarbeitung bleibt eine Gratwanderung, eine Rekonstruktion auf halbem Wege, dennoch ist der in jeder Hinsicht überzeugende „Täter“-Film ein imposantes Gesellschafts- und Generationendrama. Zudem ist gerade dieser erste Teil der NSU-Trilogie von bedrückender Aktualität, bedenkt man die wachsende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Mit schwer erträglicher Wucht schlägt einem hier der geballte Hass gegen „Asylanten“ entgegen, der sich gegenwärtig auch auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken manifestiert. Dieser Hass hat eine Vorgeschichte; der Film macht diese Kontinuität sichtbar.
Dabei besticht die Inszenierung durch eine konsequente Haltung: Auch die Frage, wer Schuld hat an der Radikalisierung Jugendlicher aus der Wende-Generation, wird erzählerisch, nicht thesenartig verhandelt. Es gibt keine Exkurse über die Versäumnisse in der DDR oder über Einzelheiten der Politik Helmut Kohls. Nur einen ironischen Schlenker: Zu Kohls O-Ton von den „blühenden Landschaften“ sieht man Zschäpe, noch in der Punker-WG, Monopoly spielen. Dafür gibt es einen Rüffel von der linken „Herbergsmutter“. Auch bei den Rechten wird später gern Monopoly gespielt – bis Zschäpe daraus ein neues Spiel namens „Pogrom“ entwickelt. Nicht nur das kapitalistische Brettspiel ist Projektionsfläche für den stets präsenten Judenhass. Die Juden sind in der Weltsicht der neuen Rechten nach wie vor an allem schuld.
Christian Schwochow („Der Turm“ / „Bornholmer Straße“), der selbst in der DDR aufwuchs und zur selben Generation wie die NSU-Täter gehört, sagt: „Auch wenn ihre mutmaßlichen Taten so unendlich grausam waren, sind mir die drei von Beginn an auf unheimliche Art und Weise vertraut gewesen. Es wurde ein großes Bedürfnis, nach einer filmischen Erzählform für das Phänomen NSU zu suchen. Ich wollte mich ihnen mit diesem Film wie Klassenkameraden nähern, mit denen man jahrelang zusammen gespielt, gefeiert, gelebt hat – und das ganz unideologisch. Ich wollte ihr Handeln verstehen.“ Die Konsequenz dieser Herangehensweise ist eine beklemmende Nähe zu den Protagonisten, die keine eindimensionalen Charaktere sind, keine Monster, die aber in ihrem auf unerklärte Weise entstandenen Hass auch nur bedingt als Identifikationsfiguren taugen. Und es gibt kaum einen Gegenpol, der dem Publikum die Sache erleichtert. Nur die falsche Idylle im Garten von Zschäpes „Omi“.
Keine Belehrung also, dafür genaues Hinsehen und quälendes Nachempfinden. Da ist zum einen die Musik. Die vorzügliche Kamera (Frank Lamm) hebt jede Distanz auf in den Konzert-Szenen. Wir Zuschauer werden Teil der grölenden, hüpfenden Masse, die vor der Bühne diese unsäglichen, hasstriefenden Lieder mitsingt und die Arme zum Hitler-Gruß hebt. Zwiespältige Bilder sind das, weil das gewiss auch Neonazis mitreißend finden werden. Aber zum „Verstehen“ gehört, dass der Rechtsrock eine wichtige Rolle spielt bei der Mobilisierung Jugendlicher. Die Intensität der Inszenierung lässt die Verführungskraft spüren, die in diesem musikalischen Gemeinschaftserlebnis steckt. Da sind zum anderen die Eltern. Mundlos und Böhnhardt stammen – im Gegensatz zu Zschäpe – aus vermeintlich intakten Familien. Die Eltern schauen weg, verstummen hilflos oder suchen, wie Böhnhardts Mutter (Claudia Geisler-Bading), das eigene Kind zu schützen. Nur Mundlos‘ Vater, ein Professor, stellt seinen Sohn spöttisch als „Kamerad Schnürschuh“ zur Rede, wird aber niedergeschrien.
Der Film, erste Episode des Dreiteilers, liefert nicht die eine Erklärung für die Radikalisierung, sondern erzählt genau und nachvollziehbar, wie das Trio zusammen findet, wie es zu einer verschworenen Einheit wird und sich gegenseitig beeinflusst. Beate Zschäpe genießt es, von beiden begehrt zu werden, ist erst mit Mundlos zusammen, fühlt sich aber auch von der Gewaltbereitschaft Böhnhardts angezogen. Wenn diese Beiden durch die Straßen ziehen, ist das eine besonders explosive Mischung: Erschreckend, wie sie völlig willkürlich Passanten terrorisieren. Mundlos ist der intelligentere, weniger impulsiv handelnde Typ. Er sieht die Vorbereitungen auf den Tag X, an dem Deutschland endlich erwachen soll, durch unbedachte Aktionen gefährdet. Nach den wilden Anfangsjahren wachsen langsam Strukturen in der rechten Szene heran. Und der Verfassungsschutz, immer auf der Suche nach V-Leuten, mischt mit – ein Thema, das schließlich im dritten Teil im Mittelpunkt stehen wird.
Man könnte fürchten, dass es Schwochow mit dem Verstehenwollen zu weit treibt. Aber es bleibt nicht bei Nazi-Pogo und dumpfen Hass-Parolen. Der Film spart die stets präsente Gewaltbereitschaft, das Pöbeln und Prügeln nicht aus, bis an die Grenze des Erträglichen. Und dann ist da noch der Ausflug zur Gedenkstätte Buchenwald: Die Neonazis formieren sich unter dem KZ-Eingangstor („Jedem das Seine“) zum Gruppenfoto mit Hitlergruß und spielen an der Genickschussanlage gut gelaunt das Morden nach. „Buchenwald, das wär schon was“, sagt Beate Zschäpe, als sie mit Mundlos diskutiert, wo die Bombe platziert werden soll. Von der Mitläuferin aus erotischem Antrieb ist sie zur Überzeugungstäterin geworden. „Wir tun das Richtige, und wir tun es jetzt“, sagt sie entschlossen zu Böhnhardts Mutter vor dem Untertauchen. Anna Maria Mühe, hier mal mit dunkler Perücke, ragt aus dem überzeugenden Ensemble noch ein Stück heraus, weil sie der boulevardesken Stilisierung Zschäpes zum Ungeheuer oder zur Nazi-Sexbombe eine eher ruhige, zurückhaltende Interpretation gegenüberstellt, die nicht alles vordergründig ausspielen will.
Und das Gesamtkonzept? Wendrich und Schwochow erzählen in Teil 1 chronologisch vom Zeitpunkt kurz nach dem Mauerfall 1989 bis zum ersten Mord an dem Blumenhändler Enver Şimşek im September 2000. Das macht schon deshalb Sinn, weil über die Zeit im Untergrund weit weniger Fakten bekannt sind. Der erste Mord wird etwas sensibler inszeniert als in Teil 2, der zeitlich direkt anschließt, aber eine völlig andere – unerlässliche – Perspektive bietet: die der Opfer und ihrer Angehörigen. Zwischen dem ersten und dem dritten Teil, der von den Ermittlungen in Thüringen seit den 1990er Jahren bis zum Tod Mundlos‘ und Böhnhardts und der Aufgabe Zschäpes im November 2011 handelt, gibt es mehr Überschneidungen. So ist zum Beispiel die Szene, in der die Polizei die angemietete Garage des Trios durchsucht und Uwe Böhnhardt entkommen lässt, in beiden Filmen zu sehen – mit denselben Schauspielern.
Die drei Filme beziehen sich aufeinander, sind im Einzelnen betrachtet verständlich, bieten aber erst als Gesamtwerk den ganzen, differenzierten Blick auf den NSU-Komplex. Die Produktion lag in einer Hand, bei Gabriela Sperl. Bei der Recherche für alle Filme war vor allem Stefan Aust hilfreich, der hier als „Berater“ aufgeführt wird. Federführend waren jeweils jedoch unterschiedliche Sender (SWR, WDR, BR) mit unterschiedlich besetzten Kreativteams. Insbesondere zwischen den drei Regisseuren, heißt es, habe reger Austausch bestanden. So entstanden Einzelstücke mit unterschiedlichen Handschriften und doch ein Mehrteiler aus einem Guss: außerordentliches Gegenwarts-TV. Das ist mal ein überzeugendes Konzept, mit dem die ARD künstlerisch und inhaltlich Maßstäbe setzt und die oft als hinderlich beklagte, föderale Vielstimmigkeit als Stärke ausspielt. (Text-Stand: 16.3.2016)