Nach einem Banküberfall in Eisenach überprüfen zwei Streifenpolizisten ein verdächtiges Wohnmobil. Ein Zeuge hatte beobachtet, wie die Räuber mitsamt ihren Fahrrädern in einem solchen Fahrzeug verschwanden. Die Polizisten werden beschossen.Dann hört man zwei weitere Schüsse und das Geräusch fallender Körper. Schließlich geht das Wohnmobil in Flammen auf. Mit den Ereignissen am 4. November 2011 in Eisenach beginnt der letzte Film des ARD-Dreiteilers „Mitten in Deutschland“ über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Im Wohnmobil fand man die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ein ganzes Arsenal an Waffen & reichlich Bargeld. „Nur für den Dienstgebrauch“ kommt schnell zur Sache: Auf Geheiß eines Verfassungsschutzbeamten wird das Wohnmobil abtransportiert, ehe alle Spuren an Ort und Stelle gesichert wurden. Polizei und Feuerwehr sind irritiert.
Foto: BR / Stefan Erhard
Der realistische Stil wird zu Beginn nur durch eine Szene in der Wartburg gebrochen, in der die Legende von Martin Luthers Tintenfass-Wurf nach dem Teufel zitiert wird. Bot sich wohl irgendwie an, weil die Wartburg hoch über Eisenach thront. Und weil das Autoren-Trio Rolf Basedow („Im Angesicht des Verbrechens“), Christoph Busche („Die Tote aus der Schlucht“) und Jan Braren („Homevideo“) in diesem Verschwörungs-Thriller ebenfalls von einem, wenn man so will, teuflischen Spiel erzählt. Später folgt noch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, dessen düstere Metaphorik vielleicht ein bisschen zu vordergründig zum Thema und den Figuren passt. Aber der lyrische Ton ist eine überraschende Abwechslung.
„Seltsam, im Nebel zu wandern“? Tatsächlich: Zahlreiche Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern haben die Arbeit der Behörden in den vergangenen Jahren unter die Lupe genommen oder tun es noch. Medien haben recherchiert, und es gibt einen wachsenden Berg an Literatur, auf den die Autoren des ARD-Dreiteilers zurückgreifen konnten, darunter das Buch „Heimatschutz“ von Stefan Aust und Dirk Laabs, die bei dem gesamten Projekt auch als Berater fungierten. Noch sind längst nicht alle Fragen geklärt, und das Ende des NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe und vier andere Angeklagte ist ja auch noch nicht absehbar. Aber viele Details der Ermittlungsarbeit sind mittlerweile gut dokumentiert. Die Ressentiments gegenüber den Angehörigen der Opfer waren ausführlich Thema im zweiten Film, nun wechseln Schauplatz und Fokus. „Nur für den Dienstgebrauch“ folgt der Perspektive des Thüringer LKA-Zivilfahnders Paul Winter (Florian Lukas), der sich im jahrelangen Clinch mit dem Landesamt für Verfassungsschutz befindet. Das hatte die nach der Wende erstarkende rechte Szene mit V-Leuten infiltriert und deren Umtriebe auf diese Weise auch unterstützt. So finanzierte der Staat letztlich rechtsextreme Aktivitäten mit – nach der „Honigtopf“-Strategie: Um zu sehen, wer sich davon anlocken lässt.
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„Manchmal muss man den Boden der Demokratie verlassen, um sie zu beschützen“, sagt im Film Winters Gegenspieler, der aus dem Westen stammende Agent Alexander Melchior, den Florian Stetter ausgesprochen geschmeidig spielt. Pointiert wird herausgearbeitet, dass es die Wessis sind, die ein etwas zweifelhaftes Demokratieverständnis haben. Nach der Wende machen Melchior und andere im Osten Karriere und treffen auf DDR-„Altlasten“ wie Winters Chef Walter Ahler (Sylvester Groth). Unbeirrt hatten Ahler und Winter nach dem NSU-Trio gesucht, Widerständen im eigenen Haus getrotzt, sich mit dem Verfassungsschutz angelegt, aber die drei niemals zu fassen bekommen. Es ist auch eine persönliche Niederlage, denn: „Wir sind Zielfahnder. Wir kriegen sie alle“, sagt Ahler.
Mit dem internen Ost-West-Konflikt setzt sich der bis in die Nebenrollen stark besetzte Film von dem üblichen Kompetenzgerangel in Krimis ab. Zudem vermeidet er, wie bereits der zweite Teil, ein simples Schwarz-Weiß-Bild, in dem jeder Polizist ein verkappter Helfer der Neonazis wäre. Die Verweise auf die Realität sind erschreckend genug und bisweilen skurril: Neben den fiktiven Figuren taucht der im Jahr 2000 suspendierte Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, der bis heute mit rechtslastigen Äußerungen in der Öffentlichkeit auffällt, unter seinem Klarnamen auf, gespielt von Ulrich Noethen. Es erscheint unwirklich, aber auch Roewers bizarrer Auftritt mit Pickelhaube und Generals-Kostüm ist überliefert, wenn auch nicht bei einem Karnevalsfest in der eigenen Behörde. Regisseur Florian Cossen („Das Lied in mir“ / „Coconut Hero“) inszeniert dieses Fest in rotstichigen Farben wie einen schwülstig-dekadenten Maskenball. Winter gerät da zufällig hinein und wird von einem als Liebesgott Amor verkleideten Anonymus (Christian Berkel) raunend aufgefordert, „wachsam“ zu sein: „Die spielen Katz und Maus mit Ihnen.“ Dazwischen geschnitten werden harte Szenen rechtsextremer Gewalt. Ein dunkelhäutiger Gast wird brutal aus einer Bar geprügelt. Zu den Schlägern gehört Jonas Breiling (Martin Baden), ein Neonazi, der angeblich aussteigen will und Kontakt sowohl zum Verfassungsschutz als auch zu Paul Winter hat. Die Passage wirkt wie ein Kommentar zur fragwürdigen V-Leute-Strategie.
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Die Geschichte wird auf wechselnden Zeitebenen erzählt, was leider auch ein bisschen verwirrend ist. Nach dem Fund der Leichen von Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 bleibt die Frage: Wo ist Beate Zschäpe? Zivilfahnder Paul Winter ermittelt gemeinsam mit der jungen Kommissars-Anwärterin Charlotte Ahler (Liv Lisa Fries), der Tochter seines ehemaligen Chefs. Er berichtet Charlotte von der Vorgeschichte und der langjährigen, vergeblichen Suche nach dem 1998 untergetauchten Trio: Von einem Gespräch mit Böhnhardts Eltern, von den Treffen mit Breiling, von nächtlicher und manchmal gewaltsam endender Observation, von einem mit den Neonazis sympathisierenden Maulwurf beim LKA und immer wieder von den Versuchen des Verfassungsschutzes, die eigene Verstrickung zu vertuschen und die Ermittlungen der Zivilfahnder zu behindern. Typische, symbolhafte Szene: Es wird fleißig geschreddert. Winter und Ahler sind tragische Sisyphos-Figuren, die Fahnder sind dem Trio zeitweise ganz nahe, und dann rollt ihnen der Brocken doch wieder davon.
Zwischen den ausführlichen Rückblenden springt die Inszenierung immer mal wieder in die Gegenwart des Jahres 2011. Weniger weil in den vier Tagen, bis sich Beate Zschäpe der Polizei stellt, allerhand passiert, sondern weil der Film das Loyalitäts-Drama zwischen Winter und Ahler über Bande spielt. „Kümmer dich um Charlottchen“, hatte Walter Ahler bei seiner letzten Begegnung zu Winter gesagt. Ahler hatte Krebs, war zuvor von seiner Frau verlassen und bei der Polizei kalt gestellt worden. Winter wurde sein Nachfolger. Nun arbeiten er und Charlotte in kurzen Dialogen die Vergangenheit auf, doch die junge Polizistin kommt als eigenständige Figur kaum zur Geltung. Die Nebenhandlung wirkt etwas halbherzig. Die Intensität der ersten beiden Teile erreicht „Nicht für den Dienstgebrauch“ nicht ganz.
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Dennoch, der Film weist auf spannende Weise auf das Versagen der Behörden, auf Zweifel und offene, drängende Fragen hin: Wie groß war die Zahl der Helfer des NSU-Trios? War es wirklich ein Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt? Und: Ging bei der auffällig hohen Zahl an Todesfällen unter den Zeugen alles mit rechten Dingen zu? Das Finale von Teil 3 legt nahe, dass der eine oder andere aus dem Weg geräumt worden sein könnte – das ist spekulativ, erscheint aber nach den bekannt gewordenen Ungeheuerlichkeiten nicht ausgeschlossen. „Mir scheint, es steht zur Zeit auf der Kippe, ob die Ermittlungen sowohl zu den Morden als auch zu der Verstrickung des Staates in diesem Fall jemals die vollständige Wahrheit ans Licht bringen werden. Und wenn ein Film bestenfalls bohrende Fragen stellen kann, dann ist es genau der richtige Moment, um sich des Themas filmisch anzunehmen“, sagt Cossen.
„Mitten in Deutschland“ – ein Fazit: Dem Dreiteiler gelingt es dank seiner dramatischen Verdichtung und der multiperspektivischen Konzeption, einem breiten Publikum das (Un-)Wesen des Rechtsterrorismus und dessen Folgen vor Augen zu führen – in den Details mag er künftig ergänzt oder korrigiert werden müssen, als Panorama der deutschen Nachwende-Gesellschaft ist er zeitlos.