Was ist das für ein Gefühl, erwachsen zu sein?! Diese Frage stellen sich Drehbuchautor Daniel Nocke und Regisseur Stefan Krohmer in „Mitte 30“, ihrem achten gemeinsamen Langfilm. Mit Mitte dreißig wird die erste Zwischenbilanz gezogen. Man fragt sich, ob man den richtigen Weg im Leben eingeschlagen und die eigenen Potenziale optimal genutzt hat. Man misst das momentane Glück an dem, was man einst für das Glück hielt. „Als Kind hatte man eine Vorstellung von dem, was es bedeuten muss, erwachsen zu sein“, umschreibt Stefan Krohmer die Ausgangsidee des Films. „Heute, mit Mitte dreißig, erinnert man sich an die Vorstellung, die man damals hatte, stellt aber fest, dass sich das ganz anders darstellt.“
Architekt Gerrit, Hauptfigur der BR-Produktion, möchte verhindern, dass seine Zwischenbilanz zum Offenbarungseid wird. Also zieht er die Notbremse, hängt die Architektur an den Nagel und steigt aus der seit Jahren erfolglosen Zweimannfirma aus. Mit 36 Jahren will Gerrit einen Neuanfang wagen. Er beginnt noch einmal zu studieren. Erschwert wird sein neues Lebensmodell durch den Unfalltod seines Freundes und Kompagnons und durch die Nöte der jungen Witwe, die weder etwas weiß von den roten Zahlen der Firma noch von den Seitensprüngen ihres verstorbenen Mannes. Hinzu kommt, dass sich Gerrit stärker zu jener Sandra hingezogen fühlt, als es seiner Ehefrau Claudia recht sein kann.
Foto: BR / Jochen Roeder
„Wir haben uns von realen Geschichten aus unserem Umfeld inspirieren lassen“, sagt Krohmer. Und Autor Nocke hat mal wieder ganz genau hingeschaut und hingehört. Die Figuren kennt man oder man könnte sie kennen – aus dem Leben, nicht aus Filmen. Das sind urbane, intellektuelle Mittdreißiger von nebenan, Menschen aus Fleisch und Blut. Anneke Kim Sarnau ist Claudia, die zwischen coolen Sprüchen und Wutausbrüchen größtmögliche Klarheit sucht. Silke Bodenbender besticht als ebenso verführerische wie patente Witwe, die sich nur kurz von den Lebenslügen ihres Mannes beeindrucken lässt. Sandra ist der Typ Frau, für die Männer lügen. Auch Gerrit. „Spät stellt er fest, dass er all die Regeln, auf die er den toten Freund immer hinge-wiesen hat, jetzt selbst verletzt“, merkt Krohmer an. Sein Darsteller Mark Waschke ist für das Fernsehen eine Entdeckung. Für Furore sorgte er bislang nur an der Berliner Schaubühne. In Heinrich Breloers „Die Buddenbrooks“ wird er in einer Hauptrolle zu sehen sein. Der 35-Jährige gibt den verständnisvollen, schüchternen Freund, der Kloß im Hals sein ständiger Begleiter, der offenbar auch mal zwischenmenschlich Mist bauen muss, der sich nicht immer nur hinten anstellen, sondern einmal zupacken möchte.
Trotz klarer Exposition ist und bleibt Stefan Krohmer kein Freund der klassischen Dramaturgie. „Ich fand es reizvoll, den Zuschauer dazu einzuladen, mit einer Figur mitzugehen und dann aber diese Figur Dinge tun zu lassen, sie sich gar nicht mehr so eignen, eine Identifikationsperson zu sein.“ Es müssen im Fernsehfilm nicht immer große Emotionen und schnittige Aktionen bemüht werden. Beziehungen brauchen kein Genre, Schauspieler keine Übertreibung. Die kleinen Gesten und alltäglichen Bilder sind oft viel aufregender, wahrhaftiger sind sie ohnehin. Übrigens: So wie es nicht Krohmers Ziel war, eine Generation genau zu treffen, so muss man auch nicht Mitte dreißig sein, um „Mitte 30“ zu mögen.