Der Himmel, das Wasser, die Landschaft: Keine Frage, es ist Sonntagabend im ZDF. Das „Hey“ zur Begrüßung klingt zwar nach „Inga Lindström“, aber die mögliche neue „Herzkino“-Reihe „Mit Herz und Holly“ spielt weder an der schwedischen Ostseeküste noch im englischen Cornwall, wo die Pilcher-Filme entstehen, sondern in der Altmark (Sachsen-Anhalt); da ist es auch sehr schön. Dass eine junge Ärztin ihren Job als Anästhesistin in Berlin aufgibt, um sich in der Elbstadt Tangermünde niederzulassen, hat jedoch andere Gründe als die typischen Backsteinbauten, von denen die Kamera gar nicht genug bekommen kann. Holly Sass (Karoline Teska) will eigentlich nur ein paar Tage bleiben, um nach dem Tod ihrer Adoptivmutter Klarheit über ihre Herkunft zu bekommen: Sie ist als Baby eingewickelt in eine Trainingsjacke des örtlichen Ruderclubs vor der Tür einer Arztpraxis abgelegt worden. Der Arzt von einst ist längst pensioniert, und seine Nachfolgerin ist ebenfalls auf dem Absprung: Katrin Herz (Inka Friedrich) möchte mit dem Gatten Urlaub in Norwegen machen und sucht für acht Wochen eine Vertretung, weshalb die junge Kollegin gerade recht kommt, selbst wenn ihr in dieser Hinsicht jegliche Erfahrung fehlt. Als Städterin fremdelt Holly ohnehin mit der ländlichen Umgebung, zumal sie nicht nur Haus-, sondern auch Landärztin wäre, aber sie hofft, in der Patientenkartei Hinweise auf ihre Mutter zu finden.
Das Potenzial dieses Arrangements ist offenkundig. Die zwei Hauptfiguren stellen eine reizvolle Kombination dar, da der Kontrast nicht nur aus dem unterschiedlichen Alter, sondern vor allem aus den gegensätzlichen Naturellen resultiert: Katrin ist Ärztin aus Berufung, versteht ihre Arbeit auch als Seelsorge und kennt zum Bedauern ihres Mannes (Joachim Raaf) keinen Feierabend. Holly tut sich mit Nähe schwerer, bevorzugt einen sachlicheren Umgang und vertraut auf die Wissenschaft. Das Drehbuch (Birgit Maiwald, Antje Huhs) spielt die beiden Frauen jedoch erfreulicherweise nicht gegeneinander aus: Als Holly soeben noch verhindern kann, dass ein Behandlungsfehler der Kollegin tödliche Folgen hat, verzichtet sie gegenüber dem voreingenommenen Notarzt („Vorsicht vor Hausärzten“) auf eine entsprechende Schuldzuweisung. Natürlich nutzen Buch und Regie auch das Stadt/Land-Gefälle: Holly, Radfahrerin ohne Führerschein, landet mit ihrem Herrenrennrad schon mal vor einem unüberbrückbaren Hindernis und stellt fest, dass man in der Provinz ohne Bargeld aufgeschmissen ist. Was in der Gegend kreucht und fleucht, ist ihr ohnehin nicht geheuer; um die Geräusche der nächtlichen Tierwelt zu übertönen, stellt sie den Fernseher im gemieteten Domizil auf einen senderlosen Rauschkanal. Selbstredend gibt es auch die fürs „Herzkino“ obligate Romanze. Die Liebelei erhält allerdings einen Dämpfer, als sich herausstellt, dass Bootsbauer Gregor (Max Woelky) längst nicht so single ist, wie Holly zunächst glaubt.
Anders als in den meisten anderen „Medicals“ geht es im ersten Film („Diagnose Neustart“) nicht um ein medizinisches Rätsel. Trotzdem stehen zwei Fälle im Mittelpunkt: Anne Cielinski (Birge Schade) bekämpft ihre Arthrose mit immer schwereren Schmerzmitteln, die ihr Holly aus Gründen der Suchtgefahr jedoch nicht verschreiben will. Das Interesse der Ärztin an der früheren Ruderin hat andere Gründe: Die kinderlose Anne war vor 32 Jahren schwanger. Allerdings ist das Verhältnis der beiden Frauen nach dem schlechten Start von herzlicher Abneigung geprägt. Der zweite Strang lebt von der beeindruckenden Ausstrahlung, mit der die junge Polina Schmal ihre Rolle versieht: Die Mutter der sechzehnjährigen Emma liegt seit zwei Jahren im Wachkoma. Das hochbegabte Mädchen interpretiert jedes Muskelzucken als Vorbote eines baldigen Erwachens; selbst Hollys nüchterne Einschätzung kann ihre Hoffnung nicht dämpfen.
Teil zwei („Muttergefühle“) erinnert dramaturgisch stark an die ARD-Freitagsreihe „Praxis mit Meerblick“, zumal Klinikdoktor Gabriel Linné (Elvis Clausen), in „Diagnose Neustart“ als Notarzt bloß kurz zu sehen, nun zum Mit- und Gegenspieler wird: Eine junge Frau (Ina Hout) leidet unter Wahrnehmungsstörungen, aber der Kollege hält Hollys Befürchtungen einer Entzündung im Gehirn für übertrieben. Die Fortsetzung der Muttersuche beschert der Handlung zudem ein bisschen Krimispannung. Auch die Inszenierung ist nicht mehr so schematisch wie im ersten Film. Regie führte beide Male Wolfgang Eißler, der 2011 für das herausragend gute ARD-Märchen „Die kluge Bauerntochter“ den Robert-Geisendörfer-Preis bekommen hat, aber schon seine Inszenierung des Auftakts zur ARD-Freitagsreihe „Schule am Meer“ („Frischer Wind“, 2022) entsprach allzu sehr der üblichen Optik solcher Produktionen. Typisch fürs „Herzkino“ sind unter anderem die vielen Kameraflüge, die die Protagonistinnen in malerischen Landschaften zeigen; hier mit dem Unterschied, dass die Heldin nicht im Cabrio, sondern mit dem Fahrrad in den Elbauen unterwegs ist. Das Duo Friedrich/Teska funktioniert allerdings sehr gut, zumal sich zwischen Katrin und Holly eine herzliche Zuneigung entwickelt. Die Nebenfiguren sind ebenfalls ansprechend besetzt, in „Muttergefühle“ allen voran mit Ercan Durmaz als liebevoller Adoptivvater. Dass die beiden Ärztinnen eine männliche Praxishilfe (Christian Gerling) haben, ist mal was Anderes; der junge Mann legt im zweiten Teil, der zudem deutlich witziger ist, einen geradezu kriminalistischen Eifer an den Tag. Ob tatsächlich eine Reihe aus „Mit Herz und Holly“ wird, hängt vom Zuspruch des Publikums ab. (Text-Stand: 25.10.2023)