Ein Mann erleidet einen Schlaganfall. Die Folge: völlige Amnesie. Seine Frau hilft ihm dabei, sein Gedächtnis wieder zu finden. Doch der Mann erinnert sich nicht. Und schlimmer noch: Immer wenn er soweit ist, dass er seine Rollen im Leben akzeptiert und versteht, kommt das erneute Vergessen. Das Vergessen steht bald auch als Metapher über dem Leben der letzten 30 Jahre des erfolgreichen Bauunternehmers. Wenn sich der neue Neumann so sein altes Dasein anschaut, kommt ihm das nicht unbedingt erstrebenswert vor. Er spürt das, was seine Frau schon lange betrauert: das Vergessen der Ideale.
Eine großartige Geschichte, die sich da Christian Jeltsch, einer der besten deutschen Drehbuchköpfe, für den Fernsehfilm „Mit einem Schlag“ ausgedacht hat. Eine Geschichte, die angesiedelt ist im Spannungsfeld zwischen Tragik und Komik. Jeltsch, einer, der vornehmlich von den realen Situationen, der Psychologie der Figuren und weniger vom Genre her seine Geschichten erdenkt, kann schwer zwischen den beiden Stimmungslagen trennen. „Im Leben treten sie ja auch oft in ein und derselben Situation auf“, so Jeltsch. „Für mich beginnt die Komödie immer dort, wo Menschen in der Tragödie Dinge tun, bei denen sie nicht beobachtet werden wollen, und die, wenn man sie betrachtet, komisch sind.“
Das Vergessen bietet reichlich Potenzial zum Lachen. „Wenn man sich die Realität anschaut, sieht man, dass sie in vielen tragischen Momenten wahnsinnig komisch ist“, so Jeltsch. Selbst bei der Recherche zu seinem Sterbehilfe-in-Heimen-„Tatort“ konnte er diese Erfahrung machen. Und so baute er auch allerhand Komisch-Absurdes in das Drehbuch von „Mit einem Schlag“ ein. Eigentlich wollte die von Gisela Schneeberger grandios gespielte Ehefrau den werten Gatten (Peter Simonischek mit der ganzen Erfahrung eines Burg-Schauspielers) am Abend seines Schlaganfalls verlassen. Jetzt kann sie es nicht. Weniger aus Anstand. Im Gegenteil: sie möchte ihm triumphierend unterbreiten, dass sie ihn verlassen wird. Es einem Schlaganfallpatienten, der sich an nichts erinnern kann, ins bemitleidenswerte Gesicht zu schleudern, ist nicht das, was sie sich vorgestellt hat. Also muss sie warten. Das ist äußerst komisch, geht aber nicht auf Kosten der Glaubwürdigkeit. „Ich würde nicht der Komik willen eine komische Szene ins Buch schreiben, die dramaturgisch passt, aber der Situation und dem Thema nicht gerecht wird“, sagt Jeltsch.
„Beobachten, wie Menschen sich verhalten“, das ist für den in Köln geborenen Münchner der Ausgangspunkt für wahrhaftiges Schreiben. Und über allem schwebt „der Wunsch, den Dingen gerecht zu werden“. Dazu gehören auch die Figuren. Jeltsch gibt ihnen ein starkes Eigenleben. „Man muss in seine Figuren, egal ob gut oder böse, reinkriechen, um zu wissen, wie sie denken, wie sie fühlen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten werden.“
Christian Jeltsch hat alle erdenklichen Fernsehpreise für seine Drehbücher („Kommissarin Lucas“, „Einer geht noch“, zahlreiche „Tatorte“) bekommen. Kluge Genre-Brechungen sind sein Markenzeichen. Vor über zehn Jahren ersann er den einarmigen Kommissar Tauber, den Edgar Selge zum Parade-Exzentriker des deutschen Fernsehens machte. Tauber gibt demnächst seine Dienstmarke ab. Sein Nachfolger wird für einen Fall der verstorbene Jörg Hube. An seiner Seite ermittelt Stefanie Stappenbeck. Auch diesen „Polizeiruf 110“ hat Christian Jeltsch geschrieben. „Eine neue Reihe auf die Schiene setzen, das ist noch mal eine Spur spannender“, findet er. Aber am meisten Spaß bereiten ihm die Drehbücher mit komödiantischem Schlag. „Komödien sind schwerer zu schreiben, aber wenn sie gelingen, machen sie glücklicher.“ (Text-Stand: 17.9.2008)