Die Zeiten des Miteinanderredens sind vorbei. Jetzt wird gebrüllt. Anne (Annette Frier) und Erik Merz (Christoph Maria Herbst) sind austherapiert; ihre Ehe ist am Ende. Die beiden befinden sich im Trennungsjahr. Leon (Philip Noah Schwarz) tangiert die Scheidung seiner Eltern deutlich weniger als deren Dauerkrise in den letzten Jahren, hat Opa Ludwig (Michael Wittenborn) doch dem Ganzen eine angenehme Wende gegeben: Das Merz-Haus, ein Geschenk des Ex-Firmenbesitzers an Tochter und Schwiegersohn, hat er nun dem 17-jährigen Enkel überschrieben. Soraya (Süheyla Ünlü), seine ein paar Jährchen ältere Freundin, freut sich auch schon auf das neue Zuhause für sich – und ihr Baby. Ludwigs Demenz nutzt nichts. Es bleibt dabei. Sinnlos auch das Schönwettermachen der konkurrierenden Eltern: Denn Leon hat nur noch seine neue Familie im Kopf. Bei seinem Gönner indes, wie dieser selbst sagt, ist im Kopf nur Matsche. Seine Frau Maria (Claudia Rieschel) ist die Leidtragende. Nicht erkannt zu werden ist schlimm, „Du blöde Kotzkuh“ ist schlimmer. Nur gut, dass Eriks Eltern (Bernd Stegemann, Carmen-Maja Antoni), für die feine Dame lange der Inbegriff für „schlimme Leute“, öfter mal vorbeischauen. Anne und Erik sind dagegen voll und ganz mit Zugewinn-Ausgleich und kleinen Racheakten beschäftigt – bis sie Ludwigs Verfall nicht mehr schönreden können. Aber auch beruflich läuft es bei den beiden nicht rund. Ein schreiendes Baby bei einem wichtigen Meeting: „Bald ist Abendfeier“, droht Eriks finnischer Boss.
Scheidung hin oder her – die ZDF-Serie „Merz gegen Merz“ wird in Runde drei noch deutlicher als in der zweiten Staffel zur Familiensache. Die Konflikte von Anne und Erik, die es zuletzt noch einmal miteinander versuchen wollten, bleiben untrennbar mit den Problemen der anderen Paare verbunden. Und es ist noch ein weiteres Paar hinzugekommen: War der Sohnemann bisher ein Solo-Faktor im gestörten Kommunikationssystem, emanzipiert er sich zu einer eigenen Kraft. Mit seiner Soraya will er’s seinen Eltern zeigen: zeigen, dass er Verantwortung übernehmen kann und dass er und die Frau seines Herzens es anders machen werden als sie: besser! Statt immer nur Stress wollen die beiden wahre Liebe leben. Was ein Scheidungspaar mit solcher postpubertären Romantik anzufangen weiß, haben die zwei eine Folge zuvor in der Eröffnungsszene der neuen Staffel – aufs Köstlichste – deutlich gemacht: Beide laden ihren Frust ab auf einem frisch verheirateten Paar („super, Schatz“). „Am Anfang denkt man noch ‘Yeah, Hauptgewinn!‘ und Jahre später dann: ‚Rubbellos‘“, so bringt es Erik in Christoph-Maria-Herbst-Manier ätzend auf den Punkt. Während Annette Frier ihrer Anne bittere Ironie mitgibt: „Im Moment interessiert er sich mehr fürs Schlafzimmer als für die Küche. Das ist dann irgendwann umgekehrt. Und irgendwann interessieren Sie sich mehr dafür, ob sie aus dem Schlafzimmer ein Zimmer für sich machen können und aus dem Keller eins für ihn, aus dem er dann besser nicht mehr herauskommt.“ Die Zeit der Aussprachen und Therapien ist vorbei, jetzt kotzt man sich vor Dritten aus, anstatt sich Lösungen zu erhoffen.
Figurentechnisch gibt es also einen Zugewinn und mit Baby Aaron properen Nachwuchs. Zum Dauerstress kommt also noch Babygeschrei hinzu. Die Dramaturgie der Interaktionen, das Mit- und Gegeneinander, funktioniert in den neuen Folgen häufig recht ähnlich: Da schon der beschriebene mit viel bösem Geschrei („Der Dummdödel sagt doof“) unterlegte Einstieg kaum zu toppen ist, müssen die Trennungsgefechte immer wieder entschärft werden. Das sollte – aus Annes Perspektive betrachtet – mit einem dementen Vater, dessen völlig überforderter Ehefrau, zwei Schwiegereltern, bei denen man auf die Weisheit und Lebensklugheit des Alters vergeblich wartet, und mit einem Krankenschwestern-Schüler-Liebespaar mit Baby hinzukriegen sein. Und dann bekommt auch noch die Stimme von Sorayas Mutter aus der ersten Folge in Folge sechs ein Gesicht. Das Chaos der Restfamilie sorgt nicht nur dafür, dass sich Erik und Anne kurzzeitig am Riemen reißen, sondern lässt die beiden gelegentlich sogar mal wieder sentimental werden und in Erinnerungen schwelgen. Wenn die Anderen die Hölle sind, dann werden die beiden Rivalen um einen möglichen Zugewinnausgleich plötzlich wieder zu Verbündeten in einer Welt von lauter Verrückten. Diese Stimmungswechsel ergeben sich fließend, auch schon mal innerhalb einer Szene, für Vollblutkomödianten wie Herbst und Frier ein gefundenes Fressen. Aber auch Michael Wittenborn ist zum Niederknien, gerade auch, weil mit dem Fortschreiten der Krankheit die tragischen Momente zunehmen. Oft beginnt eine Szene mit Ludwig noch recht launig, doch dann schlägt das Kauzige der Figur um in vehemente Bösartigkeit oder in tiefe Trauer über die eigene Hinfälligkeit. Und alle drei sind im ironischen Beiseitesprechen, dieser Comedy-Kunst der Beiläufigkeit, echte Könner.
Soundtrack:
(1): Dolly Parton („Love Is Like A Butterfly“), The White Stripes („There’s No Home For You Here“), Shigeru Umebayashi („Polonaise“), Xavier Cugat („Siboney“)
(2): Lana Del Rey („Don’t Let Me Be Misunderstood“), Fleetwood Mac („Albatross“), Queen („You’re My Best Friend“), Led Zeppelin („Communication Breakdown“)
(3): Secret Garden („Adagio“), Xavier Cugat („Perfidia“), Dean Martin („Sway“), Udo Jürgens („Und immer wieder geht die Sonne auf“), Dusty Springfield („If You Go Away“)
(4): Triggerfinger („I Follow Rivers“), Sade („Smooth Operstor“), Nura („Was ich meine“), Dusty Springfied („Am I The Same Girl“), Ebow („Schmeck mein Blut“), Lynyrd Skynyrd („Cry For the Bad Man“), Gino Paoli („Il cielo in una stanza“), Vicky Leandros („Ich liebe das Leben“), Tammy Wynette („You’ll Never Walk Alone“)
(5): The Drifters („Some Kind of Wonderful“), Charles Aznavour („Du lässt dich geh’n“), Dusty Springfield („You Don’t Have To Say You Love Me“)
(6): Queen („I Want To Break Free“), Tammy Wynette („Run Woman Run“), Lesley Gore („You Don’t Own Me“)
(7): Sezen Aksu („Ne Kavgam Bitti Ne Sevdam“), The Four Lads („Istanbul Not Constantinopel“), Tammy Wynette („Woman To Woman“), Connx Froboess („Zwei kleine Italiener“), They Might Be Giants ((„Istanbul Not Constantinopel“)
(8): Chilly Gonzales („Neros Nocturne“), The Coasters („Down In Mexico“), Wendy Rene („After Laughter Comes Tears“), Shirley Bassey (Love Story“)
Voraussetzungen, um diese komödiantischen Qualitäten ausspielen zu können, sind die tragikomisch gut austarierten Drehbücher der Serie mit einer dichten Narration, mit prall gefüllten, kräftig ausgemalten Szenen genauso wie mit kleinen, zarten Miniaturen, in denen sich Zwischentöne heraushören und eigene Entdeckungen machen lassen. Dieser Wechsel zwischen laut und leise, zwischen schreiend komisch und tieftragisch, zwischen ironisch und „ehrlich“ (dieses Gefühl ist aber nur von kurzer Dauer) ist das dramaturgische Herzstück von „Merz gegen Merz“. Hinzu kommt ein gutes Timing: schneller, wenn es witzig wird, ruhiger, wenn Emotionen durchschlagen. Und auch wenn bei einer solchen vielstimmigen, insgesamt sehr temporeichen Short-Dramedy sicher kaum eine(r) auf das achten dürfte, was die Kamera macht, so macht sie doch genau das, was die flüssige Erzählung der Serie unterstützt. Die Kamera folgt beispielsweise immer wieder den sich im Raum bewegenden Figuren. Doch alles zu seiner Zeit: So kommt die Staffel-Eröffnungssituation, in der sich das Paar anschweigt, angiftet, schließlich anschreit, eine Minute lang ohne Schnitt aus. Mit der Zuspitzung rückt die Kamera näher an die Streitenden heran. Ohne Schnitte bekommt der Zuschauer den Eindruck, die Situation, die bedrückende Atmosphäre, die angespannten Körper, das Mienenspiel, selber zu erkunden und nicht vom Regisseur den Sinn vorgesetzt zu bekommen. Das mag zum Handwerkszeug gehören, die gute filmische Umsetzung von Felix Stienz („Unter Freunden stirbt man nicht“) ist dennoch keine Selbstverständlichkeit.
Ohne witzige, lebenskluge Dialoge kann eine zarte Rosenkrieger-Dramedy schnell zur treudeutschen und kreuzbraven Dramödie werden. Hier ein paar Beispiele für den hohen verbalen Unterhaltungswert von „Merz gegen Merz“ 3 (wichtig ist dabei nicht der Witz an sich, sondern die Beiläufigkeit und der dichte Kontext):
„Freundschaftliche Scheidung ist wie ein lustiger Krieg. Sowas gibt es nicht.“
„Mama fährt Auto wie eine Kuh malt.“ / „Das Büro ist kein Elternhort.“
„Der hat keine Demenz, kann aber trotzdem nichts alleine machen.“
Ludwig: „Hast du ‘ne Pizza im Gesicht?“ Maria: „Ja, hat mir die Anne gegeben zum Kühlen.“ Ludwig: „Gott sei Dank, ich dachte, jetzt werde ich schon endgültig plemplem.“
„Sich trennen ist mindestens so anstrengend wie zusammenbleiben.“
„Ich hab‘ ihm jahrelang den Rücken freigehalten, und wenn ich Rücken sage, dann meine ich Kopf und Arsch und alles…“
Sex im Wasserbett: „Als würde man mit einer Gurke auf den Pudding hauen.“
„Danke, liebes Universum, dass du mich mit einer Heirat verschont hast.“
Alter Freund von Erik: „Es gibt so viele junge Weiber, die auf Typen wie uns stehen.“ Erik: „Absolut, die nennen sich Prostituierte.“
Hab‘ ich schon mal gesagt, dass Paare nerven. Wenn sie verliebt sind, nervt das Geturtel, und wenn sie sich trennen, dann nervt das Generve.“
„Bei der Ehe ist für immer eine romantische Lüge. Aber bei der Scheidung stimmt’s: die ist wirklich für immer.“
Das Wechselspiel aus hochtourigem Beziehungskampf und versöhnlichen Augenblicken funktioniert in dieser ZDF-Dramedy auch in der dritten Staffel gleichermaßen gut bis hervorragend. Die Variation des Immergleichen – in diesem Falle wäre Variation des Ähnlichen deutlich passender – gehört anders als bei vielen Krimis, bei denen das Muster einfach nur in Routine umschlägt, zur Genre-Struktur einer Comedy, oder Dramedy, was „Merz gegen Merz“ trotz des 22-minütigen Kurzformats ja spätestens in dieser Staffel ist. Hinzu kommt, dass in diesen Mustern eine Menge Wahrheit, ja, gelebtes Leben steckt. Diese Anschlussfähigkeit des Erzählten ist gewiss mit ein Grund dafür, dass man von dieser Serie nur schlecht genug kriegen kann. Die Psychologie privater Streits & paradoxer Redeschlachten scheint Headautor Ralf Husmann („Stromberg“, „Der König von Köln“) genau analysiert zu haben, und vielleicht konnte er ja auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen. Auch die Grundsituation dürfte vielen Menschen bekannt vorkommen: Bleiben oder Nichtbleiben – das ist stets die Frage. Eine der schönsten Szenen der neuen Staffel, spätabends in der Stamm-Pizzeria, macht aus dieser Überlegung einen wunderbaren Dialog. Erik: „Alberto hat immer noch die eine CD.“ Anne: „Warum soll man was wegschmeißen, was so super ist?“ Erik: „Machen wir das: Wegschmeißen, was noch so super ist?“